Mit Comics durch die Zeit reisen

Von Claas Christophersen und Norbert Zeeb · 28.11.2011
Wie mit einer Filmkamera führt Isabel Kreitz ihre Leser in die Vergangenheit. In "Deutschland. Ein Bilderbuch" erinnert die Hamburger Zeichnerin leise ironisch und manchmal satirisch an Ereignisse aus 60 Jahren deutscher Geschichte.
"Das sind natürlich immer viele kleine Faktoren, die dazu führen, dass man sich auf den Hintern setzt und nicht rausgeht und auf Bäume klettert und so. Also, ich denke mal, bei mir war das erst mal so'n großes Phlegma, das leider in mir angelegt ist, dass ich lieber rumsitze als rumlaufe."

Wenn Isabel Kreitz erzählt, wie sie Comiczeichnerin wurde, dann tut sie das mit einer Ironie, die sich auch in ihrem neuen Buch zeigt. "Deutschland. Ein Bilderbuch" ist eine Comic-Chronik deutscher Nachkriegsgeschichte. Mit genauem Blick für Ästhetik und Mode eines jeden Jahrzehnts erinnert Kreitz etwa an die Deutschlandtournee Marlene Dietrichs 1960. Damals musste sich die US-Bürgerin Dietrich wegen ihres Engagements gegen Nazi-Deutschland von ihren ehemaligen Landsleuten schon mal mit Eiern bewerfen lassen.

Die Hinrichtung des Holocaust-Bürokraten Adolf Eichmann 1962 in Israel kommentiert die Zeichnerin, indem sie einen trauernden Altnazi-Stammtisch zeigt. Früher hätte ihr Satire dieser Art noch Bauchschmerzen bereitet:

"Da hat mir auch ein Kollege von mir mal sehr große Angst gemacht bei meinem allerersten Buch – das hieß damals 'Ohne Peilung' und das ging um Jugendliche, die sich mit rechtsradikalen Symbolen beschäftigen –, dass man doch eine gewisse Verantwortung hat, wenn man solche Bücher macht, wie der Inhalt dann irgendwie auch ankommt bei den Leuten. Und diese Angstblase habe ich lange in meinem Hirn herumgetragen und mich aber irgendwann davon verabschieden können. Und jetzt denke ich, ich schreibe einfach, was ich denke. Punkt."

Nicht weit von der Reeperbahn entfernt, dort, wo Hamburgs Kiez beinahe dörflich wirkt, hat Isabel Kreitz ihr Büro – zur Untermiete im Pastorat einer evangelischen Kirche, mit Blick auf den Hafen. Hier zeichnet und schreibt die 44-jährige mindestens zehn Stunden täglich, manchmal sieben Tage die Woche. Zuerst entwickelt die Comic-Autorin ein grobes Story-Board, dann fertigt sie eine Vorzeichnung an, die sie schließlich koloriert.

Obwohl sich ihre Bücher sogar im europäischen Ausland gut verkaufen, ist Isabel Kreitz auch auf Workshops und Auftragszeichnungen angewiesen. Ihre Existenz als freischaffende Comiczeichnerin empfindet sie trotzdem als Privileg:

"Das Beknackte ist ja, dass ich sozusagen alles als meine Freizeit betrachte, wenn ich Comics mache. Also, wenn ich noch mehr Zeit hätte, würde ich noch mehr Comics machen."

An Kreitz' Schreibtisch entstehen Bildergeschichten von hoher Authentizität und atmosphärischer Dichte. Der Stil wirkt beinahe filmisch. Dies gilt insbesondere für den 2008 erschienenen Comic-Roman "Die Sache mit Sorge", basierend auf dem realen Fall des Agenten Richard Sorge – Kreitz' bisher umfangreichstes Werk.

Im Zweiten Weltkrieg späht der überzeugte Kommunist Richard Sorge für die Sowjetunion die deutsche Botschaft in Tokio aus, wird aber von Stalin fallengelassen und von den Japanern gehenkt:

"Ich wollte damit keinen Heroen oder Saubermann der deutschen Geschichte herausstellen. Für mich ist das einfach ein Zeitphänomen, das es vielleicht auch so nicht mehr gibt. Also jemand, der sich so einer Idee verschreibt und daran festhält, obwohl er selber an der Idee zweifelt und daran sich festbeißt."

Wie mit einer Kamera verfolgt die Zeichnerin Richard Sorges verschlungene Wege durch Tokio. Mit starken Bleistiftstrichen wird eine Szene aus verschiedenen Perspektiven dargestellt – mal als Nahaufnahme, mal in der Totalen, stets im realistischen Setting der 30er- und 40er-Jahre. Immer wieder unterbricht Kreitz die Story und lässt wie in einem Dokumentarfilm Vertraute Sorges als Zeitzeugen auftreten:

"Ja, das ist so mein persönlicher, ja, fast so'n Manierismus, dass ich bewusst auf so was wie Textkästen verzichte oder irgendwelche Zeichen, die so im Comicbedarf üblich sind, um das Bild möglichst groß und prominent zu lassen und dem am meisten Raum zu geben. Man soll sich eben tatsächlich eher filmisch dadurch bewegen."

Ihre Karriere als Comic-Zeichnerin beginnt Isabel Kreitz nach einem Studium an der Fachhochschule für Kunst und Gestaltung in ihrer Heimatstadt Hamburg mit Cartoons für Tageszeitungen. Comics zu zeitgeschichtlichen Themen zu machen – da ist sie, wie sie sagt, "so reingeschliddert".

"Zunächst mal war ja das Comicmachen so in den 90er-Jahren ja eher so, dass man Sachen imitiert hat, also beispielweise Superhelden gezeichnet hat, oder was meine Präferenz war: Gruselgeschichten. Fand ich immer großartig, eben auch angeregt von den frühen Stummfilmen von Fritz Lang und so. Und dann irgendwie was zu finden, was dem deutschen Grusel entspricht, also nicht diese amerikanischen Kulissen, die man so kennt, die Schlösser im Blitzgewitter, sondern ein Äquivalent im deutschen Raum zu finden."

Auf der Suche nach geeigneten Schauplätzen stolperte Kreitz über Kriegsrelikte, alte Bunkeranlagen und rostende U-Boote im Hamburger Hafen. Sie fing an zu recherchieren, rutschte so immer tiefer in die Zweite-Weltkriegs-Thematik hinein "und so kam es!"

In ihrem nächsten Buch würde Isabel Kreitz gern noch tiefer in die Vergangenheit zurückgehen: ins Paris des 18. Jahrhunderts, in die Zeit des legendären Caron de Beaumarchais, eines Abenteurers, Schriftstellers und Wegbereiters der französischen Revolution. Ein bewegtes Stück Zeitgeschichte, vielleicht aber auch zu sperrig für einen Comic-Roman:

"…weiß ich noch nicht, da muss ich nochmal sehen, ob ich dafür einen Verlag begeistern kann."

Informationen des Dumont Verlags zu Isabel Kreitz' 2011 erschienenem Comic "Deutschland. Ein Bilderbuch"
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