Künstlerin Miriam Camerini

Jeden Tag ein bisschen mehr verstehen

06:24 Minuten
Miriam Camerini bei einem Konzert in Weimar: Sie ist Sängerin, Theatermacherin und Literaturwissenschaftlerin.
Theaterregisseurin und Performerin: Miriam Camerini singt beim Eröffnungskonzert des Yiddish Summer Weimar 2021. © picture alliance / dpa / Bodo Schackow
Von Blanka Weber · 05.08.2022
Audio herunterladen
In vielen Religionen wollen Frauen mehr Mitsprache haben und ihre eigenen Wege gehen dürfen. Auch im orthodoxen Judentum sind erste, aber deutliche Veränderungen erkennbar. Miriam Camerini könnte bald die erste orthodoxe Rabbinerin Italiens sein.
Wenn Miriam Camerini singt, ist sie ganz bei sich. Die 39-jährige orthodoxe Jüdin ist in der Purimnacht 1983 in Jerusalem geboren. Aufgewachsen dann in Mailand, in Italien.
„Ich wurde in einer italienischen jüdischen Familie geboren, die es schon seit Jahrhunderten dort gibt. Aber das Besondere: Die Schwester meiner Mutter war eine Theaterdirektorin und ziemlich berühmt. Denn sie arbeitete in einem wieder gegründeten jüdischen Theater, das war in den späten 80ern.“

Redaktionell empfohlener externer Inhalt

Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

Und dieses Theaterleben prägt auch Miriam Camerini. Sie liebt Literatur, hat Theaterwissenschaften in Mailand studiert, sich intensiv mit Lessings Stück „Nathan der Weise“ beschäftigt und mit der Frage: Wie präsent waren eigentlich jüdische Charaktere in deutschen Theaterstücken des 18. Jahrhunderts?
Als Kind ging sie in eine jüdische Schule, befolgte die strengen Regeln der Halacha, hielt Schabbat, las in der Tora.
„Ich wuchs also wirklich damit auf und als ich in den ersten Jahren an der Uni war und später im Theater eine kleine Compagnie leitete, beschloss ich, dass ich mein eigenes Judentum brauche neben dem, was ich von zuhause mitbekommen hatte.“

Das Lernen als roter Faden

Heute ist sie Theaterregisseurin und Performerin. Sie steht auf Bühnen, gibt Seminare zum Judentum und über Rituale, reist zu Tagungen, Konferenzen und hat viele eigene Produktionen im In-, vor allem aber im Ausland.
Mit Alan Bern und dem Yiddish Summer Weimar arbeitet sie seit sieben Jahren zusammen. Hier hat sie auch ein Theaterstück inszeniert und gibt ihr Wissen regelmäßig weiter oder steht selbst auf der Bühne. In diesem Jahr mit einer Workshop-Gruppe, die griechische und jiddische Lieder gelernt haben.
Das Lernen, erzählt sie, ist wie ein roter Faden in ihrem Leben.  Kunst zu machen, Literatur und Texte im Original zu lesen - auf Hebräisch - das gehört auch dazu.

Redaktionell empfohlener externer Inhalt

Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

Doch irgendwann hatte sie ein Schlüsselerlebnis in einer Synagoge in Jerusalem, als sie zwei chassidische Mädchen beobachtete.
„Und ich dachte: Die wissen genau, wo sie hingehören, wer sie sind, was sie wollen im Leben. Ich hatte das alles nicht. Keine Ahnung, wo ich in einem Jahr sein würde und was ich wollte. Das war der Moment, nach dem Sinn meines Lebens zu fragen.“

Plötzlich waren es vier Jahre in Jerusalem

Und genau dieser Moment führte sie wieder nach Jerusalem. Sie schrieb sich in einer religiösen Schule ein, eigentlich nur für ein Semester. Schließlich wurden es vier Jahre, und es begann ein tiefes Studium mit sich selbst und den jüdischen Schriften.
„Der Talmud, die großartige Schrift aus 37 Kapiteln, wir begannen also zu lernen, wie man das lernt. Klar, das dauert ein Leben lang, und genau das habe ich begonnen.“
Jeden Tag ein bisschen mehr verstehen, besser werden, das ist ihr Credo. Ein Leben zwischen Theater, Kunst und dem Judentum. Dem orthodoxen Glauben bleibt sie treu, obwohl sie als Künstlerin ein offenes, liberales Leben schätzt. Vor drei Jahren hat sie nochmals ein Studium begonnen: die Ausbildung zur Rabbinerin. 

Redaktionell empfohlener externer Inhalt

Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

„Je mehr du weißt, um so gewissenhafter bist du und erkennst, was dich erwartet, fühlst dich umarmt und frei darin. Deshalb ist das Lernen so wichtig. Je mehr du weißt, umso stärker bist du zu agieren, an deinen eigenen Entscheidungen zu arbeiten. Am Ende ist es eine starke Ermutigung, gerade im Judentum, immer den eigenen Verstand zu nutzen bei moralischen und in den alltäglichen Dingen.“
Dem Theater wird sie auch in Zukunft treu bleiben, Stücke entwickeln und aufführen, zwischen Italien und dem Rest der Welt pendeln. Ob sie auch in ihrer Heimat als Rabbinerin arbeiten wird? Sie überlegt kurz. Eine Frage, die nicht so klar zu beantworten sei.
„Die orthodoxe Gemeinschaft ist sehr konservativ. Ob man dort eine Frau als Rabbi einstellen würde? Vielleicht noch nicht in der nächsten Zeit. Natürlich gibt es da auch andere Gemeinschaften, die Nichtorthodoxen oder Reformgemeinden, dort gibt es Frauen als Rabbinerinnen, aber das ist ja nicht das, was ich studiere.“
Ein paar Jahre wird es noch dauern, bis sie ihren Abschluss an der speziellen Yeshiva in Jerusalem, der Bet Midrasch Har El - gemacht hat, dann noch mehr weiß über die Schönheit und Tiefe der Religion - und über sich selbst, sagt sie.
Mehr über Rabbinerinnen