Votivkirche in Wien

Mit Autowerbung die Sanierung finanzieren

07:41 Minuten
Blick auf die Wiener Votivkirche.
Spätestens im Frühling 2023 soll die Sanierung der Votivkirche abgeschlossen sein, sagt Joseph Farrugia. © imago / UIG
Von Alexander Musik · 28.11.2021
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Seit Jahrzehnten prangen großformatige Werbebanner an der Wiener Votivkirche – für ganz unheilige Produkte wie Autos oder Handys. Das sorgt für Empörung, doch den Pfarrer der Kirche kümmert das wenig. Er braucht das Geld für die Sanierung.
Joeseph Farrugia steht voller Bewunderung unter dem frisch renovierten Mittelschiff seiner Kirche: ein kleiner, vollbärtiger, wettergegerbter Mann von 73 Jahren, der an einen alten Seebären erinnert. Als er hier anfing, wäre er – wie viele seiner Vorgänger – am liebsten gleich wieder davongelaufen. Der Mann aus Malta, den der Priestermangel mit 20 Jahren nach Österreich zog, war vor seiner Zeit in der Votivkirche Tourismusseelsorger in Wien.
Die Kirche war total verkommen
Damit er Reisenden und Expats aus aller Welt hier einen repräsentativen Raum für seine vielsprachigen Gottesdienste anbieten konnte, musste etwas geschehen: „Es war eine Katastrophe! Alles verdreckt, total verkommen! Die Kirche wurde extrem vernachlässigt, baumäßig. Leider war mein Vorgänger sehr alt, und er hatte natürlich die Energie auch nicht, und auch nicht das Interesse.“ So habe jeder gemacht, was er wollte und es seien sogar Sachen aus der Kirche verschwunden.
Neue Ideen: Konzerte, Hörsaal, Außenwerbung
Joe Farrugia blieb. Er hatte Ideen, die es noch nirgends gab: zuerst die Vermietung der Kirche für Konzerte, Präsentationen und Filmaufnahmen, dann Außenwerbung, dann Datenübertragungsantennen auf dem Kirchendach, schließlich die Nutzung der Kirche als Hörsaal zu Pandemiezeiten. Denn es würde teuer sein, den denkmalgeschützten Bau wieder zu einem Schmuckstück zu machen: 35 Millionen Euro für die Renovierung der Außenhaut, fünf Millionen für die Innenrenovierung.
Eine schwindende Zahl von Gemeindemitgliedern und der Klingelbeutel allein können das nicht leisten, sagt Farrugia. Und auf die spendenfreudigen Gläubigen der frühen Jahre könne er nicht mehr bauen. Früher habe er von Zeit zu Zeit ein anonymes Sparbuch mit Losungswort kurz vor der Messe bekommen, doch das gebe es quasi nicht mehr.
Warum kommt das Geld nicht von der katholischen Kirche?
„Alles, was ich angefangen hab, war am Anfang verboten. Die Konzerte in der Kirche – ‚Wie kann man in einer Kirche profanes Konzert machen!‘ Ich hab's durchgeführt, und heutzutage macht sogar der Stefansdom profane Konzerte, sogar der Mailänder Dom ist stolz darauf. Zum Beispiel die Idee mit der Werbung. Das ist überhaupt nichts Besonderes, das Gerüst wurde aufgestellt, vom Gesetz her ist vorgesehen, dass es da ein Sicherheitsnetz gibt. Und ich hab mir gedacht: Wenn ich ein Sicherheitsnetz habe, warum nicht gleich mit Werbung?“, erklärt Farrugia. Das erfülle zwei Aufgaben: Sicherheit und es bringe Geld. Aber viele fanden das unerhört, der Widerstand sei eine Katastrophe gewesen.
Warum aber kann die katholische Kirche die Erhaltung ihrer Flaggschiffe nicht selbst bezahlen? Warum braucht es Werbewirtschaft, private Spender, die Stadt Wien und das Bundesdenkmalamt, um die Votivkirche zu retten? Die Erzdiözese Wien ist immerhin einer der größten Grundbesitzer in Österreich.
Zu viele Bauprojekte
Das Argument von Harald Gnilsen, Baudirektor der Erzdiözese, ist die große Zahl: Man betreue allein 1.200 Kirchen und 2.400 Profanbauten, so Gnilsen. 500 Bauprojekte im Jahr verursachen etwa 30 Millionen Euro Kosten – zehn Millionen davon kommen aus dem Kirchenbeitrag. Außerdem fördere das Spendenaufkommen durch Private das Gefühl der Zugehörigkeit zur Gemeinde. Wären also Werbebanner auch am Stefansdom denkbar? Nein, der sei ein Nationalheiligtum, sagt Gnilsen ohne Zögern. Die Votivkirche, obwohl ein ziemlich einmaliger historistischer Prachtbau, interessiere dagegen keinen.
