Millionär ohne Gewähr

Von Andrea Westhoff · 05.10.2005
Vor 50 Jahren, am 9.10.1955, fand zum ersten Mal die Ziehung des Zahlenlottos "6 aus 49" statt. Seitdem werden jede Woche mehrere Millionen Lottoscheine verkauft. Während viele auf das unwahrscheinliche Glück hoffen, endlich alle Zahlen richtig zu tippen, sind die Gewinner meist nicht besonders froh: Sie bekommen Millionen Euro - aber nicht die Gewähr, damit glücklich zu werden.
"Start frei für die Ziehung der Lottozahlen"

... die erste Zahl... was kommt als erste Zahl?

Lottoziehung: "Zwei"

Nein! Wieder nichts! Vorbei! Keine sechs Richtigen...

Mathematiker: "Ja, die Chance auf den großen Gewinn liegt bei eins zu 14 Millionen."

Umfrage: "Spielen Sie Lotto?
Sehr, sehr selten.
Nein, weil wir alles haben, was wir brauchen. Und wir das annehmen, was Gott uns schenkt und nicht irgendwas erzwingen wollen.
Wir sparen jede Woche Geld ein.
Weil die Wahrscheinlichkeit doch gegen Lotto spricht, aber man lässt sich manchmal hinreißen.
Ja.
Weil wir auch mal gerne gewinnen wollen."

Lottoziehung: "...und die 24, damit stehen die sechs Richtigen fest!"

"Die Hoffnung ist ein Seil, auf dem viele Narren tanzen!" Auch wenn es manchmal nicht so aussieht: Die Deutschen lieben das Risiko - jedenfalls im Spiel. Glücksspiele haben Hochkonjunktur. Ein Drittel aller erwachsenen Bürger spielt regelmäßig um Geld. Und am beliebtesten ist Lotto. Horst Mentrup, Geschäftsführer der Land Brandenburg Lotto-GmbH weiß auch, warum:

"Lotto ist ja eigentlich ein sehr einfaches Spiel, und die Begeisterung der Spieler für dieses Spiel kommt einmal aus dem häufigen Gewinnerlebnis, das heißt, drei Richtige hat man schon des öfteren oder vier vielleicht auch mal, und sie kommt natürlich auch aus der Magie der großen Zahl."

Mehrere Millionen Lottoscheine werden Woche für Woche verkauft. Ein Tipp kostete anfangs 50 Pfennig, inzwischen sind es 75 Cent.

Lottofrau: "...und jeder hofft auf das unwahrscheinliche Glück: Na klar, heute ist mein Glückstag. – War er leider nie. (lacht)"

Runge: "Ich habe immer noch den Glauben an das Glück, ich habe einen Abospielschein, den ich seit 25 Jahren spiele, der höchste Gewinn, den ich hatte, waren mal vier Richtige, waren damals noch 103 D-Mark, Gott, ist nicht viel, aber der Mensch freut sich und ich hab mich auch gefreut."

Größeren Gewinn – und noch dazu einen garantierten – machen die Lotterieveranstalter, trotz Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und Konsumflaute.

Mentrup: "Der deutsche Lotto- und Totoblock macht im Jahr rund 8,5 Milliarden Euro an Umsatz – und diese Zahl ist in den letzten Jahren eigentlich immer gleich geblieben."

Die 49 Kugeln – und damit "der Rubel" – rollen in Deutschland seit 50 Jahren. Es begann zur Zeit des Wirtschaftswunders: Die Leute hatten wieder Geld und vor allem den Kopf frei für Freizeit und Vergnügen. Es gab schon Fußballwetten – "Toto" – und nun das "Zahlen-Lotto". Der große Vorteil: Man brauchte keine Expertenkenntnisse, Fortunas Lächeln konnte jeden streifen – ganz zufällig…

Sonntag 9. Oktober 1955, 16 Uhr, Hotel "Mau" am Holstenwall in Hamburg: Der Notar Walter Kuckuck zeigt den 30 anwesenden Zuschauern die Plastikkugeln mit den verschlossenen Losröllchen darin. Er wirft sie in die große Lostrommel, und das Waisenkind Elvira Hahn zieht die ersten sechs Lottozahlen heraus. Eine viertel Million Scheine waren abgegeben worden, aber keiner hatte die sechs "richtigen" Zahlen getippt - Kein Wunder, sagt der Mathematiker Alfred Töpper:

Töpper: "Chancen für den ganzen großen Gewinn sind unwahrscheinlich, extrem unwahrscheinlich. Und trotzdem tritt dieses Ereignis ein."

