"Mir fehlt etwas der Charme"
Der frühere ZDF-Journalist Harry Valérien und der bekannteste DDR-Reporter Heinz Florian Oertel blicken auf ihre Berichterstattung bei Olympischen Spielen zurück. "Es ist ganz einfach zu viel", sagte Oertel über die vielen Medienvertreter in Vancouver.
Frank Meyer: Heute Nacht um drei Uhr unserer Zeit beginnen die Olympischen Winterspiele in Vancouver. Wir haben jetzt eine geballte Erfahrung in der Berichterstattung von Winterspielen, von Sportereignissen überhaupt bei uns, zwei Reporter, die zusammen grob gerechnet in einem Zeitraum von 80 Jahren von Olympischen Winterspielen berichtet haben.
Nämlich der bekannteste Sportreporter der DDR, Heinz Florian Oertel, und Harry Valérien, der 25 Jahre lang das "Aktuelle Sportstudio" im ZDF moderiert hat. Seien Sie beide herzlich willkommen, und zuerst die Frage: Wie werden Sie beide das halten mit den kommenden Spielen? Es wird ja wieder eine üppige Fernsehübertragung geben. Werden Sie beide auch Stunde um Stunde vor dem Fernseher sitzen und die Spiele verfolgen, Herr Valérien?
Harry Valérien: Das werde ich nicht. Ich habe in Peking sehr viel gesehen, zu viel nach meiner Einschätzung, aber im Winter durch die Zeitverschiebungen bin ich also nicht neugierig, da nun wiederum eine Nacht oder nächtelang zu sitzen.
Meyer: Aber Ausgewähltes werden Sie sich doch anschauen?
Valérien: Ja, logisch, und ich kriege ja auch in den Zusammenfassungen das Wesentliche gesagt, und das schaue ich mir an, und das werde ich dann, soweit es möglich ist, genießen.
Meyer: Und Herr Oertel, wie halten Sie es, wie viel Spiele tun Sie sich an?
Heinz Florian Oertel: Ich sage das hier mit ganz besonderem Wohlgefallen, weil ich mich freue, Harry zu hören. Ich schließe mich den Worten meines Vorredners bedingungslos an.
Meyer: Und gibt es jetzt in Vancouver ein Ereignis, ein Rennen, ein Duell, auf das Sie besonders gespannt sind?
Oertel: Also ich persönlich freue mich ganz besonders auf die Skispringen, weil ich die früher auch x-mal übertrug, auch bei allen Olympischen Winterspielen, wo ich war. Ja, und Biathlon mag ich auch sehr, also als ganz normaler Zuschauer jetzt. Ich nehme an, Harry wird mehr auch die alpinen Skirennen erwarten. Mit denen hatte ich ja fast nie was zu tun.
Valérien: Na ja, du, vergiss nicht, ich meine, ich habe ja nun aus der DDR, der damaligen, auch einige Skiläufer wie Riedel und andere kennengelernt und auch schätzen gelernt, aber ich muss dir sagen, ich habe beim Eiskunstlaufen der Männer oder der Frauen genauso viel Spaß wie an einem großen Eishockeyspiel oder an einem alpinen Rennen, sei es ein Riesenslalom oder eine Abfahrt.
Meyer: Herr Valérien, Herr Oertel, die Winterspiele werden in diesem Jahr sehr, sehr ausführlich übertragen, überhaupt Sportereignisse werden, haben viel Platz im Fernsehen. Der Nicht-Sportfan wundert sich da immer ein bisschen. Wann hat das denn in Ihrer Erinnerung angefangen, dass Winterspiele und Wintersport so viel Platz im Fernsehen bekommen haben?
Oertel: Ich meine, man kann ja nicht dem Wintersport allein vielleicht den Schwarzen Peter oder einen halben Schwarzen Peter zuschieben. Es hat ja alles überhandgenommen, das Angebot ist ja viel zu stark. Und damit hat man sich ja auch selbst entwertet. Es wird viel zu viel gesendet. Sendete man konzentrierter, meinte ich, wäre es besser - für den Sport und vielleicht auch für den Hörer oder Gucker.
