Migranten kritisieren Stoibers "Stammtischparolen"

Moderation: Marie Sagenschneider |
Die von Bayern geplanten Maßnahmen zur sprachlichen Integration von Zuwanderern treffen bei Türken in Deutschland auf heftige Ablehnung. Der Vorsitzende der Union europäisch-türkischer Demokraten, Fevzi Cebe, kritisierte die "Stammtischparolen" von Edmund Stoiber. Als wichtige Voraussetzung für die sprachliche Integration türkischer Kinder nannte Cebe das Erlernen der eigenen Muttersprache.
Sagenschneider: Es ist ja nicht so, als hätte man um die Probleme nicht gewusst, aber der Hilferuf von Lehrern der Berliner Rütli-Hauptschule in Neukölln, der hat nun machtvoll ein Thema auf die politische Agenda gesetzt, dass man vielleicht auch wegen seiner Komplexität nicht so recht wahr haben wollte. Schließlich geht es nicht nur an Gewalt an Schulen. Es geht auch um Vernachlässigung, um mangelnde Integration oder fehlende Lehrstellen, um nur einige Aspekte zu nennen.

Wo aber setzt man an? Bayern will nun ganz rigide verfahren und einen Strafkatalog einführen, mit dem Familien ausländischer Herkunft zur besseren sprachlichen Integration gezwungen werden sollen. Wer seine Kinder nicht in die vorschulischen Sprachkurse schickt, die ab September eingeführt werden, muss demnach ein Bußgeld zahlen. Außerdem sollen die Ausländerbehörden darüber in Kenntnis gesetzt werden. Und auch Eltern können zu Integrationskursen verpflichtet werden.

Mehr Druck also auf Zuwanderer. Braucht es das? Auch darüber wollen wir nun hier im Deutschlandradio Kultur mit Fevzi Cebe sprechen, er ist der Vorsitzende der Union europäisch-türkischer Demokraten, eine Organisation, die sich intensiv mit Integration befasst. Herr Cebe, ich grüße Sie.

Cebe: Ich grüße Sie auch.

Sagenschneider: Dieser bayerische Ansatz, der beinhaltet ja auch den Vorwurf, dass die Einwanderer selbst nicht genügend zur Integration beitragen. Sehen Sei das auch so?

Cebe: Also, wir haben als UETD zwei Zehn-Punkte-Pläne entworfen, der eine reichtet sich an die Deutschen, oder die Europäer, und der andere Zehn-Punkte-Plan richtet sich an die türkisch-stämmigen Menschen in Europa. Natürlich ist das beidseitig wichtig. Beide Seiten müssen was dafür tun, aber bevor wir so mit Stammtischparolen, wie Herr Stoiber das ja gerne macht, den einen oder anderen Wähler versuchen, kurzfristig zu beeinflussen, müssen wir uns wirklich Gedanken manchen, was haben wir in Deutschland für Integration getan. Minister Laschet, hier in Nordrhein-Westfalen, ...

Sagenschneider: Der Integrationsminister.

Cebe: Genau, der Integrationsminister, gibt jetzt der Union zumindest eine Mitschuld und sagt, wir haben viel zu spät erkannt, dass wir was für Integration tun müssen.

Sagenschneider: Aber bleiben wir vielleicht noch mal erst bei den Einwanderern selbst. Wenn da nicht genügend beigetragen wird zur Integration, fragt man sich ja, wie kommt da zustande. Ist da zu wenig Bewusstsein dafür vorhanden, was es bedeutet, wenn die Kinder eben nicht im Heimatland aufwachsen oder will man damit sogar bewusst die eigene Identität bewahren?

Cebe: Also das letztere, bewusst die eigene Identität bewahren, ist glaube ich in jeder Minderheitenpsychologie oder -soziologie vorhanden. Die andere Frage ist doch, welche Möglichkeiten hat eine Migrantenfamilie sagen wir mal, im Umfeld von Nachbarn oder in der Kommune, in den politischen Parteien oder sonst irgendwie sich zu integrieren. Das erste was ich gesagt habe, im Umfeld, leben in den Ghettos halt keine anderen, es sind immer die gleichen. Die Ghettos haben dazu beigetragen, dass man sich nicht mit seinem Gegenüber dann irgendwie auch mal beschnuppert und mal kennerlernt.

