Missy Elliot wird 50

Feminismus trifft auf Futurismus

08:19 Minuten
Eine gestylte schwarze Frau mit einem Mikrofon in der Hand. SIe trägt ein überdimensionales schwarz-pinkes Kostüm, das aussieht wie ein aufgeblasener Ballon.
Sie trug völlig abgefahrene Kostüme: Missy Elliott bei einem Auftritt 1998 in Virginia Beach, USA © picture alliance/AP Photo / Joe Fudge
Sonja Eismann im Gespräch Martin Böttcher · 01.07.2021
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Missy Elliott war schon in den Neunzigern sex- und body-positive. Für die Industrie hat sie sich nie verbogen. In den letzten Jahren ist es jedoch still um sie geworden. Sie sollte dringend wiederentdeckt werden, meint Popjournalistin Sonja Eismann.
Martin Böttcher: Ende der Neunzigerjahre krempelte Missy Elliott mit futuristischen Sounds und Videos das HipHop-Genre nachhaltig um. Sie trotzte Schönheits- und Geschlechternormen und zeigte mit ihren zahlreichen Kooperationen mit anderen Musikerinnen, wie gelebte feministische Solidarität aussieht. Heute wird Missy Elliott 50 Jahre alt. Wir sprechen mit der Popkritikerin Sonja Eismann über ihren Einfluss auf die Popgeschichte.
Frau Eismann, nahezu alles, wofür Missy Elliott steht, prädestiniert sie dafür, eine Vorreiterin für den politischen, den feministisch bewussten Pop von heute, oder?
Sonja Eismann: Absolut. Alles, was sie seit dem Beginn ihrer Solokarriere mit "Supa Dupa Fly" von 1997 ausgezeichnet hat, würde auch perfekt ins Heute passen. Sie hatte immer volle Kontrolle über ihren musikalischen Output und hat nicht nur ihre eigene Musik selbst produziert, sondern auch Tracks für Kollegen und Kolleginnen.
Außerdem war sie schon damals sex- und body-positive, wie man heute sagen würde: In dem Sinne, dass sie sich für die Anforderungen der Entertainmentindustrie eben nicht verbogen hat, sondern ihren fülligen Körper ganz unbekümmert ins Bild gesetzt hat.
Sie hatte auch einen herausragenden Sinn für Mode und Inszenierung: In ihren bahnbrechend futuristischen Videos hat sie sich immer wieder mit völlig abgefahrenen Kostümen gezeigt, die ihre Körperfülle absichtlich vergrößert haben, man denke nur an den mit Luft aufgepumpten schwarzen Space-Anzug in "The Rain".
Dagegen sind diese baggy Kreationen, mit denen Billy Eilish Furore machte und die meiner Meinung nach eindeutig in einer Missy-Elliott-Tradition stehen, richtiggehend zahm! Dieses selbstbewusste Raum-Einnehmen war für eine Frau in der damals doch noch sehr männerdominierten Rap-Landschaft sehr ungewöhnlich.

Zu einer positiven Botschaft durchgeboxt

Böttcher: Lässt sich das Gleiche auch über ihre "sexpositiven" Texte sagen? Es gab ja auch damals schon weibliche Sexprotze wie Lil' Kim oder Foxy Brown mit sehr expliziten Texten, aber Missy Elliott spielte da in einer anderen Liga, oder?

Eismann: Genau, auch das waren wichtige Stimmen, um mit diesen Klischees zu brechen. Aber bei Missy Elliott kam aus meiner Sicht noch hinzu, dass ihre Texte über Sex meistens eine spielerische, ironische Note hatten, die man so nicht kannte. Sie macht lautmalerische Sex-Wortspiele, sie macht sich über einen "One-Minute-Man" lustig und ist sich auch nicht zu schade zu sagen, dass sie für Sex nicht immer ein Gegenüber brauche, sondern auch mit sich selbst zufrieden sei. Auch ihre Solidarität mit Sexworkerinnen wie im Track "Work It" war sehr modern.
Da sagt sie ganz klar, dass Frauen sich nicht dafür schämen sollten, in diesem Bereich ihr Geld zu verdienen, denn entweder sie arbeiten "9 to 5" oder sie wackeln eben mit dem Hintern. Das ist umso bemerkenswerter, als sie vor einigen Jahren in einem Interview über ihre sehr harte, von Gewalt und Armut geprägte Kindheit offenbart hat, dass sie als Achtjährige von einem älteren Cousin sexuell missbraucht wurde. Von den traumatischen Erlebnissen hat sie sich also zu einer positiven Botschaft durchgeboxt.

