Mit „Buschgefühl“ in Göttingen

Von Katharina Granzin |
Julia Fischer ist Professorin am Deutschen Primatenzentrum in Göttingen. Als junge Wissenschaftlerin verbrachte sie viel Zeit in Afrika, um Feldforschung zu betreiben. Später baute die Biologin eine afrikanische Forschungsstation auf.
Ganz am Rande des Universitätsgeländes, fast schon im Wald, liegt das Deutsche Primatenzentrum. Ein gewundener Pfad führt dorthin, gesäumt von dichtem Gebüsch und hohem Gras. Grillen zirpen. Wenn man von gelegentlichen Baustellen- und Verkehrsgeräuschen absieht, könnte man sich mit etwas Fantasie auch einbilden, man sei in Afrika. Dort hat Julia Fischer nach ihrer Promotion das Verhalten von Pavianen beobachtet, in einem einsam gelegenen Forschungscamp im Okavango-Delta. Heute leitet die ehemalige Feldforscherin am Deutschen Primatenzentrum die Abteilung für Kognitive Ethologie, also Verhaltensforschung.

„Das erste Jahr ungefähr bin ich immer an meinem Büroschild vorbeigelaufen und hab gedacht: Wer hat denn da Professor davorgeschrieben?“

Julia Fischers jetziger Arbeitsplatz ist ein stilsicher sachlich eingerichtetes Büro. Eine Sitzecke gibt dem nüchternen Ambiente einen Hauch von Behaglichkeit. Vor den Fenstern lockt der deutsche Wald. Afrika scheint hier sehr weit weg zu sein.

Es ist ein Zusammenspiel von akademischen Meriten und glücklicher Fügung, das Julia Fischer in den 90er-Jahren nach Afrika bringt. Ihre Promotion, eine Arbeit über die Laute von Berberaffen, hat sie gerade abgeschlossen, als die US-amerikanischen Primatologen Robert Seyfart und Dorothy Cheney ihr ein überraschendes Angebot machen. Sie fragen an, ob die deutsche Nachwuchswissenschaftlerin sich vorstellen könnte, die Leitung ihrer Forschungsstation in Botswana zu übernehmen:

„Und da war auch wieder klar, das ist jetzt auch sehr riskant akademisch. Was ist, wenn ich keine Daten mitbringe; was ist, wenn ich vom Löwen gefressen werde.“

Das Camp, das Julia Fischer betreut, liegt abgeschieden im Delta des Okavango-Flusses…

„… am schönsten Ort auf diesem Planeten, fand ich jedenfalls, und das war fabelhaft, war wirklich toll.“

Ganz ungefährlich ist das Leben in der Feldforschung aber nicht. Die Wissenschaftler teilen ihr Lebensumfeld nicht nur mit ihrem Forschungsgegenstand, den Affen, sondern auch mit Löwen, Krokodilen und Flusspferden.

„Am Anfang hab ich mich wirklich wahnsinnig unsicher gefühlt. Und irgendwann hab ich mich sicherer gefühlt, in dem Sinne auch – man hat so ein paar Ahnungen; man kriegt natürlich so das Buschgefühl. Man riecht dann auch die Gefahr früher. Man hat so eine Intuition, oh, auf einmal ist alles leise geworden, hier ist wahrscheinlich ein Löwe.“

Eineinhalb Jahre lebt Julia Fischer fast ununterbrochen im afrikanischen Busch. Diese Erfahrung prägt sie sehr. So sehr, dass sie Jahre später, nachdem sie ihre Stelle am Deutschen Primatenzentrum angetreten hat, den Aufbau einer eigenen Forschungsstation in Afrika energisch vorantreibt. Ein günstiges Umfeld und eine noch wenig erforschte Pavianart finden sich im Senegal. Derzeit beschäftigt sich dort zum Beispiel eine Master-Studentin von Julia Fischer mit der Frage, was es bedeutet, wenn die Männchen einer Paviangruppe sich gewohnheitsmäßig gegenseitig an die Genitalien fassen:

„Es gibt zwei verschiedene Hypothesen. Das eine ist, dass sie gewissermaßen ihre Beziehungsstärke testen. Also, das darf man natürlich nur machen, wenn man sich wirklich vertraut. Oder es kann ein Teil eines aggressionsabbauenden Rituals sein. Und man kann sagen, wenn es das Letztere ist, dann müssten sie es immer dann machen, wenn es gerade Konfliktpotenzial gibt, also, wenn es ein Weibchen gibt, um das sie sich streiten, oder Essen… Und wenn es nur dem Beziehung-Überprüfen dient, dann sollten das nur bestimmte Affen miteinander machen. Also ich denke, so in einem halben Jahr wissen wir’s.“

Man braucht in der Feldforschung sehr viel Geduld, und das wissenschaftliche Ergebnis ist immer unsicher. Die Belohnung für den langen Atem aber ist ein intensives, lang nachwirkendes Naturerlebnis, von dem auch Julia Fischer immer noch zehrt:

„Es war eine ganz tolle Erfahrung, und ich war jeden Morgen zutiefst glücklich und froh und fand das schön…“

Ihr Arbeitsumfeld hat sich schon lange endgültig vom Feld ins Büro verlagert. Aber sie erinnert sich noch gut, wie es ist,

„... wenn man rausgeht, wenn man morgens im Dunkeln losgeht und die Affen sucht und den ganzen Tag neben denen herläuft. Das ist schon toll, aber ich würde es jetzt nicht mehr noch mal für ein Jahr machen wollen.“

Auf dem Weg hinaus zeigt die Professorin im Flur noch ein Plakat mit humoristisch gestalteten Fotos aller Mitarbeiter, das die Kollegen ihr zum Geburtstag geschenkt haben. Das Gesicht der Chefin haben sie auf dem Bild mit einem eleganten schwarzen Schnurrbart versehen. Es ist still im Institut. Ein paar Zimmertüren stehen offen; man sieht die Göttinger Verhaltensforscher konzentriert vor ihren Bildschirmen sitzen. Draußen scheint die Sonne, und die Grillen zirpen.


Julia Fischers Buch „Affengesellschaft“ ist im Suhrkamp Verlag erschienen und kostet 26,95 Euro.
Rezension von Susanne Billig in Deutschlandradio Kultur
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