Das Zweite: Was kann ein türkisch-stämmiger Mensch, oder ein Türke, in Deutschland, in der Kommune denn sich engagieren? Er hat ja noch nicht mal das kommunale Wahlrecht, wo es dann drum geht, die Müllabfuhr und die Straßenreinigung oder sonst irgendwelche Namensgebungen für irgendwelche Straßen mit zu beeinflussen. Also wir drängen ja auch als Mehrheitsgesellschaft, wenn ich jetzt mal als Deutscher reden darf, diese Migranten ja auch ganz bewusst heraus und wundern uns dann nachher, dass solche Phänomene auftauchen.

Sagenschneider: Ja, was sagen Sie denn den Leuten, wenn es Probleme gibt, und die gibt es ja immer wieder an diesen bestimmten Punkten, wenn Identität nicht mit den Anforderungen des Einwandererlands übereinstimmen. Also ein Beispiel, was da ganz oft genannt wird, sind eben die türkischen Mädchen, die nicht am Schwimmunterricht teilnehmen dürfen.

Cebe: Ja nun, dass es kulturelle Unterschiede gibt, das wollen wir ja gar nicht verheimlichen oder verneinen. Die gibt es. Dass Migrantenfamilien Angst haben, ihre Kultur zu verlieren oder ihre Töchter an eine fremde Gesellschaft zu verlieren, ich glaube, diese Angst muss man ihnen nehmen, das geht nur über Kommunikation und über sich kennen lernen. Ich weiß, dass es da von religiöser Seite aus große Einwände gibt, die muss man dann en detail vielleicht auch, nicht akzeptieren, aber man muss Möglichkeiten schaffen, wo eben diese Menschen sich nicht ausgegrenzt fühlen oder ausgezogen fühlen.

Sagenschneider: Müssen wir, Herr Cebe, in diesem Zusammenhang, wenn es um Integration geht, auch um Bildung, müssen wir dann intensiver über unterschiedliche Bildungsschichten bei den Zuwanderern sprechen?

Cebe: Ganz klar. Natürlich sehen wir das immer mehr. Es bildet sich eine zunehmend stärkere türkische Mittelschicht, mit der man diese Themen auch ganz anders angehen kann. Wir ringen um Ansprechpartner, finden sie häufig nicht. Wir werden heute mit der Integrationsministerin im Bundeskanzleramt ein Gespräch führen und werden diese Themen alle ansprechen. Auf der anderen Seite kann man natürlich auch verstehen, dass eine Mehrheitsgesellschaft, wenn sie dann eben zu über 80, 85 Prozent mit relativ bildungsmangelhaften Menschen konfrontiert ist, dass sie dann auch ein befremdetes Gefühl hat.

Aber ich will direkt zufügen, wenn Sie heute eine Million Ruhrpott-Arbeiter aus Gelsenkirchen oder aus Wanne-Eickel nähmen und nach Beverly Hills 90210 schickten, dann hätten die Amerikaner auch ein seltsames Gefühl von den Türken. Also Bildung ist eine ganz, ganz wichtige Geschichte. Und wir setzen uns sehr stark dafür ein, dass schon im Kindergarten Muttersprachenunterricht erst mal gefördert wird. Das verstehen die allermeisten Deutschen nicht, das muss man erklären, das muss man auch vielleicht Herrn Stoiber erklären, warum das wichtig ist ...

Sagenschneider: Dann erklären Sie uns das, das fragt man sich ja wirklich. Denn eigentlich sagt man ja, Kinder lernen als ganz kleine eben am besten und dann ist es sinnvoll, ihnen schon im Kindergarten Deutsch beizubringen.

