Migrationsforschung

Mehr Multi-Kulti im Lehrerzimmer!

Schüler der Klasse 7c der Heinrich-Hertz-Stadtteilschule in Hamburg nehmen am 24.03.2014 am Unterricht im Fach Mathematik teil.
Viele Kinder mit Migrationshintergrund sind in ihrer Bildung immer noch benachteiligt. © dpa / Christian Charisius
Von Kemal Hür · 24.03.2015
Düsseldorfer Forscher untersuchten die Bildungserfahrungen von Migranten in Deutschland. Die Erwartungen arabischer, türkischer und kurdischer Eltern an die Schulen sind sehr unterschiedlich: Viele wünschen sich eine interkulturelle Öffnung - zum Beispiel mehr Lehrer mit Migrationshintergrund.
Catherine Daoud wünschte sich als Jugendliche nichts sehnlicher, als das zu tun, was sie in ihren Lieblings-Fernsehserien sah: Strafzettel schreiben, Räuber jagen. Sie wollte Polizistin werden. Aber ihr Vater erlaubte es ihr nicht. Das sei kein Beruf für ein muslimisches Mädchen, habe ihr Vater gesagt. Daoud brach daraufhin die Schule ohne Abschluss ab. Die heute 33-jährige Berlinerin libanesischer Herkunft würde selbst ihren Kindern keinen Berufswunsch abschlagen, sagt sie. Sie hat drei Söhne. Der Jüngste ist noch ein Kleinkind, der älteste 13 Jahre alt.
"Ist mir so egal, was er machen will. Er soll machen, was er gerne machen will. Weil es geht nicht, dass ihm etwas verbiete, dann wird vielleicht alles scheitern. Dann macht er nicht mehr mit."
Unzufrieden mit der staatlichen Sekundarstufe
Daoud, deren Familie nicht streng muslimisch war, fing nach ihrem Schulabbruch an, sich mit ihrer Religion zu beschäftigen. Im Selbststudium las sie den Koran und beschloss, ihre Haare mit einem Kopftuch zu bedecken. Die Erziehung ihrer Kinder ist ihr auch wichtig. Ihren ältesten Sohn Adnan schickt die alleinerziehende Mutter seit einem Jahr auf eine Privatschule. Mit der staatlichen Sekundarschule in ihrem Wohnbezirk Wedding war Daoud nicht zufrieden.
"In Berlin ist es katastrophal. Und es sind mehr Ausländer leider in der Schule ... Es ist nicht mehr gemischt. Früher zu meiner Zeit war es nicht so. Da wurde darauf geachtet, dass in einer Klasse verschiedene Kinder sind, nicht nur Türken und Araber."
Auch in der Sekundarschule Heinrich-Mann in Neukölln stammt die große Mehrheit der Schüler aus Einwandererfamilien – wie auch der 14-jährige Sohn von Afife Sürücü. Die 40-Jährige bereitet bei einem Bildungsträger Jugendliche auf die Ausbildung vor. Als studierte Informatikerin hat sie selbst mal ein Jahr als Lehrerin an einer staatlichen Schule gearbeitet und war dort die einzige Lehrkraft mit türkischem Migrationshintergrund. Es wäre für viele Eltern eine große soziale Unterstützung, wenn Lehrer auch deren Muttersprache sprechen würden, sagt Sürücü.
"Ganz viele Eltern sind der deutschen Sprache nicht mächtig. Das muss man wirklich auch sehen. Da ist es für die Lehrer auch etwas schwieriger: Wie geht man daran? Wie öffnet man sich? Wie kommt man an die Eltern heran? Die Eltern möchten ja das Beste für die Kinder – ist egal, ob sie jetzt Akademiker sind oder nicht. Ich finde, man könnte die Situation verbessern – gerade an diesen Schulen -, wenn man mehr Lehrer mit Migrationshintergrund einstellt."
Mehr Angebote für Eltern
Sürücü war lange Jahre Elternvertreterin. Zu den Elternversammlungen kamen sehr wenige Väter und Mütter nicht-deutscher Herkunft, sagt sie. Um sie stärker an die Schule zu binden, sollten Schulen mehr Angebote für Eltern organisieren.
Eine aktuelle Studie der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf untersuchte die Bildungserfahrungen von Migranten in Deutschland. Die Ergebnisse decken sich mit den Beobachtungen von Afife Sürücü. Die Eltern wünschen sich mehr Unterstützungsangebote und mehr interkulturelle Öffnung der Schulen. Aber innerhalb der Migranten gibt es verschiedene Milieus mit deutlichen Unterschieden. Einige wollen zur Mitte Deutschlands dazugehören, andere sind in ihrer Religion verwurzelt und wollen ihre traditionellen Werte bewahren. In einem Punkt sind sich alle einig: Sie wollen, dass ihre Kinder es in Deutschland besser haben als sie selbst. Und dabei wollen sie auch von Lehrern unterstützt werden. Ismail Acıoğlu, ein 38-jähriger kurdischstämmiger Vater vermisst diese Unterstützung. Die Lehrer rieten ihm davon ab, seinen neunjährigen Sohn aufs Gymnasium zu schicken, obwohl er einen Notendurchschnitt von 2,0 hat.
"Wenn der Noten Vier oder Fünf hätte, oder durchschnittlich Drei oder so was, dann hätte man sagen, okay, vielleicht packt er nicht, weil es schwerer ist als Grundschule. Könnte man verstehen. Aber wenn man Zwei hat und auch ein Ziel hat vor sich, eigentlich muss man unterstützen und die Wege freilassen, damit die Kinder sich gut fühlen und selbstständig werden in diesen seinen Wegen."
Acıoğlu hat sich bei seinem ältesten Sohn nicht verunsichern lassen und den Klassenbesten mit einem Notendurchschnitt von 1,5 bereits bei einem der angesehensten Gymnasien Berlins angemeldet. Aber nicht alle Eltern kennen sich im deutschen Schulsystem aus, sagt Acıoğlu. Der selbstständige Supermarktbetreiber engagiert sich im kurdischen Elternverein Yekmal und zeigt dort anderen Wege auf, da wo Schule keine Hilfsangebote bereitstellen kann.
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