Mit 70 den wahren Beruf gefunden

Von Victoria Eglau · 17.08.2012
Seit 1937 lebt der Autor Robert Schopflocher in Argentinien. Dennoch schreibt der 89-Jährige auf Deutsch. Denn Franken, wo er geboren wurde, fühlt sich für ihn immer noch wie eine Heimat an. Der deutsche Wald sei für ihn ein Paradies, sagt der Schriftsteller, der erst mit 70 Jahren seine wahre Leidenschaft umgesetzt hat.
Buenos Aires, im gutbürgerlichen Stadtteil Belgrano. Robert Schopflocher wohnt in der von hohen Bäumen gesäumten Avenida Olleros, nur wenige Schritte von der Deutschen Botschaft entfernt. Besucher empfängt er am späten Nachmittag in seiner Wohnung, die ihm und seiner Frau seit dem Auszug der Kinder eigentlich zu groß geworden ist. Vormittags widmet sich Robert Schopflocher dem Schreiben:

" Ich habe zwei unbeliebte Berufe hinter mich gebracht. Erstens die Landwirtschaft - gucken Sie mein Gesicht, gucken Sie meine Hände an, habe ich Hände eines Landwirts? Nein. Habe ich ein Gesicht eines Landwirts? Nein. Und als ich dann nach Buenos Aires kam und ohne richtige Ausbildung Importkaufmann spielen musste, das war auch nicht mein wirklicher Beruf. Meinen wirklichen Beruf hab ich ergriffen, als ich über 70 war. Nämlich den Beruf des Schriftstellers. Bisschen spät, nicht?"

Spät, aber nicht zu spät. In den letzten knapp zwei Jahrzehnten hat Robert Schopflocher, inzwischen 89, zahlreiche Erzählungen und seine Autobiografie veröffentlicht. In Argentinien, dem Land, das Schopflocher und seine Familie aufnahm, als er vierzehn war, lag es nah, dass der Immigrant zunächst auf Spanisch schreiben würde. Ganz unliterarisch fing er an: mit einem Fachbuch über Hühnerzucht. Schließlich ist Robert Schopflocher Agronom, nach dem Studium im argentinischen Córdoba arbeitete er jahrelang als Verwalter jüdischer Siedlungen auf dem Land:

" Und so kamen dann noch eine ganze Reihe von Sachbüchern über landwirtschaftliche Themen hinzu, die ich hier in Argentinien natürlich rausbrachte. Und erst langsam, langsam wagte ich mich daran, auch meine Erzählungen an den Mann zu bringen. Mein erstes Buch auf Spanisch, das waren kurze Erzählungen, illustriert von Holzschnitten. Damals schwankte ich noch, ob ich mich mehr der Holzschneidekunst hingeben soll, oder lieber der Literatur."

Robert Schopflocher entschied sich fürs Schreiben. Und wechselte irgendwann aus dem Spanischen in die Muttersprache Deutsch. Eine Sprache, mit der er - trotz der Vertreibung seiner Familie durch die Nazis - nie gebrochen hat, ebenso wenig wie mit der deutschen Kultur:
" Ich fühl mich heute noch viel mehr als Deutscher als als Argentinier. Als jüdischer Deutscher. Ich bin deutsch-humanistisch geprägt, und bin das geblieben. In meinem Fall, der ich noch einige Jahre die letzten Strahlen der deutschen Kultur mitbekommen habe, sowohl in Deutschland wie auch in Argentinien, wo ich noch eineinhalb Jahre die antifaschistische Pestalozzi-Schule besuchen durfte, ist das verständlich. Für uns ist noch die deutsche Sprache und die deutsche Kultur die Muttersprache und die Mutterkultur, wenn ich so sagen darf."

Für uns - damit meint Robert Schopflocher die deutsch-jüdischen Einwanderer seiner Generation, die als Kinder oder Jugendliche nach Argentinien kamen. Dazu gehört auch seine Frau Ruth, mit der er sich bis heute in der Muttersprache unterhält. Ihre längst erwachsenen Kinder erzogen sie auf Deutsch, heute allerdings sprechen sie besser Spanisch. Die Heimat, vor allem seine Geburtsstadt Fürth, hat Robert Schopflocher so oft wieder besucht, dass er die Reisen gar nicht zählen kann. Auch Schopflochers Eltern fuhren nach dem Krieg noch mehrmals nach Deutschland - sie hätten keinen Groll verspürt, erinnert sich der Sohn:

"Eigentümlicherweise nein. Es kam dazu, dass wir in Fürth besonders gute Freunde hatten. Denn in Fürth war die Freimauererloge sehr wichtig im Leben des gehobenen Bürgertums. Ich glaube, fast die Hälfte der Mitglieder waren Juden. Das war wirklich brüderlich. Mit ganz wenigen Ausnahmen ... die meisten haben zu meinen Eltern gehalten. Jedenfalls sehr viele. Dadurch fühlte sich mein Vater immer sehr wohl in Deutschland. Außerdem die Landschaft, das kann ich ihm nachfühlen, für mich ist heute noch der deutsche Wald ein Paradies."

Und wenn er an einen Baum denkt, so schreibt Robert Schopflocher in einem Gedicht, dann sei es noch heute die Dorflinde von Ranna in der Fränkischen Schweiz, nicht aber ein Ombú der argentinischen Pampa. Aber der Schriftsteller verklärt seine Kindheit in Deutschland nicht, er erinnert sich durchaus an ihre Schattenseiten:

"Die glückliche Kindheit ist meines Erachtens ein Konstrukt der Romantiker gewesen. So glücklich war unsere Kindheit nie. Das hat gar nicht unbedingt was mit dem Nationalsozialismus zu tun gehabt, sondern der Art der Erziehung, die wir bekamen. Das Verdruckstsein, das Rohrstöckle, das in der Klasse herrschte."

Und auch die ersten Erfahrungen der Diskrimination haben sich unauslöschlich in Schopflochers Gedächtnis eingebrannt:

"Ich kam mit zehn Jahren aufs humanistische Gymnasium. Leider war das ausgerechnet im Jahr 1933. Und wenige Monate später musste ich das Gymnasium verlassen. Von Anfang 1934 bis zur Auswanderung wurde ich ins jüdische Landschulheim in Herlingen in der Nähe von Ulm aufgenommen. Der Mentor war dort der bekannte Religionsphilosoph Martin Buber. Und wir sogen da sowohl jüdische als auch deutsche Kultur in uns ein."

So hatte der schmerzliche Rauswurf aus dem Gymnasium für den zehnjährigen Robert wenigstens etwas Gutes: die Begegnung mit Martin Buber:

" Die inzwischen überholte Bibel-Übersetzung Martin Bubers und Franz Rosenzweigs, diese Buber-Bibel, die habe ich heute noch und schlag manchmal in ihr nach, wenn ich irgendwie Dinge für meine Arbeit benötige. Also das übte einen großen Einfluss auf uns aus. Wir "buberten", wenn ich so sagen darf."

Bubers bibelkritische Ansichten wirkten bis heute in ihm nach und seien teilweise in seine Gedichte eingeflossen, erzählt Robert Schopflocher. Ende des Jahres wird Schopflochers Poesieband "Hintergedanken" erscheinen. Und zur Zeit arbeitet der fast Neunzigjährige an seinem ersten Roman:

"Da gibt‘s doch von Herman Hesse so ein schönes Gedicht mit den Lebensstufen, nicht. Dass man bis zum Tod immer neue Lebensstufen erklimmt, und das hält einen eigentlich am Leben, finde ich. Und ich wünsche mir, dass mir das noch lang erhalten bleibt."