Migration als künstlerisches Thema

Von Volkhard App |
Der Berliner Maler Franz Ackermann steht im Mittelpunkt einer Ausstellung der Kestnergesellschaft Hannover. Anspielungsreich, mit historischen Verweisen und zeitkritischen Akzenten hat Ackermann auch in den letzten Jahren schon gearbeitet, seine Stoffe und Themen nun aber noch einmal zugespitzt. Installationen mit narrativen, teils auch plakativen Elementen sind es, die zur Stellungnahme herausfordern.
Die Fenster, durch die sonst ein fast schon sakrales Oberlicht auf die Kunstwerke fällt, sind nun verdeckt. Und düster wirkt die Installation in der Kestnergesellschaft schon aus sich heraus, wird sie doch von einem riesigen, für Menschen gedachten Käfig beherrscht. Daneben drei Palmen, eine davon ist umgestürzt, und ein Billardtisch, der aus einem Urlaubshotel am Palmenstrand stammen könnte. Der Käfig aber ist für jene Migranten bestimmt, die aus den so genannten Urlaubsparadiesen verzweifelt übers Mittelmeer zu uns kommen möchten und dann auf Inseln abgefangen oder irgendwo aus dem Wasser gefischt werden. Paddel liegen haufenweise in dem Ausstellungsraum herum, und auf Holzplanken türmt sich billige Kleidung.

Das Reisen, Franz Ackermanns ständiges Thema, zerfällt so in arm und reich: in das Flüchtlingsdrama hier und den Luxustourismus dort. Der Künstler ließ sich durch Zeitungsberichte und Fernsehbilder über Migrantenschicksale zu dieser Installation anregen und auch durch Meldungen über Terror in Urlaubsgebieten:
„Durch meine eigene Reisetätigkeit sah ich mich gezwungen, die Migration zum Thema zu machen. Man muss sich vergegenwärtigen, dass in vielen Ländern Asiens, Afrikas und Südamerikas die einheimische Bevölkerung nur noch als Dienstleister in großen Hotelkomplexen auftritt, selber aber von den Stränden, den vermeintlichen Paradiesen, ausgeschlossen bleibt. Wir müssen deshalb grundlegende Begriffe wie den Tourismus, aber auch sein schreckliches Pendant, den Terrorismus, neu überdenken.“

Viele der kleinformatigen Bilder, mit denen Ackermann in den neunziger Jahren bekannt wurde, entstanden unterwegs, gezeichnet und gemalt überall auf der Welt: Aquarelle und Arbeiten in Mischtechnik, auf denen er stark abstrahiert seine Eindrücke von Städten und Landschaften sowie die eigenen Befindlichkeiten verdichtet hat.

Einige dieser künstlerischen Psychogramme, der so genannten „mental maps“, ergänzen die neue Installation. Auch eine Art Globus mit unregelmäßig aufflackernden roten Birnen und mehrere Videos mit Hotelansichten und Reklamefassaden ziehen die Blicke an. Zwei Faltboote wiederum vertiefen die Flüchtlingsproblematik. „23 Gespenster“ heißt diese neue, raumgreifende Installation:
„Der Titel bezieht sich auf einen Kommentar der italienischen Küstenwache. Als sie ein Schiff mit 23 Migranten aus Afrika aufgebracht hatte, war die erste Äußerung eines Polizisten, als er die ausgemergelten Gestalten sah: das seien 23 Gespenster.“
In Hannover öffnet sich ein mächtiger Assoziationsraum, in dem die Malerei nicht fehlen darf: Riesenformate, popig-bunt und, wie es zunächst scheint, völlig ungegenständlich – auf den zweiten Blick aber zeichnen sich doch einige Motive ab: hier ein Tanker, dort ein umgeknickter Förderturm.

In einem weiteren Saal stehen Plastikkanister neben einer Wasserleitung – vor allem aber bestimmt Ölmalerei diese zweite sehenswerte Installation mit dem Titel „Home, home again“, einer Zeile aus einem Pink-Floyd-Song. Die Großformate bilden in enger Hängung ein suggestives Panorama: zu erkennen sind auf den Bildern ein Jumbo, eine Turbine, ein Hochhaus und eine ganze Skyline sowie eine überdimensionierte Armbanduhr als Brücke. Eine Balance zwischen gegenständlich und ungegenständlich und ein einziger Farbrausch. Zugleich scheinen die bunten Flächen zu explodieren – ein starkes Unbehagen teilt sich auch hier mit. Franz Ackermann in der Rolle eines Mahners und Warners?
„Ich wäre froh gewesen, wenn diese Mahnungen und Warnungen eine reine Hypothese geblieben wären. Über bestimmte Bilder braucht man nach dem 11. September nicht mehr zu diskutieren. Und durch die Tatsache, dass der Tourismus zu den boomenden Wirtschaftszweigen gehört, tritt an derselben Stelle selbstverständlich Terrorismus auf, um bestimmte Staaten und Führungskräfte zu schwächen.“
Anspielungsreich, mit historischen Verweisen und zeitkritischen Akzenten hat er auch in den letzten Jahren schon gearbeitet, seine Stoffe und Themen nun aber noch einmal zugespitzt. Installationen mit narrativen, teils auch plakativen Elementen sind es, die zur Stellungnahme herausfordern. Veit Görner, Direktor der Kestnergesellschaft, äußert sich dennoch zurückhaltend, bezeichnet man Ackermann als „politischen Künstler“:
„Es geht ja nicht um den Zeigefinger, sondern Ackermann lebt als Maler von der Inspiration. Er ist ein kritischer bewusster Mensch, will keine Schönheit produzieren. Ein parteipolitisches Aufklärungsprogramm aber hat er nicht.“
Auch Ackermann scheut Etiketten. Auf die flapsige Bemerkung, man könnte ihn
fast schon mit Hans Haacke vergleichen, reagiert er belustigt. Zugleich betont er selbstbewusst die politische Dimension der eigenen Arbeit:
„Ich glaube, politisches Denken ist für jeden verpflichtend. Wir müssen als Bürger die politische Entscheidungskraft offensiv verwenden. Bei mir gibt es ein Kopfschütteln über die Verhältnisse, auch über die Migrantenproblematik mit den zementierten Grenzen. Wenn wir diese Frage nicht lösen, gerät unsere Auffassung von Politik, Wirtschaft und Kultur in Gefahr, zynisch zu werden. Deshalb Politik an dieser Stelle.“