Karriereknick nach langer Erfolgsphase

Böttcher: Was genau ist eigentlich in der Karriere von Missy Elliott passiert, dass sie jetzt kaum noch auftaucht. Eigentlich müssten doch ihre Botschaften von Empowerment oder von Gleichberechtigung doch auch bei jüngeren Fans noch ankommen, die diese Themen gerade sehr wichtig finden. Warum ist Missy Elliott nicht mehr richtig da?
Eismann: Sie hat sicherlich einen Karriereknick erlebt, als sie nach einer Phase des schon fast beängstigenden Erfolges rund um den Jahrtausendwechsel, als sie in acht Jahren sechs Alben herausgebracht hatte, erst einmal zur Ruhe kommen wollte. Bei ihr wurde auch eine Schilddrüsenüberfunktion diagnostiziert, die sie in den Griff bekommen musste. Es gab immer mal wieder punktuell gefeierte Auftritte, wie etwa 2016 mit First Lady Michelle Obama beim "Carpool Karaoke", wo die beiden ums Weiße Haus fahren und gemeinsam mit dem Komiker James Corden "Get Ur Freak On" rappen. Oder ihre Aufnahme als erste Rapperin in die Songwriters‘ Hall of Fame 2019. Aber sie schafft es nicht, ein neues Album zu veröffentlichen, und die EP "Iconology" 2019 war kein großer Erfolg.
Böttcher: Hat diese mangelnde Sichtbarkeit vielleicht auch mit Missy Elliott selbst zu tun? Will sie vielleicht gar nicht gesehen werden?

Eismann: Bei einem Popstar dieses Formats, der schon im Kindergarten immer gesagt hat, er wolle später mal "Superstar" werden, klingt das sicherlich paradox, aber: Da ist schon was dran. Erstens sagt sie selbst immer, sie sei eigentlich schüchtern. Als Kind hätte sie eine Stunde angebettelt werden müssen, doch bitte zu singen. Dann erst sei sie auf den Tisch geklettert und hätte ihn, ganz berauscht, erst nach einer Stunde wieder verlassen.
Ich glaube aber auch, dass die neue Form von Social-Media-Öffentlichkeiten nichts ist, womit sie sich wohlfühlt. Sie hat immer wieder betont, ein "privater" Mensch sein zu wollen und die jahrelangen Spekulationen um ihre Homosexualität stets zurückgewiesen. Auch Angstgefühle und Depressionen machen ihr immer wieder zu schaffen. Da ist eine Starexistenz, die heute quasi nur mit Online-Dauerpräsenz und -transparenz funktioniert, doch eher eine toxische Umgebung.

In den Neunzigern war sie Avantgarde

Böttcher: Das heißt, sie war in gewisser Weise ihrer Zeit voraus und weiß mit der heutigen Zeit nichts mehr anzufangen?
Eismann: Natürlich gab es auch in den Neunzigern schon eine aktive feministische Bewegung, aber die hatte es noch nicht in den Mainstream geschafft wie der Feminismus heute. Deswegen war Missy Elliott, die schon damals intersektional agiert hat, auf jeden Fall eine Form von Avantgarde. Sie hat Bodyshaming genauso abgelehnt, wie sie Rassismus in ihren Videos sichtbar gemacht hat.
Andererseits war sie auch ein Kind ihrer Zeit, weil sie Feminismus nicht als Label benutzt hat, was ja damals auch noch sehr stigmatisiert war. Das wiederum führt heute dazu, dass jüngere Frauen, die sich für Feminismus und Pop interessieren, nicht unbedingt auf sie stoßen.
Ich würde mir daher als kleinen Geburtstagswunsch wünschen, dass Missy Elliott ein bisschen offensiver mit ihrem Vermächtnis umgeht und dass jüngere Musikfans auch mal wieder durch die Archive gehen, die ja zeitlich noch gar nicht so weit weg sind. Aus dieser Symbiose entsteht dann hoffentlich bald ein zukunftsweisendes Knalleralbum von Missy Elliott.
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