Milchsäure statt Metall

Von Michael Engel · 09.02.2013
Verengte oder verschlossene Herzkranzgefäße führen nicht selten zu einem Herzinfarkt. Um ein krankes Gefäß zu reparieren, setzen Kardiologen in der Regel Stents ein. Seit Neuestem gibt es nun solche Gefäßstützen, die nicht mehr aus Metall bestehen und sich im Körper sogar auflösen.
Normalerweise werden die Stents - die Gefäßstützen - aus Metall gefertigt. Das röhrenförmige Drahtgeflecht wird mit einem Katheter zu der Stelle geführt, an der das verengte Herzkranzgefäß geweitet und abgestützt werden soll. Ein Ballon am Ende des Katheters drückt das Drahtgeflecht auseinander, erklärt Johann Bauersachs, Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie der Medizinischen Hochschule Hannover. Nur leider haben die Stents auch einige Nachteile:

"Die Problematik ist, dass man das Gefäß - salopp gesagt - zu einem festen Rohr macht. Dass die Gefäßwand nicht mehr reagieren kann auf die Erfordernisse: Beispielsweise verstärkte Durchblutung geht oft mit einer Erweiterung des Blutgefäßes einher. Verminderte Durchblutung mit einer Verengung. Diese physiologische, also natürliche Bewegbarkeit der Gefäßwand, die zu einem größeren oder kleineren Durchmesser führt, die ist durch den Stent komplett verhindert. Und er wächst dann in den nächsten Monaten ein in die Gefäßwand."

Einmal implantierte Stents lassen sich nie wieder entfernen, sie verwachsen über die Jahre mit der Blutgefäßwand. Droht erneut ein Gefäßverschluss im selben Abschnitt, kommt ein zweiter Stent zum Einsatz. "Stent im Stent" heißt das dann im Fachjargon. Ein dritter Stent geht dann aber nicht mehr. Implantate aus Metall stoßen also schnell an das Ende ihrer Möglichkeiten.

Seit Kurzem, so der Kardiologe aus Hannover, gibt es eine Alternative: bioresorbierbare Stents. Sie lösen sich innerhalb von zwei Jahren einfach auf:

"Also wir haben relativ gute Daten am Schwein. Also von daher – ist ganz klar – Langzeitdaten am Menschen kann es noch nicht geben. Aber nach allem, was man bisher in den Zulassungsstudien gesehen hat, verhält sich dieser Stent sehr gut. Auch mit einem vergleichbaren Kurzzeitergebnis wie die Metall-Stents. Was natürlich sehr wichtig sein wird, wird der direkte Vergleich in Studien mit den Metallstents sein – insbesondere auch Langzeitstudien."

Universitätskliniken in Deutschland und viele, vor allem größere städtische Krankenhäuser setzen die bioresorbierbaren Stents schon ein. Anstelle von Metall wird bei den neuartigen Implantaten Milchsäure verwendet – eine Substanz, die durch den ständigen Blutfluss im Koronargefäß abgebaut und aufgelöst wird. Nach zwei Jahren ist von dem bioresorbierbaren Stent nichts mehr übrig.

Julian Widder setzt die neuartigen Stents im Herzkatheterlabor der Medizinischen Hochschule Hannover ein.

"Die Gefäßstütze ist dafür da, das Gefäß offen zu halten. Jetzt weiß man aber, dass diese Gefahr, dass das Gefäß einfach wieder zusammenfällt nach der Ausdehnung, primär in den ersten Tagen und Wochen passiert. Deswegen die Idee, diesen resorbierbaren Stent zu haben. Man gibt am Anfang, wenn dieses Gefahr noch akut ist, die Stütze für das Gefäß. Danach braucht es das Gefäß eben nicht mehr. Und dann habe ich kein Metall mehr im Körper, sondern es löst sich langsam auf. Und so hat das Gefäß wieder die Chance, seine normale Funktion des Zusammenziehens oder Wiederaufgehens unter verschiedenen Bedingungen zu haben."

Nur leider sind die bioresorbierbaren Stents immer noch ziemlich teuer. Mit rund 4000 Euro pro Stent übertreffen sie die Metallstents um das Zehnfache. Und das machen die Krankenkassen nur in Einzelfällen mit. Konkret: Nur junge Patienten mit weitgehend intakten Gefäßen erhalten derzeit die neuartigen Implantate, um der Gefahr einer späteren "Stent-in-Stent-Problematik" frühzeitig vorzubeugen.

"Typischerweise würden wir einen Patienten, der jünger ist, also noch sehr viele Jahre oder Jahrzehnte vor sich hat, und der vor allem isoliertere und noch nicht so massiv verkalkte Verengungen hat, als einen sehr guten Kandidaten ansehen. Einfach deswegen, weil die Chance groß ist, dass das Gefäß, was nur im Bereich des bioresorbierbaren Stents verletzt wurde, sich dann gut erholen kann. Und der Rest des Gefäßes sollte noch weitgehend gesund sein, sodass man auch den Vorteil dieser Bioresorbierbarkeit dann tatsächlich auch für den Patienten nutzen kann."

Für die Mehrzahl der infarktgefährdeten Menschen dürfte somit alles beim Alten bleiben. Der typische Empfänger für einen Metall-Stent ist heute jenseits von 60 und leidet unter Arteriosklerose. Doch auch für diese Betroffenen gibt es heute schon eine Alternative: den Bypass. Nach einer aktuellen Studie ist der Bypass dem metallischen Stent sogar deutlich überlegen: weniger Herzinfarkte, weniger erneute Eingriffe, längere Überlebenszeiten nach dem Eingriff. Ältere Patienten mit mittleren und schweren Erkrankungen der Herzkranzgefäße sollten daher die Bypassoperation einer Stent-Implantation vorziehen, so die Empfehlung der Experten.
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