Meyer: Sehen Sie das auch so, Herr Valérien?
Valérien: Also ich habe gestern in unserer Zeitschrift "Sportjournalist" geblättert und habe also – ich sag es jetzt mal heiter – mit Erschrecken festgestellt, das sind ungefähr bei der ARD 100 Reporter und Redakteure in Vancouver, 100 Leute, und beim ZDF noch mal 80. Die 100 kommen, glaube ich, zustande, weil sie ja den Rundfunk abdecken müssen.
Und vergessen Sie nicht, wir waren 1952 vier ausgewählte Reporter, von Rolf Wernecke angefangen über Gerd Mehl, Udo Hartwig und meine Wenigkeit unter dem Teamchef Robert Lembke. Da waren wir vier Mann und mussten das ganze Programm, ich sage noch mal, ohne Fernsehen bestreiten. Das war der Anfang. Das hat sich dann natürlich hochgeschaukelt bis heute, und von den Summen, die dafür bezahlt werden, gar nicht zu reden.
Meyer: Wie verändert das denn die Berichterstattung selbst, das ist ja ein riesiger Gegensatz, von vier Mann fürs Radio bis zu diesen Reportermengen heute. Wie verändert das das Berichten von den Olympischen Spielen?
Oertel: Es ist ganz ,einfach zu viel und ich höre es ja auch aus den Worten von Harry. Ich meine, nur die halbe Mannschaft wäre notwendig. Wir waren 88 in Seoul, das waren unsere letzten Olympischen Spiele, also vonseiten des DDR-Rundfunks und -Fernsehens, da waren 38 Menschen, 38 mit allem rundherum, also auch den eigenen Kameramännern und so weiter. Und von bundesrepublikanischer Seite waren 500 dabei, 500. Und da muss man dann immer wieder staunen, wenn geklagt wird: Wir haben zu wenig Geld, wir haben zu wenig Geld!
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir reden mit zwei großen Sportreportern aus Ost und West, mit Heinz Florian Oertel und mit Harry Valérien über die Olympischen Winterspiele. Sie haben gerade die beiden Teams erwähnt, Herr Oertel, mit durchaus unterschiedlicher Stärke - 38 da, 500 da. Wie war das denn damals auch für Sie beide miteinander – damals zurzeit des Kalten Krieges waren ja auch die Olympischen Spiele Teil der Systemauseinandersetzung –, wie war das für Sie beide, waren Sie füreinander Repräsentanten verfeindeter Systeme?
Valérien: Also wenn Sie mich fragen, von dem Wort verfeindet habe ich nie was gehört. Erstens war die Zeit zu jung, als dass man die Feindschaft schon wirklich gespürt hätte, und ich weiß gar nicht, Heinz, ob wir uns damals in Oslo irgendwo getroffen und gesprochen haben, das weiß ich gar nicht.
Meyer: Oslo wäre der Anfang, als Sie 1952 zum ersten Mal beide bei Olympischen Spielen waren.
Oertel: Ja, also was Harry sagt, das unterstreiche ich auch. Wir sind natürlich zuerst eigene Wege gegangen, dann hat man sich im Laufe der Jahre oder diese Abfolge der Olympischen Spiele da und dort flüchtig kennengelernt, manchen bald etwas näher kennengelernt, aber von Verfeindung oder so oder von nur anfeinden und bösen Begegnungen kann ich überhaupt nichts berichten, überhaupt nichts.
Meyer: Aber direkt zusammengearbeitet haben Sie auch nicht?
Oertel: Nein, das war getrennt, das war nun mal so, und die Trennung kam ja nicht von uns, nicht von Harry, nicht von mir.