Zum Vergleich: Auch der Kölner Dom, dessen Erhalt und laufende Kosten 33.000 Euro pro Tag ausmachen, kommt ohne Staatshilfe und Spenden nicht aus.
Staatsfinanzierung für Kirchenbauten
Carsten Frerk hat mehrere Bücher zu den Geschäftsmodellen der Kirchen in Deutschland und Österreich geschrieben. Sehr erfolgreiche Geschäftsmodelle, wie er erklärt: „In Deutschland wird die Instandhaltung des Kölner Doms zu rund 50 Prozent aus Staatsgeldern finanziert, und in Frankreich gibt die katholische Kirche keinen einzigen Cent zur Restaurierung des durch Brand schwer beschädigten Nationalheiligtums der Kathedrale Notre Dame de Paris, da der Staat die Kirche 1905 in Staatseigentum überführt habe und daher selber für die Finanzierung des Wiederaufbaus zuständig sei. Dass die Kirche für Gottesdienste und liturgisch von der katholischen Kirche genutzt wird, das ist nicht von Interesse.“
Was die Verwirrung größer mache, sei die Begrifflichkeit: Die Kirche sei eben gleichzeitig das Gebäude, die Bekenntnisgemeinschaft, die juristische Person und der Eigentümer oder Betreiber eines Wirtschaftsunternehmens: „Wenn sich jemand gegen die Nutzung des Baugerüsts der Votivkirche positioniert, kann man annehmen, dass es aus Sicht der Glaubensgemeinschaft geschieht, die das Gebäude als Sakralbau betrachtet, das durch schnöde Werbeplakate gleichsam entweiht wird. Befürworter der Werbetransparente sehen die Nutzung dieser Flächen in 1A-Lage als Tätigkeit des Wirtschaftsunternehmens, mit der man Einnahmen erwirtschaften kann. Das ist allerdings eher eine evangelische Sichtweise, bei der Kirchen ja nicht geweiht werden, sondern nur dem Gottesdienst gewidmet werden und das kann aus evangelischer Sicht jedes Gebäude sein.“
Erboste Briefe und Anrufe
Der Widerstand gegen die Werbebanner, die Hunderttausende Euro pro Jahr einbringen, hält indes an, sagt der Pfarrer. Immer wieder gebe es erboste Briefe und Anrufe. Auf letztere reagiert Joe Farrugia gar nicht mehr. „Ich sag immer, wenn Leute anrufen und sich beschweren: Wie viel haben Sie dort gespendet? – Na, ich spende für Tierheime, aber nicht für die Kirche! Ich zahl ja Kirchenbeitrag! – Ich sag, pass auf, wenn Sie den Gegenwert von dem zahlen, was ich bekomme, kann das Gerüst runterkommen oder die Werbung! Und dann bleiben sie ruhig."
Offiziell gehört die Votivkirche der St. Josef-Stiftung für sakrale Baudenkmäler der Erzdiözese Wien. Die Einnahmen durch die Werbung, die weder politisch noch sexistisch sein dürfe, fließen direkt in die Stiftung; sie ist vorsteuerabzugsberechtigt. Das spart wiederum Geld, das der Renovierung zugute kommt. Pfarrer Farrugia zahlt 45.000 Euro Miete im Jahr an die Stiftung. Im Prinzip sei er persönlich haftbar, falls seine Kirche in Konkurs gehe.
50.000 Euro für das soeben eröffnete Votivkirchen-Museum habe er aus eigener Tasche vorgestreckt. Einnahmeverluste aus der Pandemiezeit zwischen Oktober und Dezember 2020: allein 83.000 Euro, rechnet Farrugia vor.
Der Ruhestand muss warten, bis die Kirche fertig ist
„Ich hab eine Vorliebe für Baustellen, komischerweise. Ich empfinde es immer als eine der schönsten Herausforderungen, eine schwierige Aufgabe zu bewältigen. Ich bin kein Beamtentyp, ich kann wirklich nicht um acht Uhr beginnen bis vier – vielleicht bin ich deswegen Pfarrer geworden.“
Er gehe die Dinge an, plane nicht viel im Voraus. Und irgendwann sei er mittendrin und könne nicht aufhören. „Das ist das, was wir maltesisch-phönizisch nennen“, sagt er. „Wir haben die Welt nicht durch Krieg erobert, sondern durch Handel.“
2022, spätestens im Frühling 2023, soll die Sanierung der Votivkirche abgeschlossen sein, sagt Joseph Farrugia. Er selbst sollte schon längst im Ruhestand sein, doch er macht weiter, bis das letzte Gerüst abgebaut ist. „Solange der liebe Gott mir Gesundheit gibt, dass ich meine drei Stockwerke ohne Lift machen kann, 20 mal am Tag, das hält fit.“
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