Milbradt: Alle Bundesbehörden nach Berlin
Der Ministerpräsident von Sachsen, Georg Milbradt, hat sich für einen möglichst schnellen Umzug aller Bundesministerien von Bonn nach Berlin ausgesprochen. Eine Übersiedlung wäre ein "Konjunkturprogramm erster Güte", sagte der CDU-Politiker. Je mehr Bundeskompetenz in die Hauptstadt komme, desto mehr Verbände und private Organisationen zögen nach.
Hanns Ostermann: Manchmal hat man Freunde auch dort, wo man es gar nicht vermutet. Der deutschen Hauptstadt ging es so, als Günther Oettinger vor einigen Wochen ans Rednerpult trat. Er war der vierte Ministerpräsident, der auf Einladung der Stiftung Zukunft Berlin über die Rolle der Hauptstadt sprach. Oettinger überraschte damals. Die bis über beide Ohren verschuldete Stadt habe gute wirtschaftliche Chancen und er sei sogar bereit, unter bestimmten Bedingungen finanzielle Altlasten mitzutragen.
Heute nun hält der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt von der CDU seine Berlin-Rede. Guten Morgen Herr Milbradt!
Georg Milbradt: Guten Morgen!
Ostermann: Was fehlt denn Berlin neben dem Geld? Sind es vielleicht Ideen?
Milbradt: Ja, ich glaube auch ein richtiges Selbstverständnis, welche Rolle Berlin in Deutschland und vor allen Dingen in Europa spielen soll. Wir reduzieren die Frage immer viel zu sehr auf Geld, vor allen Dingen Geld, was von außen in die Stadt kommen soll. Das sind Mentalitäten, die vor der Wende existierten. West-Berlin hing am Tropf der Bundesregierung und in Ost-Berlin war es nicht anders.
Ostermann: Ja, Herr Milbradt, aber sozusagen ein starkes Berlin in der Mitte Europas zu installieren, da nutzt doch nicht allein die Idee. Da braucht man doch auch Geld.
Milbradt: Zunächst muss man ja wissen, wohin man will. Die erste Frage zum Beispiel ist: Wo sind denn die Stärken von Berlin? Was hat man getan, um die Stärken auszubauen? Warum definiert man sich fast ausschließlich als Dienstleistungsbranche? Wissen Sie mit den Dienstleistungen ist es so wie mit dem Friseur. Ein Friseur wird nichts, wenn er in einer Runde von Glatzköpfigen lebt. Heißt also, ich brauche auch Industrie, um zumindest industrielle Dienstleistungen verkaufen zu können.
Was macht Berlin im europäischen Kontext? Gucken wir wirklich nach Osten? Sind wir die Drehscheibe wie zum Beispiel in den 20er Jahren, die Verkehrsdrehscheibe, die kulturelle Drehscheibe? Ich glaube, davon sind wir noch eine ganze Menge entfernt und man muss jetzt definieren: Wie sollte das denn in den 20er Jahren des 21. Jahrhunderts aussehen, was ja schon mal da war in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts.
Ostermann: Sie sind mit Sachsen in den letzten Jahren ja wirtschaftlich einen sehr erfolgreichen Weg gegangen. Das Wachstum von vier Prozent und auch die Zahlen der Arbeitslosen lassen sich sehen. Nehmen wir mal an, wenn Sie mitspielen würden, Sie würden eine Zeit lang Regierender Bürgermeister in Berlin sein. Was könnte dann Berlin aus den sächsischen Erfahrungen lernen?
Milbradt: Zunächst einmal auch die Vision: Was wollen wir? Was ist unser Markenzeichen? Wir haben gesagt: Wir haben immer Autos produziert, wenn es auch Trabant waren zu DDR-Zeiten. Wir wollen wieder eine moderne Autoindustrie haben. Das hat geklappt. – Zu DDR-Zeiten gab es Robotron, der Versuch, auch in die Mikrochip-Industrie einzusteigen. Mittlerweile sind wir wieder dabei. Wir sind unter den fünf größten und wichtigsten Standorten der Welt.