Sechs Wochen später tippten dann gleich drei Spieler die sechs Richtigen - und im September 1956 hatte Deutschland den ersten Lottomillionär.

Aus einer Lottoziehung: "... die Fünf"

Denn das moderne Zahlenlotto geht auf das so genannte "Lotto di Genova" zurück, das erstmals 1575 stattfand: Das war eigentlich kein Spiel, sondern Teil einer ganz modernen Senatorenwahl in Genua. In den Großen Rat der Stadt wurden aus einer neunzigköpfigen Liste fünf Bürger hineingelost. Aber die Genueser nahmen es spielerisch und schlossen Wetten auf die betreffenden Kandidaten ab. Bald trat Benedetto Gentile auf den Plan, ein gewiefter Geschäftsmann. Er schrieb statt der Namen Zahlen auf die Lose, verkaufte sie und so entstand das Lottospiel "5 aus 90", das sich schnell in ganz Italien und dann auch in Europa verbreitete.

Wiederum ein Italiener, ausgerechnet Giacomo Casanova, brachte das Lottospiel "5 aus 90" nach Deutschland. Nach Preußen, genauer gesagt, zu Friedrich dem Großen. Casanova überzeugte den König davon, dass er auf diese Weise dem Volk eine Art freiwillige Steuer abnehmen könne:

"Sire, es ist eine Steuer der exzellenten Gattung, wenn der König den Gewinn nützlichen Zwecken zuführt."

Bis heute ist Lotto in Deutschland Staatsangelegenheit. Dr. Horst Mentrup von der Brandenburg Lotto-GmbH:

"Die Veranstaltung von Glücksspielen in der Bundesrepublik ist ja eigentlich verboten. Und der Gesetzgeber hat Erlaubnisse erteilt und Bedingungen festgesetzt, unter denen dann Glücksspiele veranstaltet werden dürfen. Zu diesen Bedingungen gehört auch "die Abschöpfung von Gewinnmöglichkeiten."

"Erst kommt das Staatsäckel, dann kommt die Moral!" Die Lotteriesteuer auf die Einsätze liegt bei gut 16 Prozent, und außerdem müssen die Spielveranstalter sogenannte Konzessionsabgaben bezahlen, die noch mal bei 20 bis 24 Prozent liegen.

Mentrup: "Auf dem deutschen Markt tummeln sich aber auch andere, zugelassene und nicht zugelassene Lotterien. Zugelassen sind die Klassenlotterien und die Fernsehlotterien und die Sparkassen und die Volksbanken, die Gewinn- und PS-Sparen und ähnliches machen, nicht zugelassene, nicht konzessionierte sind solche, die sich zum Teil auf ehemalige DDR-Lizenzen berufen, zum Teil aber auch ohne Lizenzen aus dem europäischen oder außereuropäischen Ausland mit Vermittlungsbüros oder übers Internet agieren. Gerade diese Lotterien spielen in einer völlig anderen Welt, weil sie natürlich kaum Abgaben oder Lotteriesteuern zahlen und insofern massiven Spielraum haben, den deutschen Markt anzugreifen."

"Angreifen" heißt: Sie bieten viel höhere Gewinnquoten an und machen den staatlichen Lotteriegesellschaften die Einzahler abspenstig. Für den "Otto Normalspieler" eigentlich verlockend. Aber, so Horst Mentrup: das Risiko bei solchen Glücksspielen Geld zu verlieren, ist auch höher:

Mentrup: "Wir haben auch schon Fälle erlebt in der Bundesrepublik, wo eine Lotterie in dem Zeitpunkt, in dem sie auszahlen musste, sich plötzlich bewusst war, dass sie keine Konzession in der Bundesrepublik hat. So ein Fall ist mal in NRW vom Gericht verhandelt worden. Die sagen, "wieso, wir sind doch illegal!"- mit der Begründung haben sie die Auszahlung dann verweigert. Kommt alles vor!"

