Mit Chuzpe und Taktstock zum Erfolg

Von Jörg Taszman · 27.07.2010
Er dirigiert es immer noch, das Konzert für Violine und Orchester von Peter Tschaikowsky. In der Sowjetunion war Andrej Filippow der Stardirigent des Bolschoi Orchesters. Heute im postsozialistischen und neokapitalistischen Russland ist er Putzmann am Bolschoi und besucht sehnsüchtig die Orchesterproben.
Zufällig fällt ihm im Büro des neuen Direktors ein Fax aus Paris in die Hände. Das "Theatre du Chatelet" sucht händeringend ein Orchester, weil die Philharmoniker aus San Francisco abgesagt haben. Und in Andrej reift ein kühner Plan. Er selbst könnte das alte Bolschoi-Orchester zusammen trommeln und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen das Gastspiel bestreiten und endlich wieder Tschaikowsky aufführen.

Dazu braucht er aber den Altkommunisten Gawrilow, den einstigen Direktor des Bolschoi, der ihn einst schwer gedemütigt hatte und als ewig gestriger Kommunist den alten Sowjetzeiten hinterhertrauert. Aber nach Paris wollte Gawrilow schon immer. Also willigt er ein, Andrej Filippow bei seiner verrückten Mission zu unterstützen. Er ruft in Paris an und gibt sich als der Direktor des Bolschoi aus.

Szene aus dem Film:
"Bonjour Fräulein Demoiselle. Meine Verehrung. Monsieur Genosse Ivan Gawrilow am Apparat. Verwaltungschef des Bolschoi. Ich möchte mich gerne warmherzig unterhalten mit Monsieur Duplessis. Möchten Sie mich reinführen, S'il vous sied? ... "
"Ah, Mr. Gawrilow. Welche Freude! Wie geht es Ihnen, mein Freund? Pardon, ich wusste nicht, Sie sind also wieder der Leiter des Bolschoi. Sonst wäre das Fax zu ihren Händen gegangen."
"Nicht müssen pardon machen. Ich telefoniere nicht von meinem Bjüro. Nur weil Probljeme haben mit Post, mit Kommunikation."
"Iwan, ich höre Sie sehr gut. Sie müssen nicht brüllen ... .Prima also, Iwan. Unser Konzert. Sehen Sie es im Bereich des Möglichen?"
"Das ist eine Frage der Konditionen."

Radu Mihaileanu versteht sich auf Geschichten, die größer sind als das Leben. Wie schon in "Zug des Lebens", wo sich ein jüdisches Schtetl selbst deportierte, verbindet der Filmemacher Komik und Tragik, Realität und Traum. Und so ist "Das Konzert" eine mitreißende Farce und doch humanistisches Märchen, mal überbordend klamottig, dann wieder hoch emotional. Denn es gelingt Andrej, die alte Truppe zusammenzutrommeln, nach Paris zu fahren und dort auch auf die junge französische Stargeigerin Annie Marie Jacquet zu treffen, die in seinem Konzert für ihn spielen wird. Radu Mihaileanu wollte mit diesem Film auch seine eigenen, verschiedenen Identitäten mit einbringen.

"Da steckt viel von mir. Dieser Dialog zwischen Osten und Westen, Vergangenheit und Gegenwart. Diese ganze Geschichte, die mich bis heute verfolgt. Auch diese Begriffe Kommunismus und Kapitalismus. Und das Finale des Films ist für mich eine politische Szene. Es geht ja um die Metapher der absoluten Harmonie.

Seitdem ich in Frankreich lebe, stelle ich mir diese Frage. Was ist die ideale Gesellschaft? Sicher nicht der Kommunismus, unter dem ich so zu leiden hatte und der den Einzelnen versuchte, zu zerdrücken. Es wurde gesagt, das Volk hat die Macht, war aber nur eine anonyme Masse, die gar nicht existierte. Und auf der anderen Seite der Kapitalismus, der einen egoistischen, egozentrischen Minikönig hervorbrachte, der alle Verbindungen zu Anderen gekappt hat, auch die zu Freunden und Familie und nur noch traurig für sich selbst in seinem Turm zu Babel lebt.

Und so gibt es die Metapher am Ende von 'Das Konzert', die wie eine Art Kibbuz eine ideale Gesellschaft propagiert. Um also ein großartiges Konzert zu schaffen, müssen die einzelnen Mitglieder wunderbar sein, aber nicht anonym; ausgestattet mit sehr unterschiedlichen Instrumenten, die zur Persönlichkeit jedes Einzelnen passen."

Regelrecht philosophisch sieht Radu Mihaileanu die gegenwärtige Krise der westlichen Gesellschaft, die für ihn viel mehr ist als nur eine Wirtschaftskrise. Unlängst hat er darüber auch einen Aufsatz in einer philosophischen Zeitschrift geschrieben. Und auch in der Komödie mit tragischen Untertönen, die er mit "Das Konzert" gedreht hat, sieht er einen sehr realen, gesellschaftlichen Hintergrund.

"Es geht um meine beiden Hälften. Ich habe ja mehrere und lasse einmal die jüdische beiseite. Es gibt da in mir den Barbaren des Ostens, ein ungebildeter, rumänischer Barbar, aber voller Energie und mit dieser slawischen Seele des Ostens. Und dann ist da der zivilisierte Westler, der ich geworden bin. Etwas wohlhabend, höflich, aber auch ein wenig träge. Glücklicherweise existiert dann in mir manchmal dieser Barbar, um den Eingeschlafenen zu wecken und glücklicherweise sagt der Zivilisierte manchmal zum Barbar: Das, mein Freund, kannst du nun wirklich nicht machen. Dennoch versuche ich, so oft es geht, überschwänglich zu bleiben, diese vitale Energie zu feiern. Das fehlt uns heute im Westen und der Film handelt auch davon."

In Frankreich wurde "Das Konzert" zu einem Triumph für Radu Mihaileanu. Über zwei Millionen Zuschauer sahen sich den Film im Kino an, der im Original zur Hälfte auf Russisch ist. Neben den vorzüglichen russischen Darstellern wie Alexei Guskow als Andrej verzaubert einen auch die Französin Mélanie Laurent als die Geigerin Anne Marie Jacquet. Wie schon in "Inglourious Basterds", wo sie die Kinobesitzerin spielte, versteht sie sich meisterhaft darauf, ebenso emotional wie zurückhaltend zu agieren.

Radu Mihaileanu ist zu Recht stolz auf seine Hauptdarstellerin und kann mit einer überraschenden Anekdote aufwarten. Als der amerikanische Produzent Harvey Weinstein "Das Konzert" sah und für die USA sofort kaufte, entdeckte er auch Mélanie Laurent und schlug sie sofort Quentin Tarantino vor. Der besetzte sie sofort für seine "Basterds". Auch das ist eine dieser verrückten Geschichten, die das Kino schreibt.