Mire Lee im MMK Frankfurt

„Schluss mit all den Diskussionen und Diskursen!“

05:23 Minuten
Blick in die Ausstellung im MMK: Ein auf die Wand mit einem in Flüssigbeton getauchten Zeigefinger geschriebenes Gedicht auf Deutsch, Englisch und Koreanisch.
In dem Gedicht an der Wand heißt es unter anderem: „Ich bin eine Quelle des Schmutzes und ich bin rasend vor Liebe." © Axel Schneider
Von Rudolf Schmitz · 21.05.2022
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Mire Lees Ausstellung im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main ist geprägt von einer Post-Gender-Stimmung. Trotz aller Zitate will sie die Kunst zu einem Punkt treiben, wo es um Sprachlosigkeit und existenzielle Radikalität geht – und das gelingt ihr.
Wo sind wir hier gelandet? Das wirkt wie eine Baustelle: Sechs Betonmischer, die in Intervallen mit ihren mahlenden Geräuschen den Raum erfüllen, und wenn man um sich schaut, offenbar ganze Arbeit geleistet haben, denn die Haut der gesamten Installation ist aus Beton. Mire Lee mustert die martialischen Maschinen mit Wohlgefallen:
„Der Betonmischer war ein gutes Bild für dieses Projekt, weil er ein Loch hat. Das könnte ein Mund oder auch ein Anus sein. Und dann gibt’s da drin diese schwarze Leere. Man kann reingucken – und entdeckt einen Raum. Er ist laut und arbeitet auf stupide und doch perfekte Art und wirkt in seinen Ausmaßen ziemlich massiv. Also ein gutes skulpturales Element.“

Nicht unbedingt anheimelnd, aber doch attraktiv

Und Beton in seiner flüssigen und verfestigten Form ist das entscheidende Material dieser Installation bei der igluförmigen Architektur in der Mitte des Raums. Ihre Struktur ist aus bauüblichen Eisenstangen, mit Stoff umwickelt, der mit flüssigem Beton getränkt wurde. Das Ganze erinnert an die überdimensionalen Spinnenskulpturen von Louise Bourgeois, die ebenfalls durchlässig sind und zugleich eine Hülle bilden. Nicht unbedingt anheimelnd, aber doch attraktiv. 

Die Ausstellung "Mire Lee. Look, I’m a fountain of filth raving mad with love" ist bis zum 4. September 2022 im Zollamt des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt am Main zu sehen.

Susanne Pfeffer, Direktorin des Frankfurter Museums, zum Faible der Künstlerin für harte handwerkliche Arbeit: „Sie hat in den letzten Wochen hier geschweißt und gelötet und mit Zement gearbeitet. Diese Materialität, die eine gewisse Härte hat, letztendlich mit einer enormen existenziellen Körperlichkeit zu verbinden, das ist etwas, was sie interessiert.

Schmutz als Metapher für Arbeit und Erschöpfung

Die klaustrophobische Atmosphäre dieser Installation wird durch betongetränkte Tarnnetze verstärkt, mit denen die großen Fenster des Zollamts verhängt sind. Auf dem Fußboden ein Saum des abgetropften Baumaterials. Das lässt nicht nur den Entstehungsprozess dieser Installation spüren, sondern wirkt schmutzig und organisch, wie eine Schleifspur unserer in Beton gegossenen Städte.
Blick in die Ausstellung: Zwei Betonmischer vor einem Wandfedicht auf Deutsch, Englisch und Koreanisch.
Mire Lee ist fasziniert von Betonmischern.© Axel Schneider
„Ich arbeite mit Bewegung und weichen und harten Materialien, füge sie zusammen, und dann fangen sie an, sich zu verschleißen. Und nach und nach fand ich diese Beschädigungen und den Schmutz attraktiv. Das ist für mich eine universelle Metapher für Arbeit und für Erschöpfung. Und auch dafür, wie wir alle enden", erklärt Mire Lee.  
Wer sich schließlich in diesem von Beton verkrusteten Raum umwendet, liest auf einer großen Wandfläche ein Gedicht – auf Deutsch, Englisch und Koreanisch, mit dem in Flüssigbeton getauchten Zeigefinger geschrieben. Es stammt von einer koreanischen Lyrikerin, die in drastischen Worten von Körpern und Exkrementen, von Begehren und Erniedrigung erzählt: „Ich bin eine Quelle des Schmutzes und ich bin rasend vor Liebe“, heißt es da.

"Schluss mit all den Diskussionen und Diskursen!“

Die Verstörung geht weiter, wenn man einen kleinen Raum in der Nähe der Toiletten betritt. Dort redet die Pornodarstellerin Veronica Moser über eine Sexualpraktik, die „Kaviar“ genannt wird und das Essen von Exkrementen meint. Und sie beschreibt das Erlernen dieser Praktik als Lustgewinn und Selbstermächtigung, gibt freudestrahlend schockierende Antworten auf irritierte Fragen zum Thema der Selbstoptimierung.
Blick in die Ausstellung: Schmutzige Seilen und Ketten auf dem Boden.
Für Mire Lee ist Schmutz die passende Metapher für Arbeit und Erschöpfung.© Yonje Kim
Und Mire Lee scheint da durchaus Parallelen zum Kunstbetrieb der Gegenwart zu sehen: „In der Gegenwartskunst gibt es immer den Druck, sich zu erneuern und mit der Zeit zu gehen. Und in ihrer Antwort habe ich etwas sehr Substanzielles gespürt. Und auch eine absolute Entschlossenheit. Schluss mit all den Diskussionen und Diskursen!“

Post-Gender-Stimmung

Auch wenn Mire Lee eine feministische Lyrikerin zitiert, zeigt sie kein Interesse, feministische Positionen in der Kunst zu beziehen. Es ist eher eine Post-Gender-Stimmung, die hier überwiegt. Und das ist bei aller Verstörungskraft dieser überwältigenden Installation erholsam, als wollte Mire Lee trotz aller Zitate die Kunst zu einem Punkt treiben, wo es um Sprachlosigkeit und existenzielle Radikalität geht.
Dass der Pontopreis des MMK in diesem Jahr die 34-jährige Mire Lee auszeichnet, deren Kunst gerade auch auf der Biennale in Venedig zu sehen war, kann nur Beifall finden. Junge Kunst, wie sie reifer und überzeugender kaum sein könnte.  

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