Wofür steht denn Berlin? – Berlin war im letzten Jahrhundert, Anfang des letzten Jahrhunderts auch im technischen Bereich das Zentrum der Moderne. Wo ist das geblieben? – Siemens. Man hat Berlin Elektropolis genannt. Besteht überhaupt die Absicht, wieder dahin zu kommen? Ich habe da so meine Zweifel. – Oder wo ist denn die Verbindung nach Osten? Existiert sie überhaupt? Was macht man aus der Lokalität, mitten in Europa zu sein, EU-Osterweiterung, ganz neue Perspektiven? Ich glaube, es wird viel zu sehr über Berlin und über die kleinen Wehwehchen oder auch vielleicht die größeren Wehwehchen der Stadt geredet, aber über die Chancen wird doch kaum geredet. Es wird immer nur so getan, als ob es Berlin ganz schlecht geht. Im finanziellen und wirtschaftlichen Bereich ist das teilweise der Fall, aber ich sage auch teilweise, denn Berlin leistet sich Ausgaben pro Kopf der Bevölkerung, die weit über denen von Hamburg sind und Hamburg ist ja durchaus auch eine vergleichbare Stadt. Warum schaffen die Hamburger das mit weniger Geld? Warum muss eigentlich in Berlin mehr ausgegeben werden?
Ostermann: Ich habe keine Ahnung. Haben Sie eine Antwort? Ist es die Verwaltung?
Milbradt: In Berlin ist in den vergangenen Jahren natürlich auch bedingt immer durch die Vorgeschichte – das will ich sofort hinzufügen – viel passiert. Politik ist ja pfadabhängig. Es kommt ja nicht plötzlich eine andere Politik zu Stande, sondern sie ist immer auch Ergebnis teilweise von Jahrzehnten. Ja, weil Berlin sich im Wesentlichen aufs Konsumieren konzentriert hat und nicht so sehr aufs Investieren.
Ostermann: Ein Pfund, mit dem die Stadt ja wuchern kann, ist die reichhaltige Kultur. Wenn immer wieder die Forderung jetzt auch aufgestellt wird, der Bund müsse sich an den Kosten beteiligen. Ist es das, was Sie mit klagen eben meinten?
Milbradt: Nein, aber auch bei der Kultur gilt. Ich meine wir haben auch in Dresden eine reichhaltige Kultur und niemand verlangt, dass die sächsische Kultur von ganz Deutschland finanziert wird. Das eine oder andere an Hilfe können wir uns sicherlich auch vorstellen, aber Kultur ist in Deutschland, man kann sagen Gott sei Dank, Ländersache. Das wird Berlin also schon selber bezahlen müssen.
Was aber an nationaler Repräsentation da ist, was sozusagen die Sonderkosten der Hauptstadt sind, da sollte man auch fair zu Berlin sein und sollte die abgelten. Da ist der Bund manchmal ein bisschen kleinkariert. Im großen Nordrhein-Westfalen mit Bonn hat man sich teilweise ganz anders verhalten. Das ist schon richtig, aber auf der anderen Seite muss natürlich Berlin auch das leisten, was ebenso eine große Stadt wie Hamburg leistet und durchführt. Die Schwierigkeit hängt natürlich damit zusammen – das will ich auch sofort immer wieder hinzufügen -, dass es Berlin deswegen schwerer hat, weil Ost und West unterschiedliche Mentalitäten, letztlich aber auch ähnliche Mentalitäten haben, die durch Subventionsmentalitäten zusammengewachsen ist, und es lange gebraucht hat, zu sich selber zu finden. Jetzt sind es 17 Jahre nach der Einigung. Jetzt muss man nach vorne schauen und sagen, was wird denn die Stellung von Berlin im 21. Jahrhundert sein.
Ostermann: Schauen wir mal nach vorne. Sind Sie eigentlich auch wie Günther Oettinger für den Umzug aller Ministerien nach Berlin? Das ist ja ein Streit, der zu bestimmten Zeiten immer wieder aufflammt.
Milbradt: Ja selbstverständlich! Selbst im höchst föderalen Amerika lacht man über diese Aufteilung, die wir bei uns haben. Bonn ist drei-, vierfach kompensiert. Sie haben die schönen Filetstücke aus den alten Bundesbeteiligungen bekommen, die Telekom, die Post. Da brummt es. Man ist nahe an Paris, nahe an Brüssel. Die Rheinschiene entwickelt sich blendend. Also da gibt es keine Notwendigkeit, aus regionalpolitischen Gründen Verwaltungen zu lassen. Natürlich möglichst schnell nach Berlin. Das ist ein Konjunkturprogramm erster Güte. Je mehr nach Berlin kommt an Bundeskompetenz, kommt auch im Bereich der Verbände, der privaten Organisationen das entsprechende Potenzial. Die Zögerlichkeit ist kaum einzusehen und das gilt nicht nur für die Bundesregierung im engeren Sinne. Die elende Diskussion um den Nachrichtendienst oder um andere Behörden zeigen, wie kleinkariert wir teilweise sind und wie wenig wir akzeptieren, dass natürlich eine Hauptstadt auch Hauptstadtfunktionen haben muss. Sonst funktioniert es nicht. Da kann ich allen nur zustimmen. Ob im Augenblick die geeignete Zeit ist, um das umzusetzen, das weiß ich nicht. Da muss man noch Überzeugungsarbeit in Deutschland leisten. Die Nordrhein-Westfalen, aber auch die Rheinland-Pfälzer hören dies natürlich nicht gerne, aber auch darüber muss zur richtigen Zeit geredet werden.
Ostermann: Und Sie haben heute dazu die Gelegenheit bei der Berliner Rede der Stiftung Zukunft Berlin. – Vielen Dank! – Das war Georg Milbradt von der CDU, der Ministerpräsident Sachsens, im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.
Heute nun hält der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt von der CDU seine Berlin-Rede. Guten Morgen Herr Milbradt!
Georg Milbradt: Guten Morgen!
Ostermann: Was fehlt denn Berlin neben dem Geld? Sind es vielleicht Ideen?
Milbradt: Ja, ich glaube auch ein richtiges Selbstverständnis, welche Rolle Berlin in Deutschland und vor allen Dingen in Europa spielen soll. Wir reduzieren die Frage immer viel zu sehr auf Geld, vor allen Dingen Geld, was von außen in die Stadt kommen soll. Das sind Mentalitäten, die vor der Wende existierten. West-Berlin hing am Tropf der Bundesregierung und in Ost-Berlin war es nicht anders.
Ostermann: Ja, Herr Milbradt, aber sozusagen ein starkes Berlin in der Mitte Europas zu installieren, da nutzt doch nicht allein die Idee. Da braucht man doch auch Geld.
Milbradt: Zunächst muss man ja wissen, wohin man will. Die erste Frage zum Beispiel ist: Wo sind denn die Stärken von Berlin? Was hat man getan, um die Stärken auszubauen? Warum definiert man sich fast ausschließlich als Dienstleistungsbranche? Wissen Sie mit den Dienstleistungen ist es so wie mit dem Friseur. Ein Friseur wird nichts, wenn er in einer Runde von Glatzköpfigen lebt. Heißt also, ich brauche auch Industrie, um zumindest industrielle Dienstleistungen verkaufen zu können.
Was macht Berlin im europäischen Kontext? Gucken wir wirklich nach Osten? Sind wir die Drehscheibe wie zum Beispiel in den 20er Jahren, die Verkehrsdrehscheibe, die kulturelle Drehscheibe? Ich glaube, davon sind wir noch eine ganze Menge entfernt und man muss jetzt definieren: Wie sollte das denn in den 20er Jahren des 21. Jahrhunderts aussehen, was ja schon mal da war in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts.
Ostermann: Sie sind mit Sachsen in den letzten Jahren ja wirtschaftlich einen sehr erfolgreichen Weg gegangen. Das Wachstum von vier Prozent und auch die Zahlen der Arbeitslosen lassen sich sehen. Nehmen wir mal an, wenn Sie mitspielen würden, Sie würden eine Zeit lang Regierender Bürgermeister in Berlin sein. Was könnte dann Berlin aus den sächsischen Erfahrungen lernen?
Milbradt: Zunächst einmal auch die Vision: Was wollen wir? Was ist unser Markenzeichen? Wir haben gesagt: Wir haben immer Autos produziert, wenn es auch Trabant waren zu DDR-Zeiten. Wir wollen wieder eine moderne Autoindustrie haben. Das hat geklappt. – Zu DDR-Zeiten gab es Robotron, der Versuch, auch in die Mikrochip-Industrie einzusteigen. Mittlerweile sind wir wieder dabei. Wir sind unter den fünf größten und wichtigsten Standorten der Welt.
Wofür steht denn Berlin? – Berlin war im letzten Jahrhundert, Anfang des letzten Jahrhunderts auch im technischen Bereich das Zentrum der Moderne. Wo ist das geblieben? – Siemens. Man hat Berlin Elektropolis genannt. Besteht überhaupt die Absicht, wieder dahin zu kommen? Ich habe da so meine Zweifel. – Oder wo ist denn die Verbindung nach Osten? Existiert sie überhaupt? Was macht man aus der Lokalität, mitten in Europa zu sein, EU-Osterweiterung, ganz neue Perspektiven? Ich glaube, es wird viel zu sehr über Berlin und über die kleinen Wehwehchen oder auch vielleicht die größeren Wehwehchen der Stadt geredet, aber über die Chancen wird doch kaum geredet. Es wird immer nur so getan, als ob es Berlin ganz schlecht geht. Im finanziellen und wirtschaftlichen Bereich ist das teilweise der Fall, aber ich sage auch teilweise, denn Berlin leistet sich Ausgaben pro Kopf der Bevölkerung, die weit über denen von Hamburg sind und Hamburg ist ja durchaus auch eine vergleichbare Stadt. Warum schaffen die Hamburger das mit weniger Geld? Warum muss eigentlich in Berlin mehr ausgegeben werden?
