Migration und Integration in Europa

Von Siegfried Forster |
Mit dem Thema Migration hat sich eine UNESCO-Konferenz in Paris befasst. Dabei ging es vor allem um die Frage, wie Migration als Entwicklungspotenzial zu begreifen ist.
Warum glauben Europäer, wenn sie in die USA einwandern, eine Bereicherung für das Land zu sein? Und warum empfinden viele Europäer bei sich zuhause Einwanderer als Gefahr? Zwei Fragen, die sich die Senegalesin Ndioro Ndiaye schon oft gestellt hat. Sie ist stellvertretende Generaldirektorin der in Genf ansässigen Internationalen Organisation für Migration.

Für sie sind Einwanderer überall eine Bereicherung - vor allem für Europa:

"Es gibt enorm viele positive Aspekte: Ein verstärkte Öffnung der Menschen, eine unbestreitbare kulturelle Bereicherung, Austausch, sie fördern die europäische Produktion und das Wirtschaftswachstum, neue kulturelle Mischungen. Die europäischen Länder sind sich durch die Migranten bewusst geworden, dass auch eine Erweiterung der Grenzen nicht zu einer K.O.-Situation geführt hat… Spanien, Italien haben in den letzten Jahren viele Einwanderer aufgenommen, die ihre wirtschaftlichen Probleme beheben. Ich spreche von regularisierten Einwanderern. Diese Länder kommen dabei auf ihre Kosten."

Einwanderer als Bereicherung und nicht als Kostenfaktor? Für Migrations-Forscher Dietrich Tränhardt längt eine wissenschaftliche Binsenweisheit vieler Studien:

"Da wird erstmal festgestellt, erstens, dass die Überweisungen der Migranten in die armen Länder erheblich größer und effektiver ist, als die offizielle Entwicklungshilfe. Mehr als doppelt so viel. Dass aber auch die Einwandererländer von den Migranten profitieren, solange und soweit sie arbeiten. Das Entscheidende ist natürlich, dass man ihnen auch die Möglichkeit geben muss, zu arbeiten und sie nicht von der Arbeit fernhalten, wie dies in Deutschland zum großen Teil geschieht."

Tatsache ist, dass auf dem europäischen Kontinent seit dem Mauerfall nicht nur viele Hindernisse, sondern auch so viele Grenzen errichtet wurden wie noch nie.

26.000 Kilometer neue Grenzlinien hat der Geograph und französische Diplomat Michel Fouchet gezählt, allerdings dabei Eurasien miteingeschlossen. Grenzen hält er für identitätsstiftend, die Einwanderung hält damit aber niemand auf, bemerkt Fouchet und fügt hinzu: warum auch? Schließlich seien Immigranten positiv für Gesellschaft und Demokratie in Europa:

"Die Einwanderer bilden sich weiter, sie bringen ihren Enthusiasmus mit, ihre Arbeitskraft, sie machen sich mit neuen Werten vertraut und neuen Lebensweisen. Die Migranten sind ein Faktor der Europäisierung der Gesellschaft. In Frankreich haben wir das mit den portugiesischen und spanischen Arbeitern kennen gelernt – in den Zeiten Salazars und Francos. Die Einwanderer wurden anschließend Vektoren der Europäisierung und Demokratisierung in ihren Heimatländern."

Verdienste, die in Europa oftmals vergessen oder als inzwischen überholt bezeichnet werden. Gleichzeitig umranken Mythen das Thema Einwanderung. Einer Umfrage zufolge glaubt in allen europäischen Ländern eine Mehrheit der Einwohner, in ihrem Land den größten Einwandererstrom bewältigen zu müssen. Der größte Irrglaube ist dabei in Frankreich verbreitet: die Franzosen sind zusätzlich auch noch fälschlicherweise der Überzeugung, das größte Einwanderungsland Europas zu sein. Historische und kulturelle Faktoren spielen bei der Wahrnehmung der Einwanderung eine große Rolle, betont François Heran, Immigrations-Spezialist am französischen Institut für demographische Studien INED:

"Ich finde es befremdlich, dass diese Verhärtung in der EU-Grenzpolitik mit der Einrichtung von Frontex zum Schutz der Eu-Außengrenzen genau in dem Moment geschah, als es sich bei den nach Europa strömenden Einwanderern um Schwarzafrikaner handelte. Wenn Sie etwa die Migrations-Ströme nach Spanien innerhalb eines Jahres ansehen, dann haben sie 40.000 Schwarzafrikaner, die per Schiff versuchen auf die Kanarischen Inseln oder an die spanische Küste zu gelangen. Gleichzeitig wanderten 60.000 Kolumbianer und 50.000 Marokkaner nach Spanien ein - das sind gleichwertige Zahlen. Es gibt keine Invasion von Schwarzafrikanern in Spanien, aber die Spanier – genauso wie andere Länder - haben genau dann die Einwanderung als Gefahr wahrgenommen, als es um Schwarzafrikaner ging. Ich finde dieses Zusammentreffen sehr befremdlich."

Andreas Hieronymus vom Institut für Migrations- und Rassismusforschung in Hamburg schreckt nicht davor zurück von einer "europäischen Apartheid" und "europäischen Mauertoten" zu sprechen. Einwanderer endlich als Bereicherung wahrnehmen zu können ist für ihn stark von der Ausbildung einer europäischen Identität abhängig:

"Ich glaube, da dazu gehört eine kritische Bestandsaufnahme unseres Imperialismus und Kolonialismus. Das betrifft Deutschland genauso wie Frankreich, England, Spanien, Portugal. Was sind unsere Verantwortungen in der Welt? Wie können wir also ein Europa der Bevölkerungen schaffen, in dem alle eingeschlossen sind und wir klare Regeln haben, wie Leute hier nach Europa reinkommen und welche Verantwortung Europa für die Zusammenhänge in der Welt hat."

Paul de Guchteneire, bei der UNESCO verantwortlich für Internationale Migration, ist hingegen überzeugt, dass Europa auf gutem Wege ist. Beweis dafür sei nicht zuletzt der Bau von Migrations-Museen überall in Europa.