Mindestlohn in der Warteschleife

Von Martin Steinhage |
Das Thema Mindestlohn bleibt weiter Streitthema in der großen Koalition - allerdings sind die Regierungsparteien nicht so zerstritten, wie es die Opposition gerne hätte. Heute diskutierte der Bundestag in einer Aktuellen Stunde den Konfliktstoff.
Die Diskussion um Mindestlöhne treibt gelegentlich seltsame Blüten. So erlebte heute der Bundestag eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema auf Verlangen einer knallgelb-dunkelroten Mesalliance. Wollten doch FDP und Linke in seltener Eintracht die Zerstrittenheit der großen Koalition in dieser Frage der interessierten Öffentlichkeit vorführen. Indes war der Dissens zwischen Rot und Schwarz dann nicht von der Art, wie sich das die Opposition vielleicht erhofft hatte.

Denn mit einem deutlichen "pacta sunt servanda" stellten sich die Unions-Vertreter erneut hinter den mit der SPD vereinbarten Post-Mindestlohn. Auch wenn die Redner von CDU und CSU kaum einen Zweifel daran ließen, dass sie grundsätzlich gegen jede Form staatlicher Lohnfestsetzung weiterhin Vorbehalte haben. Nur, wortbrüchig gegenüber der SPD will man im Unionslager nicht werden. Der Vorwurf des Wortbruchs soll offenbar allein bei den Sozialdemokraten angesiedelt bleiben, wenngleich in anderem Zusammenhang.

Eigentlicher Auslöser der heutigen Parlamentsdebatte war ein kürzlich ergangenes Verwaltungsgerichtsurteil. Darin hatte das Berliner Gericht den Mindestlohn für die Briefzusteller für rechtswidrig erklärt. Begründung: Die entsprechende Rechtsverordnung des Bundesarbeitsministeriums sei unzulässig, weil mit ihr ein konkurrierender Tarifvertrag übergangen worden sei.

Der Richterspruch hat die Koalitionäre - und da vor allem die SPD - überrascht, mit so etwas hatte man nicht gerechnet. Nun erwarten die Granden von Union und SPD, dass das Urteil in der folgenden Instanz gekippt wird. Sicher ist das freilich nicht. Klar ist dagegen nur: Bis zur nächsten Gerichtsentscheidung wird es gut ein halbes Jahr dauern. Und danach könnte noch weitere Zeit ins Land gehen, sollte die Angelegenheit abschließend vor dem Bundesverwaltungsgericht landen - wofür vieles spricht.

So lange aber sind Arbeitsminister Scholz die Hände gebunden, auch wenn er das nicht wahrhaben will. Mit unverhohlener Freude - aber eben auch mit vollem Recht - weist die Union darauf hin, dass bei den jetzt anstehenden Debatten über weitere gesetzgeberische Maßnahmen beim Mindestlohn das Verwaltungsgerichtsurteil nicht ignoriert werden könne.

Was im Klartext so viel heißt wie: An dieser Stelle kommt die SPD erst einmal nicht wirklich weiter. Jedenfalls immer dann nicht, wenn es in einer Branche mehr als einen Tarifvertrag gibt. Und das ist der Regelfall. Man denke nur an die Zeitarbeit, der die Sozialdemokraten jetzt als nächster Branche über die Aufnahme in das Entsendegesetz zu einem allgemein verbindlichen Mindestlohn verhelfen möchten. Daraus dürfte erst einmal nichts werden. Aber aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben…