Milan Peschels Premiere in Hannover

"Mephisto" als Fallstudie über Opportunismus und Macht

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In der Inszenierung von Milan Peschel am Staatsschauspiel Hannover gibt es keinen Hauptdarsteller, weil das alle sind. © Karl-Bernd Karwasz
Von Michael Laages  · 15.02.2018
In Hannover feierte der Regisseur Milan Peschel mit seiner Inszenierung von Klaus Manns "Mephisto" Premiere. Unser Theater-Kritiker Michael Laages zeigte sich angesichts der Aktualität des Stoffs und der Ensembleleistung von der Aufführung sehr überzeugt.
Alle dürfen mal im Zentrum stehen – acht Männer und drei Frauen schlüpfen abwechselnd in die Rolle des Karrieristen Hendrik Höfgen, der vom hoch begabten Theatermenschen bis ins Zentrum deutscher Macht aufsteigt. Gab er sich zu Beginn der Karriere als halbwegs linker Revoluzzer, hofiert er im Laufe des Aufstiegs und bis zum Ende die neuen Machthaber der Nazi-Diktatur. Natürlich bildete Klaus Mann, der Sohn aus großem Schriftsteller-Hause, Gustav Gründgens ab, den Freund und Schwager, der Thomas Manns Tochter Erika geheiratet hatte; und natürlich war Hermann Göring "der Ministerpräsident" und "Flieger-General", zu dessen Marionette der Schauspieler, Regisseur und schließlich Staatstheater-Intendant mutierte.
Die Schauspielerin Lotte Lindenthal an der Seite des Potentaten war die reale Emmy Sonnemann. Aber es ist erstaunlich – mit der Verteilung der zentralen "Mephisto"-Figur aufs ganze Ensemble wird es mit der Zeit immer weniger wichtig, dass die Vorlage, Klaus Manns Roman von 1936, eine Schlüssel-Geschichte ist. "Mephisto" wandelt sich tatsächlich zur Fallstudie über Opportunismus und Macht.

Ungeahnte Kräfte im Ensemble

Und noch ein Problem umschifft das Team um Regisseur Milan Peschel in Hannover – niemand kann sich hier sonnen im Zentrum des Stück. Es gibt keinen Hauptdarsteller, weil das alle sind. In der Falle des Star-Gehabes landeten ja oft selbst sehr überzeugende "Mephisto"-Fassungen (wie vor Jahren die von Henriette Hörnigk in Halle) – denn natürlich lädt der aasige Karrierist Höfgen auch ein zur Identifikation, denn der Aufsteiger ohne Rückgrat ist derart charmant. Weil aber hier der Opportunismus im Kollektiv aufgeht, entwickelt auch das hannoversche Ensemble (so überzeugend wie lange nicht) ungeahnte Kräfte – denn jeder und jede muss die zentrale Figur ja immer dort abholen, wo sie jemand anderes kurz zuvor zurück gelassen hat. Hauptrollen wurden schon öfter aufs ganze Ensemble verteilt – selten war der Effekt so überzeugend wie jetzt in Hannover.

Reichlich Zugaben

Darüber hinaus lädt Peschel das Stationen-Drama mit reichlich Zugaben auf – aus den durchaus gewagten Gründgens-Revuen am Beginn in Hamburg (wo der spätere Star an den Kammerspielen des Regisseurs Erich Ziegel erste Aufmerksamkeit erregte, neben – unter anderem - Fritz Kortner) oder den berühmten Filmen, etwa Fritz Langs "M – eine Stadt sucht einen Mörder" mit Gründgens und Peter Lorre, herbei zitiert aus der berühmten Schluss-Szene.
Das Ensemble singt wie die "Comedian Harmonists" und verfällt mit zunehmender Finsternis im heraufziehenden deutschen Faschismus immer öfter in Heiner-Müller-Zitate. Und nachdem um die "Mephisto"-Figur herum ohnehin schon eine Menge Material aus dem "Faust" herauf beschworen wird, unterlegt Peschel dem etwas zerfasernden Finale auch noch den kompletten Schluss aus dem "Hamlet" – weil Gründgens/Höfgen das Stück gerade probt gegen Ende zu.

Beim Großdichter zu Hause

Alles passt und ist sinnvoll, was da an Dramaturgie auf Nicole Timms fleißig rotierende Drehbühne gepackt wird; die in Hamburg und an Ziegels Kammerspielen noch Theaterkneipe ist und sich dann immer wieder verwandelt in Portal und Freitreppe vom "Lichtspiel-", nicht "Schauspielhaus" – Gründgens machte ja auch Karriere im Kino, der zentralen Propaganda-Kunst des deutschen Faschismus. Die Rückseite ziert (hinter vielen Türen einer Klippklapp-Komödie) das repräsentative Schreibtischzimmer beim Großdichter Mann zu Hause, wie beim Ministerpräsidenten Göring im Amt. Als Höfgens Aufstieg schon in den Niedergang übergeht, sitzen Göring und Frau Sonnemann mal eine Weile wie Zuschauer vor den umjubelten Glanzstücken von Höfgens Karriere.
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Auch heute ist "Mephisto" noch von bedrohlicher Aktualität © Karl-Bernd Karwasz

Die Anti-Karriere

Viel Energie hat die Inszenierung auch auf die Anti-Karriere des Höfgen-Kollegen Hans Miklas verwandt – der schon in Hamburg Kleinstdarsteller war an der Seite des aufstrebenden Stars und dort schon als Nazi galt. Auch er geht als strammer Kämpfer für das neue Regime nach Berlin und trifft dort den Karrieristen wieder. Diesen alten Kämpfer entsorgt das Regime, wie den Kommunisten Otto Ulrichs, noch so ein alten Hamburger Kollegen, den Höfgen vor den braunen Mördern zu retten versucht. Vergeblich – das ist die Geschichte von Hans Otto, dessen Namen das Theater in Potsdam trägt.

Auch eine Castorf-Hommage

Natürlich schreit "Mephisto" vor Aktualität - angesichts vom wieder aufziehenden Faschismus der deutschen Poggenburgs. Einige Erfahrungen mit übermächtigen Regie-Potentaten hat Peschel wohl auch ins Spiel gebracht … das Finale (mit ganz viel Video hinter der Szene und Jan Speckenbachs Bild-Montagen) sieht sogar wie eine richtige Castorf-Hommage aus. Vor allem aber hat das kampfeslustige hannoversche Ensemble dem Regisseur diesen großen, klugen Wurf ermöglicht.
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