Mit apostolischem Furor und Pathos

Wie manche andere Schriftsteller und Philosophen hat Ernst Bloch (1885 bis 1977) für die Zeitung geschrieben. Bloch interessiert sich für alles: Er schreibt über die Zeit im Alltag und im Märchen, über Kolonialwaren und Karl May. Stets versucht er, Grenzen zu überschreiten, Vergessenes, Begriffsloses, Erschreckendes und Lockendes einzuholen. Seine Feuilletons für die "Frankfurter Zeitung" sind jetzt als Buch erschienen.
Der Titel seines Hauptwerks, "Das Prinzip Hoffnung", klingt recht freundlich, fast esoterisch. Doch Ernst Bloch war Marxist und Metaphysiker und als solcher für Lebenshilfe nur im denkbar weitesten Sinne zuständig: Wollte er doch das "Noch-nicht-Bewusste" und "Noch-nicht-Seiende" in der Welt aufspüren und als "Vor-Schein" eines besseren Lebens deuten, in dem die Entfremdung zwischen den Menschen sowie den Menschen und der Natur aufgehoben ist. Dafür nimmt Bloch Hoffnungen ernst, wie sie sich nicht nur in der Dichtung, der Kunst oder der Technik zeigen, sondern auch in Tagträumen und Phantasien, in Märchen, Jugendbüchern und der Kolportage.

Die Aufmerksamkeit für das Verachtete und Übersehene teilt Blochs Philosophie mit dem Feuilleton der zwanziger und dreißiger Jahre. Oder war es das Feuilleton, das philosophische Grundüberzeugungen nicht nur Blochs teilt? Schließlich erlebt es eine Hochzeit, weil viele Schriftsteller und nicht wenige Philosophen für die "Frankfurter Zeitung", das "Berliner Tageblatt" oder die "Vossische Zeitung" schreiben: Walter Benjamin, Alfred Döblin, Egon Friedell, Hermann Hesse, Franz Hessel, Alfred Kerr, Siegfried Kracauer, Else Lasker-Schüler, Heinrich und Thomas Mann, Georg Simmel, Robert Walser und eben Ernst Bloch.

Unter dem Titel "Der unbemerkte Augenblick" hat Ralf Becker Blochs Feuilletons für die "Frankfurter Zeitung" herausgegeben. Bis auf sechs bisher unbekannte Texte sind sie schon in anderen Ausgaben zugänglich, jedoch in vom Autor überarbeiteter Form. In diesem Band lesen sie sich rauer, deutlicher ist zuweilen der Anlass zu erkennen.

Der erste Artikel von Ernst Bloch in der "Frankfurter Zeitung" wäre beinahe der letzte geblieben. "Ein alter Krug", ein Vorabdruck aus "Geist der Utopie" (1918), stößt 1916 in der Redaktion auf vernichtende Kritik: mystisch, unklar, "widerlichster Humbug", vom Niveau eines "revolutionär infizierten Caféhaus-Stammtisches." Bloch reagiert verletzt und reicht erst wieder Texte ein, als er sich mit Kracauer angefreundet hat, der ab 1921 Redakteur ist. Zwischen 1927 und 1934, unter den Nazis mit fremden Initialen gezeichnet, ist er regelmäßiger Mitarbeiter.

Bloch interessiert sich für alles. Er schreibt über die Zeit im Alltag und im Märchen, über Kolonialwaren und Karl May, über den Gruß "Wie geht’s? Gut?" ("So seltsam, dass wir das fragen."), über die menschenunfreundliche Frühe und den vertrauteren Abend, über die Rückkehr an den Ort der Kindheit, die Jahreszeiten und die Mühsal, nichts zu tun. Hinzu kommen Reisebilder. Stets versucht er, Grenzen zu überschreiten, Vergessenes, Begriffsloses, Erschreckendes und Lockendes einzuholen.

Eine Seltenheit sind typische Feuilletonthemen wie die qualvolle "Dauer-Marathon-Tanz-Meisterschaft": "Früher vertröstete man auf den Himmel, der die Schäden dieses Lebens auszugleichen hatte. Jetzt inszeniert man, zum gleichen Zweck, offenbar kleine Stückchen Hölle. Damit lässt sich zweifellos manche Wut abladen, aber dem Volk, auf die Dauer, doch nicht die Religion erhalten."

Fast immer schreibt Bloch mit solch apostolischem Furor, zuweilen auch Pathos. Reflexionen wechseln mit Erzählungen und Anekdoten, Abstraktes erhält eine konkrete, sinnliche Erscheinung: "rauchig" ist dem Pfeifenraucher die "Kategorie der Hoffnung".

Blochs Sprache türmt auf aus unterschiedlichstem Material, aus Religion, Kultur, Technik und Kindheit, in der, nach einem seiner berühmten Worte, ein jeder eine Ahnung erhielt von dem, "worin noch niemand war: Heimat". Um dieses "Noch-nicht" geht es ihm auch, wenn er über den Jahrmarkt schreibt: "Denn auch hier ist jener primitive Glückswille, Fernwille, der aufs mechanische Volksfest geht und Urwald sucht; er holt sich, wie an der Kolportage, die aufreizenden Trauminhalte von Glück, von Seinwollen wie das fehlende Leben und vor allem wie der Glanz."

Ernst Bloch führte ein unruhiges Leben. Als Pazifist ging er im Ersten Weltkrieg von 1917 bis 1919 ins Schweizer Exil. 1933 musste er aus Berlin vor den Nazis fliehen. Nach dem Krieg lehrte der Philosoph, der Stalins Säuberungen verteidigt hatte, in Leipzig und erhielt 1955 den Nationalpreis. Doch nach der Niederschlagung des Ungarnaufstands kündigte Bloch der DDR die politische Freundschaft. 1957 zwangsemeritierte man ihn, 1961 siedelte er in die Bundesrepublik über. Die Studenten verehrten den nahbaren und energisch polternden Philosophen, der 1977, mit 92 Jahren, starb.

Rezensiert von Jörg Plath


Ernst Bloch: Der unbemerkte Augenblick. Feuilletons für die Frankfurter Zeitung 1916-1934
Herausgegeben von Ralf Becker.
Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 2007, 400 Seiten, 28 Euro