Ostermann: Ich habe keine Ahnung. Haben Sie eine Antwort? Ist es die Verwaltung?
Milbradt: In Berlin ist in den vergangenen Jahren natürlich auch bedingt immer durch die Vorgeschichte – das will ich sofort hinzufügen – viel passiert. Politik ist ja pfadabhängig. Es kommt ja nicht plötzlich eine andere Politik zu Stande, sondern sie ist immer auch Ergebnis teilweise von Jahrzehnten. Ja, weil Berlin sich im Wesentlichen aufs Konsumieren konzentriert hat und nicht so sehr aufs Investieren.
Ostermann: Ein Pfund, mit dem die Stadt ja wuchern kann, ist die reichhaltige Kultur. Wenn immer wieder die Forderung jetzt auch aufgestellt wird, der Bund müsse sich an den Kosten beteiligen. Ist es das, was Sie mit klagen eben meinten?
Milbradt: Nein, aber auch bei der Kultur gilt. Ich meine wir haben auch in Dresden eine reichhaltige Kultur und niemand verlangt, dass die sächsische Kultur von ganz Deutschland finanziert wird. Das eine oder andere an Hilfe können wir uns sicherlich auch vorstellen, aber Kultur ist in Deutschland, man kann sagen Gott sei Dank, Ländersache. Das wird Berlin also schon selber bezahlen müssen.
Was aber an nationaler Repräsentation da ist, was sozusagen die Sonderkosten der Hauptstadt sind, da sollte man auch fair zu Berlin sein und sollte die abgelten. Da ist der Bund manchmal ein bisschen kleinkariert. Im großen Nordrhein-Westfalen mit Bonn hat man sich teilweise ganz anders verhalten. Das ist schon richtig, aber auf der anderen Seite muss natürlich Berlin auch das leisten, was ebenso eine große Stadt wie Hamburg leistet und durchführt. Die Schwierigkeit hängt natürlich damit zusammen – das will ich auch sofort immer wieder hinzufügen -, dass es Berlin deswegen schwerer hat, weil Ost und West unterschiedliche Mentalitäten, letztlich aber auch ähnliche Mentalitäten haben, die durch Subventionsmentalitäten zusammengewachsen ist, und es lange gebraucht hat, zu sich selber zu finden. Jetzt sind es 17 Jahre nach der Einigung. Jetzt muss man nach vorne schauen und sagen, was wird denn die Stellung von Berlin im 21. Jahrhundert sein.
Ostermann: Schauen wir mal nach vorne. Sind Sie eigentlich auch wie Günther Oettinger für den Umzug aller Ministerien nach Berlin? Das ist ja ein Streit, der zu bestimmten Zeiten immer wieder aufflammt.
Milbradt: Ja selbstverständlich! Selbst im höchst föderalen Amerika lacht man über diese Aufteilung, die wir bei uns haben. Bonn ist drei-, vierfach kompensiert. Sie haben die schönen Filetstücke aus den alten Bundesbeteiligungen bekommen, die Telekom, die Post. Da brummt es. Man ist nahe an Paris, nahe an Brüssel. Die Rheinschiene entwickelt sich blendend. Also da gibt es keine Notwendigkeit, aus regionalpolitischen Gründen Verwaltungen zu lassen. Natürlich möglichst schnell nach Berlin. Das ist ein Konjunkturprogramm erster Güte. Je mehr nach Berlin kommt an Bundeskompetenz, kommt auch im Bereich der Verbände, der privaten Organisationen das entsprechende Potenzial. Die Zögerlichkeit ist kaum einzusehen und das gilt nicht nur für die Bundesregierung im engeren Sinne. Die elende Diskussion um den Nachrichtendienst oder um andere Behörden zeigen, wie kleinkariert wir teilweise sind und wie wenig wir akzeptieren, dass natürlich eine Hauptstadt auch Hauptstadtfunktionen haben muss. Sonst funktioniert es nicht. Da kann ich allen nur zustimmen. Ob im Augenblick die geeignete Zeit ist, um das umzusetzen, das weiß ich nicht. Da muss man noch Überzeugungsarbeit in Deutschland leisten. Die Nordrhein-Westfalen, aber auch die Rheinland-Pfälzer hören dies natürlich nicht gerne, aber auch darüber muss zur richtigen Zeit geredet werden.
Ostermann: Und Sie haben heute dazu die Gelegenheit bei der Berliner Rede der Stiftung Zukunft Berlin. – Vielen Dank! – Das war Georg Milbradt von der CDU, der Ministerpräsident Sachsens, im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.