Beim staatlichen Lotto wird immerhin garantiert, dass die Hälfte aller Einsätze als Gewinn ausgeschüttet wird. Und da Lotto Ländersache ist, wird das Spiel zum föderalen Zankapfel der jungen Bundesrepublik.

Berlin, Westberlin, ist etwas früher dran und startet schon 1953 mit dem klassischen Genueser Lotto "5 aus 90". Die Stadt braucht Geld für den Wiederaufbau und die "Frontstellung". Und Lotto läuft äußerst erfolgreich. Bald stammen 60 Prozent der Einnahmen von "Fernwettern" aus Westdeutschland. Aber dort ist man nun sauer wegen der entgangenen Steuern. Zunächst wird die Werbung für das Berliner Lotto verboten, schließlich will die Ministerpräsidentenkonferenz die Berliner sogar per Beschluss zwingen, ihr Lotto einzustellen. Bürgermeister Otto Suhr mahnt:

"Niemand kann mehr bedauern wie ich, dass aus dem Lotto eine politische Angelegenheit geworden ist. Es ist sicherlich richtig, dass Berlin aus diesem Lottogeschäft profitiert für soziale Zwecke. Und es wäre schmerzlich, wenn Berlin diese Einnahmen verlieren würde."

Es entbrennt ein erbitterter Konkurrenzkampf verschiedener Lotteriesysteme, schließlich wird ein neues Zahlenlotto aus der Taufe gehoben: "6 aus 49" - wegen der besseren Gewinnchancen. Anfangs bilden nur vier Bundesländer einen "Lotto- und Totoblock", bald aber treten alle bei, zum Schluss auch Berlin. Ab 1959 winkt für alle Bundesbürger das Glück der 49 Kugeln. Und auch die DDR sucht ihr Heil im Spiel.

Schon 1953 startet die "Berliner Bärenlotterie": Symbolträchtig sitzt auf jedem Lottoschein das Wappentier vor dem roten Rathaus und macht seine Kreuze. 1954 wird "VEB Zahlenlotto" in Leipzig gegründet. Das Motto: "Zum Nutzen für alle - Gewinn auch für sie!" Man spielt wie in Westberlin zuerst "5 aus 90" - und die Sportwette Toto gab es auch. Aber anders als im Westen sind "Lotto-Lotti" und "Toto-Otto" ein trautes Paar.

Nach der Wende erlebt das Volks-Glücksspiel eine besonders schnelle Vereinigung, denn die Leute spielen lieber West- als Ostlotto - wegen der höheren Gewinne.

Aus einer Ziehung: "Jetzt geht es um neun Millionen Euro in der ersten Gewinnklasse."

Umfrage: "Spielen Sie Lotto?
Wenn 12 Millionen im Jackpot sind.
Nein, ich spiele kein Lotto. Weil wir jedes mal gewinnen, wenn wir nicht spielen: den Einsatz.
Nicht regelmäßig, aber ab und an schon. Um mal einfach ein bisschen Glück zu haben.
Gelegentlich mal ja, das kann ich nicht ganz abstreiten, allerdings mit mäßigem Erfolg, ja.
Wir spielen kein Lotto. Weil ich mir keine Chancen ausmale.
Spielen Sie Lotto?
Ja, weil wir auf sechs Richtige hoffen. "

Sechs Richtige sind sehr unwahrscheinlich: Wer mitten in einer Großstadt, nur für einen Augenblick, seinen Traumpartner zu erkennen glaubt und dann auf gut Glück irgendeine Telefonnummer wählt, hat mehr Chancen, genau denjenigen zu erwischen.