Meyer: Ich würde gerne noch mal auf die Berichterstattung selbst zurückkommen. Es gab in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vor vier Jahren im Abschlussbericht zu den Winterspielen in Turin einen Kommentar, der sich befasste mit der Berichterstattung aus Turin, und dort konnte man lesen, ich zitiere mal: "Ich sehne mich nach Harry Valérien, der ließ Verschmitztheit und Ironie zu, der war hart in der Sache, lustig in der Konversation …". Und dann geht die Loge noch eine ganze Weile weiter. Herr Valérien, da vermisst Sie einer schmerzlich in diesem Kommentar. Was hat sich aus Ihrer Sicht denn am Stil der Sportberichterstattung heute, was hat sich da geändert im Vergleich zu Ihrer Zeit?
Valérien: Ja, wissen Sie, ich habe den Unterschied deutlich gemacht in einem Artikel, der heute oder gestern erschienen ist, wo der Unterschied liegt. Ich habe gesagt, mir fehlt etwas der Charme, mir fehlt etwas, dass die Berge auf den Lippen herüberkommen, dass man merkt, dass das ein Ereignis ist, das auch einen anderen Blickwinkel zulassen sollte und nicht, dass wir uns, fast hätte ich gesagt, manchmal soldatisch benehmen und dabei vergessen, dass das ja ein Spiel oder ein Sport und ein Spiel ist.
Oertel: Wenn ich darf, möchte ich einen Gedanken noch an Harrys Gedanken anfügen. Nach meiner Überzeugung ist in diesen Jahrzehnten ein großer Unterschied gewachsen. Unsere Generation sah noch diese Reihenfolge: erst der Sportler und dann wir, die Vermittler. Die vermitteln dürfen, das ist ein Geschenk. Heute sehen sich viele umgekehrt. Wir sind die Macher und die Sportler liefern nur das Material. Und ich halte diese Grundveränderung für eine ziemliche Katastrophe.
Meyer: Es gibt eine andere Katastrophe, auf die man schauen muss in den letzten Jahren leider immer wieder, wenn es um Sportereignisse geht. Es gab ja auch in Turin einen großen Dopingskandal bei den österreichischen Langläufern und Biathleten. In diesem Jahr wird die deutsche Eisschnellläuferin Claudia Pechstein nicht nach Vancouver fahren können wegen der Dopingvorwürfe gegen sie. Wie geht Ihnen das mit den Dopingfällen im Wintersport, verdirbt Ihnen das die Freude an dem Sport?
Valérien: Ja, ich muss Ihnen sagen, das Ganze wird uns solange verfolgen, solange es den Hochleistungssport mit all seinen Auswüchsen gibt. Und davon ist auch die Jetztzeit nicht verschont geblieben und sie wird nicht verschont bleiben. Aber ich schalte deshalb so wenig wie ich in Peking abgeschaltet habe, weil mich das interessiert. Oder selbst die Tour de France - ich habe vor 30 Jahren eine dreiteilige Sendung gemacht über Doping im "Sportstudio" und bin dabei also ziemlich auf Widerstand gestoßen, weil es Leute gab und auch Kollegen, die meinten, Harry, das ist doch nicht unsere Geschichte. Sag ich, doch, und wenn es nicht unsere Geschichte wäre, dann würde ich es zu unserer Geschichte machen. Und ich höre nicht auf, darüber zu reden und darüber – beinahe hätte ich das Wort gewagt – zu richten, wenn ich nicht dabei sein darf oder wenn ich mich dazu nicht äußern dürfte.
Oertel: Ich möchte nur noch eins anfügen: Man vergisst immer wieder, bewusst oder unbewusst, aber für mich ist es die Erklärung, das Schärfste, das Schlimmste, das Alles-kaputt-Machendste Dopingmittel ist das Geld. Deswegen wird betrogen. Aber wer geht darauf ein, welche Rolle das Geld im Sport spielt? In unseren 50 Jahren, die wir beide das erlebt haben, haben wir noch andere Zeiten erlebt. Es ging immer um Geld, natürlich, um Gewinn(en) im weitesten Sinne des Wortes, aber die Erscheinungen, die jetzt gewachsen sind, sind ja nur Krankheitsmerkmale noch.
