Mischwesen mit Fischschwänzen
Verlockend und bedrohlich zugleich: Meerjungfrauen sind ein beliebtes Motiv in der Literaturgeschichte. Der Germanist Andreas Kraß schafft nun Ordnung im Reich der Sirenen, Nixen und Nymphen.
Bei Homer ist es ihr betörender Gesang, der Odysseus und seine Schiffsmannschaft zu verzaubern droht. Die Sirenen der "Odyssee" scheinen nahezu körperlos. Es heißt nur, dass sie auf einer Wiese hocken, "von aufgehäuftem Gebeine / Modernder Menschen umringt und ausgetrockneten Häuten". Stimmliche Verführung und Tod begleiten seitdem das Streben der Männer, die Weltmeere zu beherrschen.
Aus dem einstigen körperlichen Mangel entwickelten sich zahlreiche Fantasien von weiblichen Mischwesen mit Flügeln oder Fischschwänzen, manchmal ganz ohne animalische Attribute. Wo genug Raum ist, wuchert bekanntlich die Imagination. Noch in der Loreley, Inbegriff einer schönen, aber ebenfalls todbringenden Wassernixe, verschränken sich Verlockung und Bedrohung, Liebe und Hass, Schönheit und Grauen, obwohl sie längst mit viel Körper ausgestattet ist.
Bislang hat sich erfreulicherweise gezeigt, dass der bunte Reigen der Sirenen, Melusinen, Undinen, Nixen und Nymphen sich keine Disziplin auferlegen lässt. Denn diese Wesen bilden ein reiches Bild- und Textpotenzial – von Musik ganz zu schweigen –, das Sehnsüchte und Träume, aber auch Traumata beherbergt.
Nun unternimmt der Literaturwissenschaftler Andreas Kraß den Versuch, Ordnung im Reich der geliebten und gehassten Seelenwesen zu schaffen. Er diskutiert die Meerjungfrau als "Sinnbild der Liebe" – einer, wie er bereits im Untertitel verrät, unmöglichen Liebe. Denn die Meerjungfrau repräsentiert "ein männliches Phantasma des Weiblichen, das die Frau als Fee überhöht". Seine Untersuchung versteht sich als eine "Literaturgeschichte der Meerjungfrauen", die auch als "Kulturgeschichte der Geschlechterbeziehungen" gelesen sein will.
Kraß legt seinen vergleichenden Ausführungen eine Typologie zugrunde, die sich an der Epoche (Antike, Mittelalter, Romantik, Moderne), am Namen (Sirene, Melusine, Donauweibchen, Loreley, Undine), an der Anatomie (Vogel, Schlange, Fisch) und der Handlungsrolle (Verderberin, Gebärerin, Verführerin) orientiert.
Das Buch gliedert sich in sieben Kapitel, die jeweils mit der sorgfältigen und exkursreichen Analyse eines sogenannten Haupttextes beginnen, worauf sechs Texte folgen, die epocheübergreifend das vorgegebene Thema variieren. So beginnt das Undine-Kapitel mit Friedrich de la Motte Fouqué und diskutiert anschließend die Metamorphosen der Figur von Albert Lortzing bis Johannes Bobrowski.
Das Diskursprinzip des Autors leuchtet ein und schafft tatsächlich Ordnung. Leider stellt sich dadurch sehr bald eine Lektüreroutine ein, die ermüdet. Mit literarischen Neuentdeckungen wartet Kraß nicht auf. Außerdem arbeitet er mit einem recht weiten Begriff der Meerjungfrau, dem als Geschöpf der Fantasie alles untergeordnet ist.
Besprochen von Carola Wiemers
Andreas Kraß, Meerjungfrauen, Geschichten einer unmöglichen Liebe
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2010
474 Seiten, 24,95 Euro
Aus dem einstigen körperlichen Mangel entwickelten sich zahlreiche Fantasien von weiblichen Mischwesen mit Flügeln oder Fischschwänzen, manchmal ganz ohne animalische Attribute. Wo genug Raum ist, wuchert bekanntlich die Imagination. Noch in der Loreley, Inbegriff einer schönen, aber ebenfalls todbringenden Wassernixe, verschränken sich Verlockung und Bedrohung, Liebe und Hass, Schönheit und Grauen, obwohl sie längst mit viel Körper ausgestattet ist.
Bislang hat sich erfreulicherweise gezeigt, dass der bunte Reigen der Sirenen, Melusinen, Undinen, Nixen und Nymphen sich keine Disziplin auferlegen lässt. Denn diese Wesen bilden ein reiches Bild- und Textpotenzial – von Musik ganz zu schweigen –, das Sehnsüchte und Träume, aber auch Traumata beherbergt.
Nun unternimmt der Literaturwissenschaftler Andreas Kraß den Versuch, Ordnung im Reich der geliebten und gehassten Seelenwesen zu schaffen. Er diskutiert die Meerjungfrau als "Sinnbild der Liebe" – einer, wie er bereits im Untertitel verrät, unmöglichen Liebe. Denn die Meerjungfrau repräsentiert "ein männliches Phantasma des Weiblichen, das die Frau als Fee überhöht". Seine Untersuchung versteht sich als eine "Literaturgeschichte der Meerjungfrauen", die auch als "Kulturgeschichte der Geschlechterbeziehungen" gelesen sein will.
Kraß legt seinen vergleichenden Ausführungen eine Typologie zugrunde, die sich an der Epoche (Antike, Mittelalter, Romantik, Moderne), am Namen (Sirene, Melusine, Donauweibchen, Loreley, Undine), an der Anatomie (Vogel, Schlange, Fisch) und der Handlungsrolle (Verderberin, Gebärerin, Verführerin) orientiert.
Das Buch gliedert sich in sieben Kapitel, die jeweils mit der sorgfältigen und exkursreichen Analyse eines sogenannten Haupttextes beginnen, worauf sechs Texte folgen, die epocheübergreifend das vorgegebene Thema variieren. So beginnt das Undine-Kapitel mit Friedrich de la Motte Fouqué und diskutiert anschließend die Metamorphosen der Figur von Albert Lortzing bis Johannes Bobrowski.
Das Diskursprinzip des Autors leuchtet ein und schafft tatsächlich Ordnung. Leider stellt sich dadurch sehr bald eine Lektüreroutine ein, die ermüdet. Mit literarischen Neuentdeckungen wartet Kraß nicht auf. Außerdem arbeitet er mit einem recht weiten Begriff der Meerjungfrau, dem als Geschöpf der Fantasie alles untergeordnet ist.
Besprochen von Carola Wiemers
Andreas Kraß, Meerjungfrauen, Geschichten einer unmöglichen Liebe
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2010
474 Seiten, 24,95 Euro