Trotzdem: Von 1955 bis heute hat es schon 4700 Lotto-Millionäre gegeben, allein in der ersten Hälfte 2005 56 Euro-Millionäre. Lottospielen gehört zum Alltag, man erledigt es beim Einkauf schnell mit, im Geschäft an der Ecke, beim Zeitung- oder Zigarettenholen.

Im Lottoladen: "Einmal das Terminal hier, dann kommen die Spielquittungen raus, hier liest man diesen Schein mit den Kreuzchen ein, und drüben is noch mal ein Display für die Kunden, wo die nachlesen können, was sie gewonnen haben."

Praktisch im gleichen Moment wird alles registriert in einem der Rechenzentren, das jede Lottogesellschaft hat:

Runge: "Das ist die Zentrale, d.h. alle Spielaufträge, kommen in unser Rechenzentrum, werden hier ausgewertet und werden dann von hier aus weiter bearbeitet..."

...erklärt Lothar Runge, der EDV-Leiter im Berliner Rechenzentrum. Bis in die achtziger Jahre wurden die gelochten Scheine noch mit einer Schablone von Hand geprüft, mühsam und zeitraubend. Dann gab es bis Mitte der 90er Jahre elektronische Lesegeräte, die 80 - 100.000 Lottoscheine pro Stunde auswerten konnten. Und jetzt wird alles von Computern in Sekundenschnelle erledigt.

Runge : "Alle Informationen, die auf dem Spielschein stehen, die werden hier an die Zentrale übertragen, sofern sie in der Zentrale übertragen worden sind, kriegen Sie eine Spielauftragsnummer, und eine Quittung ausgedruckt und von der Verkaufsstelle ausgehändigt, und damit können Sie sicher sein, dass Ihr Spielauftrag an der nächsten Ziehung oder an den nächsten Ziehungen teilnimmt."

Und nichts kann schief gehen?

Runge: "Es kann schief gehen, aber wir hatten zum Glück noch keine großartigen Pannen, es sei denn, es ist ein Stromausfall, da können wir nichts gegen tun, weil unser Terminal benötigt natürlich auch Strom. Nicht nur Strom, sondern auch Netzleitungen von der Telekom, wobei allerdings diese Netzleitungen so abgesichert worden sind, dass selbst bei Ausfall einer Leitung eine Back-Up-Leitung greift."

Technisch scheint also alles sicher, jetzt muss nur noch das Glück mitspielen. Ein Glück, das sich in immer größeren Zahlen ausdrückt, weiß die freundliche Frau im kleinen Lottoladen.

"Manche wollen einfach nur mal ein bisschen mehr gewinnen, manche meinen, eine Million reicht, für manche sind 500.000 schon genug. Und die eine Kundin, die hatte gemeint, aber ganz ernsthaft, "eine Million reicht doch gar nicht, kriegt man doch hier nicht mal ein Haus für." Und dann gibt’s natürlich ganz, ganz viele, die spielen, wenn ein hoher Jackpot ist. Je höher der Jackpot, desto mehr Kunden spielen, also auch eben Kunden, die sonst gar nicht Lotto spielen, die sagen "ach komm, lass uns doch heute mal", also da sind die Einnahmen viel höher als sonst."

Ein Jackpot entsteht, wenn niemand die sechs Richtigen getippt hat. Dann wandert das Geld in einen Topf fürs nächste Mal - und so weiter.

Im Januar 2004 erreicht eine Frau aus Baden-Württemberg den bislang höchsten Einzelgewinn der deutschen Lottogeschichte: 20,2 Millionen Euro. Und im Dezember 2004 gibt es den höchsten Jackpot überhaupt mit 26,7 Millionen Euro. Den "müssen" sich aber zwei aus Westfalen teilen.

Grüsser-Sinopoli: "Spielen ist ja etwas, was den Menschen ja erstmal von Geburt aus begleitet. Wir lernen spielend, wir spielen in der Freizeit, wir lernen bestimmte Verhaltensweise über Spiele, aber manche Spiele bergen ein Suchtpotential."

Dr. Sabine Grüsser-Sinopoli ist Leiterin der interdisziplinären Forschungsgruppe "Spielsucht" an der Berliner Charité.