Meyer: Jetzt wissen wir nicht, was wir für Winterspiele vor uns haben, heute Nacht werden sie erst beginnen in Vancouver, deswegen lassen Sie uns noch einmal zurückschauen: Was waren denn für Sie jeweils die schönsten, die sportlich spannendsten, die ergreifendsten Winterspiele? Herr Oertel, vielleicht fangen Sie an!
Oertel: Also ich könnte natürlich, wie Harry auch, 100 Geschichten erzählen, aber für mich steht fest – das gilt für vieles im Leben, nicht nur für mein Reporterleben, aber auch sonst: Die ersten Eindrücke sind immer die wichtigsten und die bleibendsten. Ich komme im Gegensatz zu Harry Valérien aus dem Flachland, ich bin ein Niederlausitzer. Wir hatten ein Hügelchen vor Cottbus, der war 60 Meter überm Meeresspiegel. Also ich habe schon nur gestaunt, wenn ich größere Berge sah, und dann Menschen, die da mit Skiern herunterfahren konnten oder sogar über Schanzen springen. Also für mich war das Ursprünglichste überhaupt, dass ich miterlebte, bei 52 eben angefangen, war das Staunen und das Überwältigende, und da bin ich auch dem Sport dankbar.
Meyer: Herr Valérien, Sie kannten die Berge schon, als Sie zu Ihren ersten Spielen kamen, oder?
Valérien: Ja, ganz klar, und ich muss Ihnen sagen, für mich ist es auch so - beinahe hätte ich gesagt, wie jungfräuliche Begegnungen: Ich würde nichts über Oslo 52 stellen, es sei denn, ich klammere mit ein Lillehammer 94. Das sind für mich die Eckpfeiler und die am meisten mich beeindruckenden Spiele gewesen, und sie werden es wohl auch für lange Zeit bleiben.
Meyer: Heute Nacht beginnen die Olympischen Winterspiele in Vancouver, bei uns eingeläutet von zwei Sportreporter-Legenden, von Heinz Florian Oertel und von Harry Valérien. Vielen Dank an Sie beide!
Valérien: Vielen Dank an Sie!
Oertel: Alles Gute für dich, Harry!
Valérien: Dir auch alles Gute!
Nämlich der bekannteste Sportreporter der DDR, Heinz Florian Oertel, und Harry Valérien, der 25 Jahre lang das "Aktuelle Sportstudio" im ZDF moderiert hat. Seien Sie beide herzlich willkommen, und zuerst die Frage: Wie werden Sie beide das halten mit den kommenden Spielen? Es wird ja wieder eine üppige Fernsehübertragung geben. Werden Sie beide auch Stunde um Stunde vor dem Fernseher sitzen und die Spiele verfolgen, Herr Valérien?
Harry Valérien: Das werde ich nicht. Ich habe in Peking sehr viel gesehen, zu viel nach meiner Einschätzung, aber im Winter durch die Zeitverschiebungen bin ich also nicht neugierig, da nun wiederum eine Nacht oder nächtelang zu sitzen.
Meyer: Aber Ausgewähltes werden Sie sich doch anschauen?
Valérien: Ja, logisch, und ich kriege ja auch in den Zusammenfassungen das Wesentliche gesagt, und das schaue ich mir an, und das werde ich dann, soweit es möglich ist, genießen.
Meyer: Und Herr Oertel, wie halten Sie es, wie viel Spiele tun Sie sich an?
Heinz Florian Oertel: Ich sage das hier mit ganz besonderem Wohlgefallen, weil ich mich freue, Harry zu hören. Ich schließe mich den Worten meines Vorredners bedingungslos an.
Meyer: Und gibt es jetzt in Vancouver ein Ereignis, ein Rennen, ein Duell, auf das Sie besonders gespannt sind?
