Minilautsprecher im Innenohr

Von Michael Engel |
Wenn die Gehörknöchelchen im Mittelohr "verkalkt" sind, hilft ein normales Hörgerät nicht mehr weiter. "Aktive Mittelohrimplantate" können die Gehörknöchelchen ersetzen und obendrein die Geräusche aus der Umwelt verstärken, bevor sie auf das Innenohr übertragen werden.
"Ich muss noch ein bisschen die Tasche vergrößern, damit wir nachher das Implantat auch gut einführen können."

Prof. Thomas Lenarz ist in seinem Element. Der HNO-Mediziner implantiert gerade ein neuartiges Hörgerät. Das Ganze bei einem Kongress live übertragen in den Hörsaal. Das Gerät besteht aus einem implantierten, unter der Haut liegenden Teil. Später - nach der Wundheilung - wird die äußere, hinter dem Ohr sitzende Elektronik angeschlossen. Jürgen Hofmann aus Nordhorn hat diese Prozedur schon hinter sich.

"Also nach dem Eingriff musste ich erst mal nach Hause und konnte auch gar nichts hören. Da musste die Wunde erst mal verheilen. Und dann musste ich ungefähr nach drei Wochen wieder hin. Und kriegte ich das Implantat auf die Ohren gesetzt. Ich bin aufgestanden. Ich war so was von ausgewechselt. Und ich fühle mich einfach wohl."

Normalerweise sind die Gehörknöchelchen zuständig für die Schallübertragung im Mittelohr. Bei "Otosklerose" - defekten Knochen - kann ein Hörgerät leider nicht mehr helfen. Auch künstliche Gehörknöchelchen aus Titan bringen häufig nicht den gewünschten Erfolg, denn der Schallverlust ist bei solchen "passiven Systemen" enorm. Wenn dann noch eine Innenohrschwerhörigkeit dazu kommt, verstehen die Patienten nur noch Bahnhof.

"Bevor wir das jetzt hier einsetzen, wollen wir erst wissen, ob das Implantat überhaupt funktioniert. Und deswegen machen wir jetzt erst mal einen Test."

Das Gerät hört auf den Namen "DACS" - für "Direct Acoustic Cochlear Stimulator", erklärt Prof. Thomas Lenarz später im Interview.

"Bei DACS handelt es sich um ein implantierbares Hörgerät, bei dem ein kleiner Lautsprecher direkt in das Innenohr eingepflanzt wird. Also dort, wo die Sinneszellen sitzen. Man umgeht dabei die gesamte Wegstrecke vom äußeren Gehörgang – Trommelfell, Mittelohr – und geht dabei direkt ins Innenohr. Sodass man die Schallwellen, die erzeugt werden von diesem kleinen Lautsprecher, sehr effektiv direkt an den Ort des Hörgeschehens bringt."

Mehrere Mikrofone, im Hörgerät hinter dem Ohr, fangen den Schall ein. Mit dieser "Mehrmikrofontechnik" werden Störgeräusche minimiert. Elektronik verstärkt das Ganze und überträgt die Daten drahtlos auf den implantierten Teil. Dort werden die Funksignale umgewandelt, in ganz normale Schallschwingungen, die dann mit Hilfe eines nur Streichholz dünnen "Aktors" auf das Innenohr übertragen werden. Die defekten Gehörknöchelchen werden so geschickt umgangen.

"Das Entscheidende ist ja, dass wir eine mechanische Kopplung erreichen müssen. Das heißt, sie müssen im Prinzip dafür sorgen, dass dieser Kolben ausreichend tief, aber auch nicht zu tief in das Innenohr eintaucht. Und da reden wir über Zehntelmillimeter, die zu berücksichtigen sind."

Der Eingriff erfordert höchste Präzision vorbei an mehreren, sehr empfindlichen Nerven. Dann muss das Gerät auch noch innen am Schädelknochen verschraubt werden.

"Sie sehen jetzt also, das Implantat ist im Knochenbett, ist hier verankert, sodass es sich jetzt nicht mehr bewegen kann."

2009 begannen die Mediziner mit den Operationen. Damals dauerte der Eingriff neun Stunden. Heute sind es nur noch zwei und fast schon Routine. Jürgen Hofmann erhielt das Mittelohrimplantat vor einem Jahr.

"Ich komme damit bestens zurecht. Ich bin auch beruflich tätig als freier Handelsvertreter, muss dadurch natürlich viele Kundengespräche führen, muss natürlich auch telefonieren, kann auch wieder telefonieren im Auto. Und das wird alles viel leichter."

50 Millionen Euro kostete die Entwicklung des Mittelohrimplantats. Besonders großer Wert wurde auf die "elektromagnetische Verträglichkeit" gelegt. Das heißt, auf eine geringe Störanfälligkeit, wenn andere Elektrogeräte in der Nähe sind. Telefonieren mit dem Handy? Kein Problem, sagt der Audiologe Dr. Hamidreza Mojallal.

"Wir haben bei solchen Patienten nur eine einzige Limitation – Beschränkung – in Bezug auf elektromagnetische Felder. Und das ist, dass diese Patienten nicht in ein MRT kommen können, diese Kernspintomografie. Aber alles andere, im Flughafen, da wird nichts Großartiges passieren."

Rund 500.000 Patienten könnten nach Einschätzung der Experten allein in Deutschland von den neuartigen Hörgeräten profitieren. Bislang allerdings nur Erwachsene, weil das implantierte Gerät im Schädel justiert werden muss. Der Knochen darf dann nicht mehr wachsen. Doch bald – so die Hoffnung – wird es "aktive Mittelohrimplantate" wohl auch für Kinder geben. Die Minilautsprecher schwimmen dann frei im Innenohr.