Grüsser-Sinopoli: "Es sind sicherlich nicht alle Spiele, aber es sind diese Spiele, die schnell eine Belohnung anzeigen, wie z.B. Glücksspiele, wo die Belohnung dann über Geld, und Geld hat einen sehr starken Belohnungseffekt, funktioniert."

Spielen kann süchtig machen, sogar Lotto. Angeblich sechs Prozent der Glücksspielabhängigen in Deutschland können vom Lotto nicht lassen. Vor allem, sagen die Experten, weil solche immens hohen Jackpots angeboten werden. Lotto-Geschäftsführer Horst Mentrup:

"Wir nehmen diese Hinweise durchaus ernst. Und die Landeslotteriegesellschaften haben in ihren gemeinsamen Teilnahmebedingungen fürs Lottospielen durchaus festgelegt, dass der Jackpot keine völlig überdimensionierten Höhen erreichen soll. Wenn 14 Ausspielungen, d.h. sieben Wochen lang, der Jackpot nicht geknackt worden ist, wird er auf die nächst niedrigere Gewinnklasse verteilt. Auf diese Art und Weise sorgen wir dafür, dass die Summen nicht zu hoch werden. Derartige Spielanreize, wie wir sie von der europäischen Lotterie "Euromillions" zum Beispiel kennen, mit über 100 Millionen Gewinnsumme, oder aus italienischen oder amerikanischen Lotterien kennen, gibt in der Bundesrepublik nicht."

Die Landeslotteriegesellschaften geben außerdem Flyer zum Thema Spielsucht heraus, die man im Internet findet und auch in jeder Lottoverkaufsstelle bekommt. Darin heißt es unter anderem:

"Probleme können sich ergeben, wenn Ihre Spielausgaben deutlich höher ausfallen, als Sie üblicherweise für Freizeitspaß ausgeben oder wenn der Familienunterhalt wegen des Spiels gefährdet wird - kurz: wenn Sie über ihre Verhältnisse spielen. ... Erhalten Sie sich den Spaß am Spiel, nehmen Sie es nicht zu ernst, vor allem hüten Sie sich davor, mit aller Macht Geld gewinnen zu wollen."

Aber: Eine gewisse Suchtgefahr können schon die ersten sechs Kreuzchen mit sich bringen, sagt die "Lottofrau" um die Ecke:

"Also es gibt sehr viele Kunden, die immer die gleichen Zahlen spielen. Also die kommen immer mit ihrem festen Schein und spielen das seit 20 oder mehr Jahren, können natürlich auch nicht aufhören, weil: es könnte ja danach der Gewinn kommen. Es haben uns Kunden auch schon erzählt, dass sie halt einmal vergessen haben und dann hätten sie einen richtig großen Gewinn gehabt. Also das haben wir schon öfter gehört."

Es ist überhaupt kurios, wie manche Leute auf ihre Zahlen kommen. Einer, der als Kriegsgefangener bei den Amerikanern war, nahm seine Lagernummer und das Jahr der Gefangennahme - und wurde Millionär. Ein anderer schaffte es mit der Telefonnummer des Pfandleihers. Und ein Tierfreund lässt seinen Wellensittich allwöchentlich Nummernkärtchen aus einem Kasten picken, und hofft so auf die sechs Richtigen.

Mentrup: "Manchmal sind die richtigen sechs Zahlen vielleicht auch nicht die ganz richtigen sechs Zahlen."

...weiß allerdings Horst Mentrup. "Quotenkiller" nennt man das dann.

Mentrup: "Am 4. Oktober 1997 haben 124 deutsche Lottospieler erfahren müssen, dass sie ganz offensichtlich alle zusammen nach dem gleichen Muster ein U auf ihrem Tippschein abgebildet haben. Folge war, dass sie jeder gerade einmal knapp 50.000 D-Mark gewonnen haben. Diese Erfahrung machen wir immer wieder. Sobald sich Strickmuster auf dem Schein wiederfinden, gehen die Quoten in den Keller und natürlich auch, sobald sich die Zahlen alle miteinander in dem Bereich bewegen, der die Geburtsdaten umfasst."

