Wer wird gehört – und wer nicht?
Fast viereinhalb Jahre läuft der NSU-Prozess bereits - ein Prozess, dessen Ablauf immer wieder kritisiert wurde. Nun gibt es neue Vorwürfe. In einem Gutachten wird die Steuerung der Mikrofone bemängelt. Der Grund: Sie diskriminiere die Nebenklage.
Johannes Ismaiel-Wendt ist Professor für systematische Musikwissenschaft und Musiksoziologie an der Universität Hildesheim. Als selbsternannter Sachverständiger hat er ein Gutachten darüber geschrieben, welchen Einfluss die Mikrofone im Gerichtssaal auf den NSU-Prozess haben könnten.
"Ich wollte mal gucken, ob es unterschiedliche Nuancen des Schweigens gibt. Ich glaube, dass es einen Unterschied macht, ob man zum Schweigen gebracht wird, ob man gar nicht angehört wird oder ob man strategisch schweigt."
Für sein Gutachten hat Ismaiel-Wendt drei Tage lang die Verhandlungen beobachtet, Interviews mit einem Techniker und der Gerichtssprecherin Andrea Titz geführt, sowie Protokolle von NSU Watch und dem Magazin der Süddeutschen Zeitung ausgewertet.
"Die Mikrofonierung im Gerichtssaal ist insofern interessant, weil sie Sprechordnungen reguliert. Es gibt in diesem Gerichtssaal in München eine sehr komplexe Mikrofonanlage, weil da auch Übersetzung dranhängt, weil da auch eine Videoschaltung dranhängt und es gibt ein Interface, das von einem beisitzenden Richter kontrolliert wird, der Sprecherinnen und Sprecher zuschaltet oder auch abschaltet. Und ich wollte wissen: Wie reguliert diese Mikrofonierung die Sprechmöglichkeiten der sogenannten Nebenkläger, der Verteidigung, der Richter und vielleicht auch der Staatsanwaltschaft? Wie reguliert die Schaltung der Mikrofone zum Beispiel Übersetzungssituationen, die ja in diesem Prozess von besonderer Relevanz sind."
Privilegierte und diskriminierte Parteien
Das Ergebnis seines Gutachtens: "Auf Grundlage der Besichtigung und eingehender Lektüre stellt der Sachverständige im Zusammenhang der Mikrofonierung eine objektive Befangenheit der gerichtlichen Situiertheit fest, erkennt durch auditive Dispositionen privilegierte und diskriminierte Parteien."
Ismaiel-Wendt bemängelt, dass Übersetzer und Zeugen sich Mikrofone teilen müssten. So würde in Situationen improvisiert, von denen man schon vorher hätte wissen müssen, dass es sie geben werde. Es müsse jedoch gesichert sein, dass Aussagen der Zeugen und der Übersetzer für alle hörbar seien.
"Das sind scheinbar Kleinigkeiten, die aber doch ein Geschmäckle haben."
Aus einem der Protokolle von NSU Watch vom vierten Verhandlungstag am 16. Mai 2013 gehe hervor, dass es zu Diskussionen gekommen sei, weil das Mikrofon von Bundesanwalt Diemer sofort funktionierte, während die Nebenklage warten musste, bis die jeweiligen Mikrofone freigeschaltet wurden. Die Rechtsanwältin Gül Pinar, Klagevertreterin des in Hamburg ermordeten Süleyman Tasköprü, hatte sich beschwert, weil sie den Eindruck hatte, die Schaltung der Mikrofone begünstige, dass die Verhandlung durch die verstärkten Wortbeiträge von Bundesanwalt Herbert Diemer dominiert würde.
Johannes Ismaiel-Wendt räumt jedoch ein, dass sein Vorgehen, aus tausenden Protokollen ein paar wenige als Beleg für seine Thesen anzuführen, gewissermaßen beliebig sei - wie viel Aussagekraft sein Gutachten habe, überlasse er den Leserinnen und Lesern.