Oertel: Also ich persönlich freue mich ganz besonders auf die Skispringen, weil ich die früher auch x-mal übertrug, auch bei allen Olympischen Winterspielen, wo ich war. Ja, und Biathlon mag ich auch sehr, also als ganz normaler Zuschauer jetzt. Ich nehme an, Harry wird mehr auch die alpinen Skirennen erwarten. Mit denen hatte ich ja fast nie was zu tun.
Valérien: Na ja, du, vergiss nicht, ich meine, ich habe ja nun aus der DDR, der damaligen, auch einige Skiläufer wie Riedel und andere kennengelernt und auch schätzen gelernt, aber ich muss dir sagen, ich habe beim Eiskunstlaufen der Männer oder der Frauen genauso viel Spaß wie an einem großen Eishockeyspiel oder an einem alpinen Rennen, sei es ein Riesenslalom oder eine Abfahrt.
Meyer: Herr Valérien, Herr Oertel, die Winterspiele werden in diesem Jahr sehr, sehr ausführlich übertragen, überhaupt Sportereignisse werden, haben viel Platz im Fernsehen. Der Nicht-Sportfan wundert sich da immer ein bisschen. Wann hat das denn in Ihrer Erinnerung angefangen, dass Winterspiele und Wintersport so viel Platz im Fernsehen bekommen haben?
Oertel: Ich meine, man kann ja nicht dem Wintersport allein vielleicht den Schwarzen Peter oder einen halben Schwarzen Peter zuschieben. Es hat ja alles überhandgenommen, das Angebot ist ja viel zu stark. Und damit hat man sich ja auch selbst entwertet. Es wird viel zu viel gesendet. Sendete man konzentrierter, meinte ich, wäre es besser - für den Sport und vielleicht auch für den Hörer oder Gucker.
Meyer: Sehen Sie das auch so, Herr Valérien?
Valérien: Also ich habe gestern in unserer Zeitschrift "Sportjournalist" geblättert und habe also – ich sag es jetzt mal heiter – mit Erschrecken festgestellt, das sind ungefähr bei der ARD 100 Reporter und Redakteure in Vancouver, 100 Leute, und beim ZDF noch mal 80. Die 100 kommen, glaube ich, zustande, weil sie ja den Rundfunk abdecken müssen.
Und vergessen Sie nicht, wir waren 1952 vier ausgewählte Reporter, von Rolf Wernecke angefangen über Gerd Mehl, Udo Hartwig und meine Wenigkeit unter dem Teamchef Robert Lembke. Da waren wir vier Mann und mussten das ganze Programm, ich sage noch mal, ohne Fernsehen bestreiten. Das war der Anfang. Das hat sich dann natürlich hochgeschaukelt bis heute, und von den Summen, die dafür bezahlt werden, gar nicht zu reden.
Meyer: Wie verändert das denn die Berichterstattung selbst, das ist ja ein riesiger Gegensatz, von vier Mann fürs Radio bis zu diesen Reportermengen heute. Wie verändert das das Berichten von den Olympischen Spielen?
Oertel: Es ist ganz ,einfach zu viel und ich höre es ja auch aus den Worten von Harry. Ich meine, nur die halbe Mannschaft wäre notwendig. Wir waren 88 in Seoul, das waren unsere letzten Olympischen Spiele, also vonseiten des DDR-Rundfunks und -Fernsehens, da waren 38 Menschen, 38 mit allem rundherum, also auch den eigenen Kameramännern und so weiter. Und von bundesrepublikanischer Seite waren 500 dabei, 500. Und da muss man dann immer wieder staunen, wenn geklagt wird: Wir haben zu wenig Geld, wir haben zu wenig Geld!
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir reden mit zwei großen Sportreportern aus Ost und West, mit Heinz Florian Oertel und mit Harry Valérien über die Olympischen Winterspiele. Sie haben gerade die beiden Teams erwähnt, Herr Oertel, mit durchaus unterschiedlicher Stärke - 38 da, 500 da. Wie war das denn damals auch für Sie beide miteinander – damals zurzeit des Kalten Krieges waren ja auch die Olympischen Spiele Teil der Systemauseinandersetzung –, wie war das für Sie beide, waren Sie füreinander Repräsentanten verfeindeter Systeme?