Aus einer Lottoziehung: "...und das ist die Superzahl, die 8."

Mathematisch ist es klar: Jede der 49 Kugeln wird mit der gleicher Wahrscheinlichkeit gezogen. Trotzdem haftet Lotto immer ein bisschen "Zahlenmagie" an: Die 32 ist die am häufigsten gezogene Zahl der letzten 50 Jahre - in der Samstagsziehung. Mittwochs dagegen fiel die 32 bislang am seltensten. Und bei der ersten Ziehung 1955 war die erste gezogene Zahl ausgerechnet die 13 - die wiederum ansonsten in der gesamten Lottogeschichte am wenigsten gezogen wurde.

Überhaupt: Die Ziehung der Lottozahlen - ein ungeheuer spannender Akt. Anfangs fand sie jeden Sonntag an wechselnden öffentlichen Orten statt, immer mit einem Waisenkind als "Glücksbringer", manchmal im Radio übertragen:

"Er greift hinein, übergibt die Kugel dem Ziehungskommissar, dieser öffnet sie, das Papierröllchen wird herausgeholt. Die Nummer 30, 3-0, wird einem weiteren Mitarbeiter gezeigt und dem Publikum, schätzungsweise 200 Personen."

Aber ein richtiges Volksereignis wird es dann ab 1965, mit der ersten Live-Ziehung im Fernsehen am 4. September. Von nun an ist Samstag "Lotto-Tag". Die erste "Lottofee" ist Karin Dinslage. Dann, ab 1967, lauschen Millionen gespannt, wenn Karin Tietze-Ludwig sagt:

"Der Aufsichtsbeamte hat sich vom ordnungsgemäßen Zustand des Ziehungsgerätes und der 49 Kugeln überzeugt."

Über ihren ersten Auftritt erzählt sie später:

"Ich war ungeheuer aufgeregt. Mir ging dauernd durch den Kopf, dass es um sehr viel Geld geht und dass ich mich daher auf keinen Fall versprechen darf."

Inzwischen heißt die Lottofee Franziska Reichenbacher. Die Studio-Dekoration ist moderner, die Musik "jünger", aber ansonsten ist die Lottoziehung immer noch für Millionen ein unverzichtbares TV-Ereignis.

Aus einer Lottoziehung: "Samstag für Samstag schaut die Fernsehglücksfee zu Ihnen ins Wohnzimmer. Hoch über Frankfurt, da, wo die Millionäre gemacht werden."

Live aus dem 52. Stock des Frankfurter Main Tower, in fast 200 Meter Höhe. Motto: "Der Traum vom Millionär. Einmal ganz oben sein!"

Aus einer Lottoziehung: "Die Jubiläumszahlen sind gefallen, hoffentlich waren viele Treffer dabei. Die Lottozahlen: 5, 20, 24, 41, 4, 49... "

Runge: "Die Zahlen werden gezogen, dann bekommen wir hier in der Zentrale Meldungen, diese Zahlen geben wir dann in unseren Computer und dann starten wir die Gewinnermittlung, und damit können Sie sicher sein, dass wir alle Gewinner ermitteln können, die an dieser Auslosung teilnehmen."

Wenn die Kugeln gefallen sind, steht das Glück fest. Technisch kann dann nichts mehr schief gehen - und auch sonst gibt’s keine Manipulationsmöglichkeiten, versichert Lothar Runge vom Lotto-Rechenzentrum.

Die Quittung ist der Schlüssel zum Glück, denn auf den Spielscheinen steht kein Name. Horst Mentrup von der Brandenburger Lottogesellschaft:

Mentrup: "Wir kennen unsere Kunden, die im Internet spielen, wir kennen unsere Kunden, die per Dauerauftrag über die Zentralen der Lotteriegesellschaften spielen, aber wir kennen natürlich nicht unsere Kunden, die in den einzelnen Lottoverkaufs- oder Lottoannahmestellen ihre Tipps abgeben, weil diese Tipps natürlich anonym sind. D.h., wer gewonnen hat, muss sich zunächst mal melden."