Cebe: Es gibt zwei wissenschaftliche Erkenntnissee. Das eine ist, dass die Sprachkompetenz im Alter von sechs Jahren abgeschlossen ist. Und insofern müssen wir unsere Kinder früher einschulen. Das tun die Engländer mit fünf und das sollten die Deutschen vielleicht auch, ohne sich einen Zacken aus der Krone auszubrechen, auch tun. Dann müssen die Kinder im Alter von drei Jahren in den Kindergarten und es ist ganz wichtig, dass in den ersten, oder sogar in den ersten beiden Jahren, im Kindergarten eine suffiziente Muttersprachenausbildung stattfindet, weil nur die Verbindung zwischen Familie, also zwischen der Mutter und dem Kind, wenn die funktioniert, können wir auch ganz effizient weitere Fremdsprachen, in dem Fall weitere Sprachen, muss man ja dann sagen, die dann vielleicht äquivalent zueinander sind, aufbauen.

Ich kann das von meinen Kindern nur bestätigen, die sprechen jetzt drei Sprachen, weil sie eben auf eine englische Privatschule, leider Gottes können sich nicht viele das leisten, aber diese Kinder sprechen eben Türkisch, Deutsch und Englisch und die Lieblingssprache der Kinder ist Deutsch, weil die alle untereinander eben eine gemeinsame Sprache auswählen und das ist Deutsch. Es geht gar nicht darum, dass wir vor lauter Türkisch das Deutsche vernachlässigen, im Gegenteil, wir wollen den Kindern die Möglichkeit geben weitere Sprachen, und da ganz besonders Deutsch, so schnell wie möglich und so gut wie möglich zu lernen. Und da ist die Muttersprache, das ist eine wissenschaftliche Erkenntnis, hat eine Schlüsselposition. Die ist ganz, ganz wichtig.

Sagenschneider: Nun ja, nun reden Sie, sind Sie Akademiker und wir reden von Akademikerhaushalten und hohen Bildungsschichten. Aber was machen Sie eben genau in den anderen Schichten? Wird es da nicht bedeuten, wenn da nur Türkisch gesprochen wird, und das Umfeld entsprechend ist, dass die Integration sehr viel später, und zu spät, erst beginnen würde?

Cebe: Nein, schauen Sie, wenn Sie Kinder haben, die aus der Türkei kommen im Alter von elf, zwölf, dreizehn Jahren, die ein suffizientes Türkisch sprechen , die können sich schon innerhalb von zwei, drei Jahren sehr schnell und sehr gut hier integrieren. Wenn sie aber einen elfjährigen türkischen Schüler nehmen, der hier geboren und aufgewachsen ist, der wird auch mit vierzehn nicht in der Lage sein, weder Türkisch noch Deutsch vernünftig zu erlernen. Also wir müssen das Fahrrad nicht neu erfinden, sondern in ganz normalen Haushalten ist es eben auch sehr wichtig, in jungen Jahren, im Alter von drei und vier, eine suffiziente Basis in der Muttersprache zu legen, um dann mit dem Kind in der Vorschulklasse oder in der ersten und zweiten Klasse dann ganz, ganz intensiv Deutsch zu lernen. Andernfalls schmeißen wir das Geld zum Fenster raus, wenn wir eben Kurse forcieren.

Diese Thematik haben wir im Übrigen mit Herrn Integrationsminister Laschet hier in Nordrein-Westfalen besprochen, er hat auch im Prinzip bestätigt, dass das wissenschaftliche Erkenntnis ist, aber er hat gesagt, unser Geld reicht nicht aus. Wir können jetzt erst mal nur Deutsch geben und für Türkisch reicht das Geld nicht. Und da kann ich nur sagen, das ist zwar gut gemeint, aber letzten Endes ist es an den wissenschaftlichen Erkenntnissen vorbei. Das ist vielleicht Geld zum Fenster raus geschmissen.

Sagenschneider: Herr Cebe, ich danke Ihnen. Fevzi Cebe, der Vorsitzender der Union europäisch-türkischer Demokraten im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.