Migranten im Alter

Kultursensible Pflege - wie funktioniert das?

Hände, Senioren, Pflege, Altenheim, Seniorenheim
Bei der Betreuung von Migranten sind Altenpfleger mit besonderen Problemen konfrontiert. © dpa / picture alliance / Daniel Reinhardt
Von Elise Landschek · 12.03.2015
Etwa 192.000 Migranten im Rentenalter leben in Deutschland. Viele von ihnen haben spezielle Bedürfnisse bei der Pflege. Manche Einrichtungen haben sich darauf schon eingestellt. Ein Besuch in einem Seniorenheim in Hamburg.
Für jeden Patienten beginnt der Morgen mit einem kleinen Tropfen Blut - Blutzuckermessen, ein tägliches Ritual. Etwa zwanzig Männer und Frauen sitzen an frisch eingedeckten Frühstückstischen im Speisesaal des Ariana Pflegedienstes. Die Männer auf der linken Seite des Raumes, die Frauen auf der rechten. An den Wänden hängen großformatige Farbfotos mit Landschaften aus dem Iran und Afghanistan - Heimat fast aller Patienten hier. Mit einem kleinen grauen Messgerät geht Pflegerin Roya Sururi von einem zum nächsten, lacht, scherzt und fragt nach den Kindern und den Enkeln.
"Die sprechen kein Deutsch, sondern die Heimatsprache Afghanisch oder Persisch, die freuen sich, dass man Gespräche mit ihnen führen kann."
Vor allem demente Patienten können das spät erlernte Deutsch auf einmal nicht mehr sprechen und erinnern sich nur noch an ihre Muttersprache, sagt Roya Sururi. Sie ist im Iran geboren, vor 14 Jahren kam sie nach Deutschland. Die interkulturelle Tagespflege ist für viele Patienten wie ein Stück Heimat: der Kontakt untereinander und mit dem Personal, das aus demselben Kulturkreis kommt. Im Iran und Afghanistan spricht man zum Beispiel nicht offen über Schmerzen oder den Tod, Direktheit gilt als respektlos, sagt Roya Sururi.

Abdullah Ahrari hat den Ariana Pflegedienst vor 15 Jahren gegründet. Dazu gehört, neben der Tagespflege und der ambulanten Pflege, auch die interkulturelle stationäre Pflege, also ein Pflegeheim.
Betreuung durch Fremde gilt im islamischen Kulturkreis als Schande
Am Ende des Krankenhausflurs hängt eine große orientalisch verzierte Lampe über einem prunkvollen Samtsessel. Aus der Patientenküche zieht der Duft von Kardamom und Koriander. Am Anfang sei es schwer gewesen, die Familien vom Vorzug der Heimpflege zur überzeugen, erzählt Ahrari. Denn im islamischen Kulturkreis gilt es als Schande, die Eltern von fremden Menschen pflegen zu lassen.
"Dann wird einem direkt gesagt, schämst du dich nicht, wieso habt ihr keine Zeit? Und aus dieser Angst heraus, aus diesem traditionellen Druck heraus scheuen sich viele, ihre Eltern in ambulante Pflegedienst oder ins Heim zu geben. Da muss man einen langen Atem haben."
Inzwischen sind fast alle Betten auf der Station belegt. Viele Heimbewohner haben ihre Zimmer mit Bildern aus der Heimat und Wandteppichen dekoriert. Und es gibt zwei so genannte "Erinnerungszimmer", eines für Männer, eins für Frauen: kunstseidene Vorhänge vor den Fenstern, spiegelnde Mosaike an den Wänden, ein kniehoher Teetisch inmitten von Sitzkissen.
"Da ist auch ein Koran auf der Fensterbank und sie beten oder sitzen und klönen mit den Verwandten, die hier zu Besuch kommen."
Zur Grundausbildung des speziell geschulten Personals gehört nicht nur der Umgang mit dem Schamgefühl speziell männlicher Patienten, sondern auch mit Glaube und Aberglaube. Einige betrachten Krankheiten als Strafe Gottes oder fühlen sich von bösen Geistern besessen.
"Wiedergeboren werden, das gehört zu den ibrahimitischen Religionen, dass es die Hölle und das Paradies gibt, und deshalb glauben die Leute stark daran, dass wenn sie am Ende des Lebens beten, dann kommen sie ins Paradies."
Im Seniorenheim bilden sich Cliquen - entlang der Nationen
Die arabischstämmigen Patienten leben im Erdgeschoss, die deutschen Patienten im ersten Stock des Pflegeheims. Berührungspunkte gibt es kaum.
"Das ist schwierig. Für die Leute ist das sehr unangenehm und dann bilden sich Cliquen. In der Tagespflege waren am Anfang fünf Nationen. Araber oder Türken oder Deutsche waren unter sich. Jeder hat sich abgeschottet und das war nicht schön."
In der offenen Küche der Tagespflege wird gerade das Mittagessen zubereitet. Es gibt Linsensuppe und orientalisch gewürzte Fleischbällchen. Pflegerin Alexandra Muntean kam vor 17 Jahren als kleines Kind aus Rumänien nach Deutschland, für die Patienten hier ist sie "die Deutsche".
"Ich musste echt damit kämpfen, bis die mich akzeptiert haben. Ich trage kein Kopftuch. Ich trage ein Kreuz, ich habe eine andere Religion, ich bin offener, ich gehe auf die Menschen zu. Hier ist es so: Frau und Mann sind getrennt. Man lacht mit einem Mann nicht, man gibt sich nicht die Hand, man grüßt sich vielleicht von Weitem."
Inzwischen ist Alexandra voll akzeptiert.
"Nachdem sie den Menschen kennengelernt haben und gemerkt haben, das ist einfach so ihre Art, das ist nett, mittlerweile ist es so, wann kommst du zurück?"
Auf der Internetseite des interkulturellen Pflegedienstes findet man viele Stellenangebote. Der Bedarf wächst und es gibt viel zu wenig ausgebildetes Personal.