Minderheitenschutz

Zuflucht für Christen aus dem Irak

Mahnwache für assyrische Christen in Berlin
Mahnwache für assyrische Christen in Berlin © picture alliance / dpa / Tim Brakemeier
Von Ursula Welter · 08.09.2015
In Paris berät die internationale Gemeinschaft über Schutz und Hilfe für bedrohte Minderheiten. Eine der derzeit massiv bedrohten Communities sind die Christen im Libanon, in Syrien und im Irak. Vor allem der Terror der IS-Milizen treibt diese Minderheit in die Flucht.
Wie hier, in der Rue Pajol in Paris , stehen vielerorts in Frankreich christliche Kirchen neben muslimischen Gebetsräumen und indischen Tempeln. Alle in einer Straße. Die indische Gemeinde feiert an diesem Tag ihr "Ganesh-Fest“. Rund um den Eingang der Kirche "Notre Dame“, die von außen wie ein Wohnhaus aussieht, tummeln sich Frauen in bunten Saris, Männer ohne Schuhe und Oberkleidung stehen Spalier vor dem indischen Tempel. Gleich nebenan strömen die Christen zur Messe. Eine einfache Glastür führt in ein schlichtes Gebäude, in eine andere Welt.

"Das ist eine irakische Kirche, chaldäisch, über der Tür steht ja 'Notre Dame de Chaldée', katholisch, aber alle Christen aus dem Irak, katholisch oder nicht, kommen jeden Sonntag hierher zur Messe."

Elish Yako ist ein netter Kerl. Freundliche Augen, bescheidene Gesten, sanfte Stimme. Er leitet die Organisation A.E.M.O. Sie hilft Christen, die vor dem Terror der IS-Milizen fliehen müssen, in Frankreich Fuß zu fassen. Seine Muttersprache ist aramäisch. "C’est ma langue maternelle." - Die Sprache Christus'.

Die Gemeinschaft der chaldäischen Christen ist eine der ältesten überhaupt. Elish Yako lebt seit den siebziger Jahren in Frankreich, er hat beide Nationalitäten, die irakische und die französische. Nach seinem Wirtschaftsstudium blieb er in Frankreich. Heute ist Elish Yako der Mann, auf dessen Handy täglich Hilferufe eingehen. Familien, die aus dem Irak fliehen wollen, weil ihr Leben bedroht ist.
Jeden Tag kommen "Helft uns"-Anrufe
"Sie rufen uns jeden Tag an: 'Helft uns!'"
"Frankreich akzeptiert den Christen des Vorderen Orients, Asyl zu gewähren, unter der Bedingung, dass es eine Gastfamilie gibt."

Elish Yako vermittelt die Familien, die bereit sind Flüchtlinge für einige Monate aufzunehmen, damit diese selbst Wohnraum suchen und die Formalitäten in Frankreich erledigen können. 2000 Visa mit Asylrecht hat Frankreich bereits ausgestellt, eine Form des besonderen Asyls für die bedrohte, christliche Minderheit:

"Wir werden die deutschen Behörden bitten, ebenfalls eine solche Sonderregelung zu schaffen."

"Wir bitten um nur 3000 Plätze", sagt Yako, und zwar für 'echte' Flüchtlinge, die bedroht sind, verfolgt werden.

"Es gibt eine kleine Kirche oben, im ersten Stock. Wir feiern die Messe, haben Sie Zeit?"
Obwohl es im Großraum Paris Attentatsversuche gegen christliche Kirchen gab, ist die Gemeinde nicht gesondert geschützt, "noch nicht !", betont Elish Yako.

Ein rechteckiger Raum, etwa 100 Menschen zelebrieren die Messe, teils in arabischer, teils in aramäischer Sprache. Junge und Alte sind westlich, sommerlich gekleidet, nur wenige Frauen haben durchsichtige, weiße Spitzentücher über ihr Haar gelegt

"Wegen des indischen Festes nebenan ist die Messe heute nicht so gut besucht", sagt Elish Yako. Ein Chor aus sechs jungen Männern und Frauen in roten Gewändern begleitet die Messe, der Raum ist Weihrauch geschwängert, die Ventilatoren unter dem Bildnis des Apostel Thomas kommen kaum gegen die Sommerhitze an.

In der ersten Bank betet ein grauhaariger Mann, neben ihm seine elegante Ehefrau. Eine der Töchter, ein zartes Mädchen mit rötlichem Haar, hilft bei der Gabenzubereitung.

"Flüchtlinge“, sagt Elish Yako. Und er gibt dem Ehepaar nach der Messe ein Zeichen. Während die Gemeinde, wie stets, die Messfeier mit Kuchen und Kaffee ausklingen lässt, haben Wissam Khalaf und seine Frau an einem Tisch in der Bibliothek Platz genommen:

"Wir stammen aus Mossul."
"Als bekannt wurde, dass die Terrorgruppen des IS da waren, sind alle Christen aus ihren Häusern geflohen."
"Wir haben alles zurückgelassen, unser Haus, unsere Möbel…."

Madame Khalaf unterstreicht mit trauernden Blicken die Worte ihres Mannes. "Sogar die Fotos", sagt sie, "unser ganzes Leben."
"Wir haben unser Haus um Mitternacht verlassen."
In Mossul flohen fast alle Christen
Die Eheleute Khalaf sind Ingenieure, haben an der Universität gelehrt und gearbeitet.
"Sie müssen sich vorstellen, wir waren donnerstags noch im Büro, und montags auf der Flucht vor dem IS-Terror und alles verloren.

Die Khalafs kamen vor einem Jahr in Frankreich ab, mit drei Kindern, die älteste Tochter musste ihr Architekturstudium abbrechen, der Sohn steckte mitten im Abitur, die jüngste Tochter ist 15.

Die verfolgten Christen glauben nicht an eine Rückkehr.

"Wir hoffen nur, dass die Lage in Frankreich und Europa stabil bleibt, wir hören, dass es hier nun auch islamistische Zellen gibt, wie im Irak….."

Um der Kinder willen, wollen die Khalafs dennoch in Frankreich bleiben. Eine Sozialwohnung wurde den irakischen Ingenieuren bereits zugewiesen, ihr Haus, ihr Hab und Gut, fast vierzig Jahre Berufsleben, ihre Kirchen-Gemeinde, haben sie verloren. Aber sie wollen nach vorne schauen, sich anpassen. Und als Frau Kahalaf nach ihrem Alter gefragt wird, kontert sie wie eine alteingesessene Pariserin:

"Das beantworte ich nicht …."
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