...beziehungsweise direkt in die Lottoannahmestelle gehen:

Lottoladen: "Bis 500 Euro wird in den Annahmestellen ausgezahlt, und wenn man mehr hat, dann bekommt man so einen Schein, da steht dann drauf "Herzlichen Glückwunsch – Zentralgewinn!" Damit muss man dann in die Lottozentrale."

Mentrup: "Das höchste Gut der Lotteriegesellschaften ist das so genannte Spielergeheimnis. D.h. wir versuchen natürlich, diejenigen, die große Gewinne gemacht haben, auch zu schützen vor der Öffentlichkeit, vor der Neugier, vor der Presse usw. Dies führt dazu, dass wir Namen und erst recht Anschriften von Gewinnern absolut geheim halten."

Hat ein Groß-Gewinner sich gemeldet, schickt die Lottogesellschaft den "Glücksboten" los - ein diskreter, vertrauenswürdiger Mitarbeiter, der möglichst unauffällig beim Gewinner zu Hause vorbeischaut. Er übergibt den Scheck oder füllt eine Überweisung aus - und bietet Hilfe an. Die ist oft bitter nötig, erzählen alle Lottoboten. Denn nur selten treffen sie auf vor Glück strahlende Gewinner.

Meist sind es eher völlig entnervte Leute, die zwei Tage nicht mehr geschlafen haben - nicht so sehr wegen der Freude, sondern oft auch, weil sie die Quote nicht kennen, gar nicht wissen, was "sechs Richtige" für sie letztlich bedeuten. Und richtig geht der Stress erst los, wenn wirklich die Millionen winken, weiß Lotto-Experte Horst Mentrup:

"In der Regel muss denen schon gesagt werden, dass sie möglichst versuchen anonym zu bleiben, möglichst nicht große Feste sofort am Samstagabend veranstalten, sondern in aller Ruhe und mit noch viel mehr Ruhe versuchen, sich Gedanken zu machen über die Anlage und über den Umgang mit diesem Geld. Und dabei können wir nicht direkt helfen, wir können aber Empfehlungen aussprechen, mit wem sie sich möglicherweise besprechen."

Natürlich gibt es gute Geschichten von neuen Lottomillionären, manchmal hat Fortuna ein glückliches Händchen...

...wie bei dem Handwerksmeister, der zwei Millionen Euro gewann, gerade als sein kleiner Betrieb kurz vor der Pleite stand. Der wollte nicht um die Welt reisen und das süße, faule Leben genießen. Er bezahlte lieber seine acht Gesellen, zusammen brachten sie die Firma wieder in Schwung - und er arbeitete glücklich bis... ja solange, wie er eben wollte und konnte.

Aber leider gibt es auch Geschichten vom unglücklichen Millionär...

...wie "Lotto-Lothar": Er hatte mit seinem Bruder 7,8 Millionen Mark gewonnen. Doch während der eine auf dem Teppich blieb, hob Lothar völlig ab. Vier Jahre lebte er in Saus und Braus, kaufte sich schnelle Autos, trank und feierte ohne Ende, umgab sich mit schönen Frauen, verschenkte teuren Schmuck - und starb schließlich: "Magendurchbruch" - mit 53. "Gekämpft, gehofft und doch verloren" steht auf seinem Grabstein.

Eine "Überdosis Glück", hieß es in der Presse. Auch wenn es banal klingt: Geld allein macht nicht glücklich. Geld macht Angst. Angst, es zu verlieren. "Plötzliches Glücks-Syndrom" haben amerikanische Forscher die Krankheit der Lottogewinner getauft: Angst, Depressionen, Stresssymptome - und soziale Isolation. Reichtum durch Spiel, durch Zufall, nicht "ehrlich erarbeitet", wie es dann heißt, das erzeugt Neid, beschert einem falsche Freunde oder vertreibt die wirklichen durch Misstrauen.

