Misshandelt, geschlagen, zur Arbeit gezwungen

Von Korbinian Frenzel · 12.06.2009
Kinder, die in den 50er- und 60er-Jahren in deutschen Heimen aufgewachsen sind, wurden oft systematisch misshandelt, geschlagen, zur Arbeit gezwungen oder auch missbraucht. Der Bundestag beschäftigt sich bei einem Runden Tisch mit den Erfahrungen der zwischen 500.000 und 800.000 Kinder, die erst vor wenigen Jahren an die Öffentlichkeit kamen.
Viele Heimkinder haben den Ort, der ihre Familien ersetzen sollte, ohne Schulabschluss, dafür aber mit seelischen Schäden verlassen. Für die Arbeit, die Kinder in deutschen Heimen der 50er- und 60er-Jahre häufig unter Zwang leisten mussten, wurden sie nie bezahlt.

Dietmar Krone, heute Mitte 50, erinnert sich an seine Kindheit.

"Als ich in das Heim eingeliefert wurde, sagte der Direktor wortwörtlich zu mir: 'Schulunterricht gibt es hier nicht. Wir brauchen hier flinke und tüchtige Arbeitskräfte und keine schlauen Gelehrten.' Mir wurde also die Schulbildung verweigert, ebenso auch die berufliche Ausbildung. Wir mussten in dem Heim arbeiten - am Tag bis zu zwölf Stunden unter unmöglichen Umständen, fast unmenschlichen Bedingungen."

Mit den Bildungsreformen der 70er-Jahre fand die eiserne Pädagogik in den Kinderheimen zwar ein Ende. Doch was genau sich hinter den verschlossenen Türen der hauptsächlich von Kirchen betriebenen Heime abspielte, findet erst seit wenigen Jahren den Weg an die Öffentlichkeit.

Dafür gesorgt hat vor allem ein 2006 veröffentlichtes Buch - "Schläge im Namen des Herrn", das die grausamen Erfahrungen ehemaliger Heimkinder dokumentierte. Aus ganz Deutschland gingen daraufhin hunderte Petitionen über ähnliche Schicksale beim Deutschen Bundestag ein.

Der rief deshalb einen Runden Tisch ins Leben - mit Vertretern der Heim-Träger, vornehmlich der katholischen und evangelischen Kirche, sowie Vertretern der Opfer jener Jahre. Geleitet wird er seit Beginn des Jahres durch Antje Vollmer, die ehemalige Vizepräsidentin des Bundestages.

"Eine der Aufgaben wird sein, dieses besondere Unrecht von den allgemeinen Vorstellungen der Zeit zu unterscheiden. Das kann man nicht rein rechtlich machen, sonst wäre es ein Tribunal oder eine Eingabe beim Bundesverfassungsgericht. Also müssen wir mit dem Gespräch anfangen, mit dem Zuhören, mit dem Aufnehmen, mit dem Urteilen."

Vollmers Wunsch, die auf zwei Jahre angesetzte Arbeit des Runden Tisches mit einer "ruhigen Bestandsaufnahme" der Geschehnisse in der Nachkriegszeit zu starten, dürfte sich allerdings kaum erfüllen. Mit der Forderung, einen Entschädigungsfond in Höhe von mindestens 25 Milliarden Euro einzurichten, hat der "Verein der ehemaligen Heimkinder" im Vorfeld der dritten Gesprächsrunde bereits für Zündstoff gesorgt.