Migranten machen sich fit für den Erfolg

Von Cornelius Wüllenkemper |
Sie lernen, dem anderen in die Augen zu schauen - auch wenn sie das aus ihrer eigenen Kultur vielleicht nicht kennen. Auf dem Stundenplan steht, wie man Anträge ausfüllt oder wie man seine eigenen Stärken erkennt. Das Businesstraining für Migranten in Berlin-Grunewald ist außerordentlich vielseitig.
Mechthild Baumann: "Wofür stehe ich eigentlich? Das ist eine ziemlich banale Frage. Aber wenn man dazu kommt, es auszuformulieren, oder man steht dann vor der betreffenden Person in der Verwaltung oder vor einer Stiftung, und der fragt: Ja wer sind sie, was wollen sie eigentlich? Dann gerät man manchmal doch ins Stocken."

Mechthild Baumann vom Institut für Sicherheits- und Migrationsforschung trägt ein Business Kostüm und lächelt etwas gezwungen, aber freundlich. Zehn Männer und zwei Frauen sitzen im Tischkreis in der Europäischen Akademie im Berliner Grunewald. Die schwere Holztür des Seminarraums ist geschlossen, es liegt Spannung in der Luft. Ein noch weißes Flipchart steht in der Ecke.

Natascha Kerle: "Mein Name ist Natascha Kerle. Ich komme aus Fürstenwalde, ursprünglich aus Russland, bin schon lange hier in Deutschland. Mein Akzent ist mein Markenzeichen den lasse ich mir nicht wegradieren. Ich arbeite mit Migranten, schon seit 22 Jahren. Wir haben keinen Träger, sondern versuchen, auf eigenen Beinen Integrationsarbeit durchzuführen."

Natascha Kerle, eine selbstbewusste Mittvierzigerin in Sweatshirt und verwaschenen Jeans, leitet ein Projekt für Zuwanderer, das Hausaufgabehilfe anbietet, Freizeitunternehmungen für Familien, Kinderbetreuung. Im Seminar will sie lernen, wie sie noch mehr Menschen für ihr Angebot begeistern kann, wo sie finanzielle Unterstützung finden kann. Während die Russin von ihrer Arbeit erzählt, drücken sich andere Seminarteilnehmer schüchtern auf ihren Stühlen herum. Nicht jeder hier ist es gewohnt, öffentlich über sich zu sprechen, geschweige denn von seiner Idee.

Nino Ushikishvili: "Den Mut finden und die Ängste überwinden, und vielleicht auch, dass man sich über die eigenen Stärken bewusst wird, wenn man auch die Sprache nicht sehr gut spricht oder einen Akzent hat, dass man andere Stärken findet."

Jeder hier hat seine eigenen Vorstellungen davon, was er im Seminar über das "Empowerment von Migranten" lernen will. Nino Ushikishvili aus Georgien ist noch Studentin, seit sieben Jahren in Berlin, derzeit macht sie ein Praktikum in einer politischen Einrichtung. Die junge Frau wirkt schüchtern, dabei freundlich und zugewandt, will alles richtig machen. Sie will lernen, wie man in Deutschland weiterkommt.

Simplice Romiat: "Wo sind denn die Schlüssel, die wir brauchen, um Erfolg zu haben? Ich will nicht jeden Samstag und jeden Sonntag von Ihnen, Professoren, hören, wie man macht, sondern …"

Sosan Azad: "Ja, weg von der Theorie, hin zur Praxis!"

Simplice Romiat: "Wie macht man die Tür auf und wie realisiert man sein Projekt? Wo findet man Geld?"

Simplice Romiat aus Kamerun, 37 Jahre alt, kurzes, krauses Haar, ist ungeduldig. Er will Ausstattung für Schulen und Krankenhäuser von Deutschland in seine Heimat vermitteln.

Während Kommunikationstrainer Jörg Pahnke Romiats Erwartungen auf dem Flipchart notiert, nickt seine Kollegin Sosan Azad im Businesslook mit rosa Bluse dem Kameruner verständnisvoll zu. Sie versucht ihn zu bremsen. Alles braucht Zeit.

Die erfolgreiche Lobbyistin und Kommunikationstrainerin ist selbst einmal aus Afghanistan eingewandert. Sie hat es geschafft - trotz aller sprachlichen und kulturellen Hindernisse.

Nino Ushikishvili: "Herr Nasser, wie wir bei der letzten Teamsitzung schon besprochen haben, hab' ich jetzt ein Konzept erarbeitet. Das Projekt ist für interkulturelle Bildung. Ich habe das ganze Projekt schon durchgeplant. Ich habe mir Gedanken über die Finanzierung gemacht. Und meine Frage ist, ob wir die Mitglieder einladen können und das Projekt dann vorstellen können."

Mohammed Nasser: "Zeigen Sie mal her!"

Nino Ushikishvili spielt mit einem anderen Teilnehmer vor der Gruppe ein Meeting innerhalb eines Vereins nach. Anschließend wird die Szene in der Gruppe analysiert. "Unterwürfig", so urteilt die Gruppe über das Auftreten von Nino. Von der Kritik lässt sich die Politikstudentin aber nicht entmutigen.

Nino Ushikishvili: "Ich hatte ein paar Vorstellungsgespräche gehabt. Damals war es mir überhaupt nicht bewusst, dass ich keinen Blickkontakt habe, wenn ich mich hinsetze und mich so klein mache. Das wurde mir nochmal bewusst. Und das fand ich sehr interessant, vor der ganzen Gruppe das zu beobachten: Was habe ich falsch gemacht? Was könnte ich besser machen?"

Nach dreieinhalb Stunden steht die erste Pause an. Organisatorin Baumann beeilt sich zu erklären, wieso gerade Migranten vom Angebot profitieren. Überzeugendes Auftreten, richtige Gesprächsführung und Smalltalk, das sei nicht zuletzt eine kulturelle Frage. Viele Migrantinnen, so Baumann, berichten darüber,

Mechthild Baumann: "dass sie große Probleme haben im persönlichen Kontext. Allein, Beispiel, jemandem anderen lange in die Augen zu schauen. Weil das in ihrer Kultur als extrem unhöflich gilt. Aber in unserer Kultur gilt es als unhöflich, wenn man jemandem nicht in die Augen schauen kann und seinem Gegenüber nicht ordentlich die Hand geben kann."

Am nächsten Tag trainieren die Seminarteilnehmer die Erstellung und Präsentation eines eigenen Organisationsprofils. Wer bin ich? An wen richte ich mich? Welche Ziele habe ich? Welches sind meine Stärken und Schwächen? Mohammed Nasser, ein 44 Jahre alter gebürtiger Palästinenser aus Berlin-Neukölln, hat als Betroffener einen Verein für Väter mit behinderten Kindern gegründet. Vor der Gruppe stellt er sein Projekt vor.

Mohammed Nasser: "Das ist unser oberstes Ziel: einen Begegnungsraum zu schaffen für diese Kinder. Und für mehr Anerkennung in der Gesellschaft und mehr Toleranz und Respekt den Vätern gegenüber. Die einzige Schwäche, die wir haben: Wir existieren rein ehrenamtlich. Drei Jahre habe ich alleine dafür gebraucht, an Türen anzuklopfen, dass man mir zuhört."

Antragsformulare, Finanzpläne, Formulierungen, Hierarchien und die Feinheiten der deutschen Bürokratie - darüber wollen Mohammed Nasser und die anderen beim Folgeseminar mehr erfahren. Tröstlich nur, dass auch deutsche Muttersprachler darüber gelegentlich verzweifeln.