Wohl deshalb meldete sich im Jahr 2004 ein Neun-Millionen-Lottogewinner nicht - bis kurz vor Ablauf der 13-Wochen-Frist. Er hatte die Suchaktion von "Westlotto" über Medien und Plakate mit verfolgt. Aber der Mann aus Dortmund wollte unbedingt anonym bleiben, sich alles in Ruhe durch den Kopf gehen lassen. Er fürchtete, sein Leben könnte aus den Fugen geraten - und hat sich dann entschlossen, die komplette Summe für soziale Zwecke zu spenden.

"Gutes tun" - das liegt durchaus in der Natur des Lottospielens: Die Konzessionsabgaben und Lotteriesteuern fließen in die Länderhaushalte. Zwar regeln alle Bundesländer den Umgang mit Lottomitteln unterschiedlich, aber grundsätzlich werden sie vor allem für Gemeinnütziges ausgegeben.

In der Bundeshauptstadt wurde eine spezielle Lotto-Stiftung gegründet, die jährlich mehr als 70 Millionen Euro für Projekte ausgibt. Stiftungsdirektor Hans-Georg Wieck:

"Es gibt eine sehr facettenreiche Ausschüttungspolitik, die wir haben. Sehr beliebt und in der Bevölkerung auch immer mit einer großen Akzeptanz ausgestattet sind die Zuwendungen, die wir den tiergärtnerischen Anlagen gegeben haben, aber auch im kulturellen Bereich haben wir sehr viele Investitionen, wir haben jetzt zuletzt die Sammlung Gabler für das Brücke-Museum angeschafft, wir sind jetzt dabei, die Sammlung Ulli Richter zu ermöglichen, im sozialen Bereich haben wir viele Mittel ausgegeben für Behindertenwerkstätten und wir sind unter anderem auch Eigentümer von Mehrfachbehinderten-Einrichtungen."

Auch wer spielt - und verliert - gewinnt.

Wieck: "Ja, das ist ja eigentlich unsere Maxime, dass der Lottospieler, auch für den Fall, dass er nun nicht drei Richtige oder mehr hat, einen Teil dazu beiträgt, dass er in der Stadt komplementär neben den Haushaltsausgaben, die das Land macht, etwas erreicht."

Auf gut Glück spielen und Glück bringen hat sich zu einem festen Prinzip in Deutschland entwickelt.

Neben den Projekten aus Lottomitteln gibt es schon seit den 50er Jahren die ARD-Lotterie "Ein Platz an der Sonne" etwa, oder seit den 60er Jahren die "Aktion Sorgenkind" - heute "Aktion Mensch" - zur Unterstützung behinderter Mensch, mit Millionen-Gewinnen, Traumhäusern, Lebensrenten - meist in einer aufwändigen TV-Unterhaltungsshow verpackt. Und es gibt ein gutes Gefühl...

...das fast so gut ist, wie das Gefühl, einmal ein Gewinner zu sein. Der Schauspieler Curt Bois, anlässlich seines siebzigsten Geburtstages nach verbliebenen Träumen gefragt, antwortete:

"Da wäre mein größter Wunsch: sechs Richtige!"

Und was dann?

Umfrage: "Ein Häuschen im Grünen.
Ich würde mal einen Tag ruhig sitzen und überlegen.
Schätzungsweise noch mal studieren und vielleicht ein Jahr im Ausland verbringen.
Da würden wir uns am liebsten ein schönes großes Haus bauen, und mal richtig schön Traumurlaub machen.
Mich freuen und dann mal weitergucken.
Wahrscheinlich gibt’s ein paar in der Familie, die ich mit unterstützen würde.
Ich glaube, erstmal schweigen und tief durchatmen, und dann, ich denk mal, nicht sehr viel anders leben als heute, nur vielleicht etwas gelassener."

Fortuna - die Göttin: Auf einer geflügelten Kugel bewegt sie sich durch die Welt - und wen sie anlächelt, dem winkt das Glück....

Aus einer Lottoziehung: "Der Traum vom Millionär: Ich drück Ihnen die Daumen, dass der große Treffer auch einmal für Sie dabei ist."
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