Valérien: Also wenn Sie mich fragen, von dem Wort verfeindet habe ich nie was gehört. Erstens war die Zeit zu jung, als dass man die Feindschaft schon wirklich gespürt hätte, und ich weiß gar nicht, Heinz, ob wir uns damals in Oslo irgendwo getroffen und gesprochen haben, das weiß ich gar nicht.
Meyer: Oslo wäre der Anfang, als Sie 1952 zum ersten Mal beide bei Olympischen Spielen waren.
Oertel: Ja, also was Harry sagt, das unterstreiche ich auch. Wir sind natürlich zuerst eigene Wege gegangen, dann hat man sich im Laufe der Jahre oder diese Abfolge der Olympischen Spiele da und dort flüchtig kennengelernt, manchen bald etwas näher kennengelernt, aber von Verfeindung oder so oder von nur anfeinden und bösen Begegnungen kann ich überhaupt nichts berichten, überhaupt nichts.
Meyer: Aber direkt zusammengearbeitet haben Sie auch nicht?
Oertel: Nein, das war getrennt, das war nun mal so, und die Trennung kam ja nicht von uns, nicht von Harry, nicht von mir.
Meyer: Ich würde gerne noch mal auf die Berichterstattung selbst zurückkommen. Es gab in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vor vier Jahren im Abschlussbericht zu den Winterspielen in Turin einen Kommentar, der sich befasste mit der Berichterstattung aus Turin, und dort konnte man lesen, ich zitiere mal: "Ich sehne mich nach Harry Valérien, der ließ Verschmitztheit und Ironie zu, der war hart in der Sache, lustig in der Konversation …". Und dann geht die Loge noch eine ganze Weile weiter. Herr Valérien, da vermisst Sie einer schmerzlich in diesem Kommentar. Was hat sich aus Ihrer Sicht denn am Stil der Sportberichterstattung heute, was hat sich da geändert im Vergleich zu Ihrer Zeit?
Valérien: Ja, wissen Sie, ich habe den Unterschied deutlich gemacht in einem Artikel, der heute oder gestern erschienen ist, wo der Unterschied liegt. Ich habe gesagt, mir fehlt etwas der Charme, mir fehlt etwas, dass die Berge auf den Lippen herüberkommen, dass man merkt, dass das ein Ereignis ist, das auch einen anderen Blickwinkel zulassen sollte und nicht, dass wir uns, fast hätte ich gesagt, manchmal soldatisch benehmen und dabei vergessen, dass das ja ein Spiel oder ein Sport und ein Spiel ist.
Oertel: Wenn ich darf, möchte ich einen Gedanken noch an Harrys Gedanken anfügen. Nach meiner Überzeugung ist in diesen Jahrzehnten ein großer Unterschied gewachsen. Unsere Generation sah noch diese Reihenfolge: erst der Sportler und dann wir, die Vermittler. Die vermitteln dürfen, das ist ein Geschenk. Heute sehen sich viele umgekehrt. Wir sind die Macher und die Sportler liefern nur das Material. Und ich halte diese Grundveränderung für eine ziemliche Katastrophe.
Meyer: Es gibt eine andere Katastrophe, auf die man schauen muss in den letzten Jahren leider immer wieder, wenn es um Sportereignisse geht. Es gab ja auch in Turin einen großen Dopingskandal bei den österreichischen Langläufern und Biathleten. In diesem Jahr wird die deutsche Eisschnellläuferin Claudia Pechstein nicht nach Vancouver fahren können wegen der Dopingvorwürfe gegen sie. Wie geht Ihnen das mit den Dopingfällen im Wintersport, verdirbt Ihnen das die Freude an dem Sport?
Valérien: Ja, ich muss Ihnen sagen, das Ganze wird uns solange verfolgen, solange es den Hochleistungssport mit all seinen Auswüchsen gibt. Und davon ist auch die Jetztzeit nicht verschont geblieben und sie wird nicht verschont bleiben. Aber ich schalte deshalb so wenig wie ich in Peking abgeschaltet habe, weil mich das interessiert. Oder selbst die Tour de France - ich habe vor 30 Jahren eine dreiteilige Sendung gemacht über Doping im "Sportstudio" und bin dabei also ziemlich auf Widerstand gestoßen, weil es Leute gab und auch Kollegen, die meinten, Harry, das ist doch nicht unsere Geschichte. Sag ich, doch, und wenn es nicht unsere Geschichte wäre, dann würde ich es zu unserer Geschichte machen. Und ich höre nicht auf, darüber zu reden und darüber – beinahe hätte ich das Wort gewagt – zu richten, wenn ich nicht dabei sein darf oder wenn ich mich dazu nicht äußern dürfte.
Oertel: Ich möchte nur noch eins anfügen: Man vergisst immer wieder, bewusst oder unbewusst, aber für mich ist es die Erklärung, das Schärfste, das Schlimmste, das Alles-kaputt-Machendste Dopingmittel ist das Geld. Deswegen wird betrogen. Aber wer geht darauf ein, welche Rolle das Geld im Sport spielt? In unseren 50 Jahren, die wir beide das erlebt haben, haben wir noch andere Zeiten erlebt. Es ging immer um Geld, natürlich, um Gewinn(en) im weitesten Sinne des Wortes, aber die Erscheinungen, die jetzt gewachsen sind, sind ja nur Krankheitsmerkmale noch.
Meyer: Jetzt wissen wir nicht, was wir für Winterspiele vor uns haben, heute Nacht werden sie erst beginnen in Vancouver, deswegen lassen Sie uns noch einmal zurückschauen: Was waren denn für Sie jeweils die schönsten, die sportlich spannendsten, die ergreifendsten Winterspiele? Herr Oertel, vielleicht fangen Sie an!
Oertel: Also ich könnte natürlich, wie Harry auch, 100 Geschichten erzählen, aber für mich steht fest – das gilt für vieles im Leben, nicht nur für mein Reporterleben, aber auch sonst: Die ersten Eindrücke sind immer die wichtigsten und die bleibendsten. Ich komme im Gegensatz zu Harry Valérien aus dem Flachland, ich bin ein Niederlausitzer. Wir hatten ein Hügelchen vor Cottbus, der war 60 Meter überm Meeresspiegel. Also ich habe schon nur gestaunt, wenn ich größere Berge sah, und dann Menschen, die da mit Skiern herunterfahren konnten oder sogar über Schanzen springen. Also für mich war das Ursprünglichste überhaupt, dass ich miterlebte, bei 52 eben angefangen, war das Staunen und das Überwältigende, und da bin ich auch dem Sport dankbar.
Meyer: Herr Valérien, Sie kannten die Berge schon, als Sie zu Ihren ersten Spielen kamen, oder?
Valérien: Ja, ganz klar, und ich muss Ihnen sagen, für mich ist es auch so - beinahe hätte ich gesagt, wie jungfräuliche Begegnungen: Ich würde nichts über Oslo 52 stellen, es sei denn, ich klammere mit ein Lillehammer 94. Das sind für mich die Eckpfeiler und die am meisten mich beeindruckenden Spiele gewesen, und sie werden es wohl auch für lange Zeit bleiben.
Meyer: Heute Nacht beginnen die Olympischen Winterspiele in Vancouver, bei uns eingeläutet von zwei Sportreporter-Legenden, von Heinz Florian Oertel und von Harry Valérien. Vielen Dank an Sie beide!
Valérien: Vielen Dank an Sie!
Oertel: Alles Gute für dich, Harry!
Valérien: Dir auch alles Gute!