Miederhöschen und Gebisse

Von Silke Lahmann-Lammert · 02.05.2008
Das Hamburger Abwasser- und Sielmuseum zeigt nicht nur eine der skurrilsten Sammlungen der Republik, sondern führt auch hinab in die Kanalisation. Dort bekommen die Besucher eine 160-jährige Unterwelt-Geschichte zu sehen. Hamburg war die erste Stadt Europas, die ein unterirdisches Kanalisationssystem einführte.
Besucherin:
"Wie kommt so was ins Klo?"

Zwei Besucherinnen mustern die Dessoussammlung an der Wand des Abwasser- und Sielmuseums.

Besucherinnen:
"Tja, weg mit Schaden. Nein, also, so was kann doch nur aus Versehen passieren."

Im Kuriositätenkabinett des Backsteinbaus neben den St. Pauli Landungsbrücken sind Kleidungsstücke ausgestellt, die Mitarbeiter der Stadtentwässerung aus der Kanalisation gefischt haben: Die Auswahl reicht vom String-Tanga bis zum Liebestöter aus den Fünfzigerjahren.

Heuer : " »Einige der Exponate sind – wie Sie sehen - schon etwas älter. Strumpfhalter nutzt ja heute niemand mehr. Und ich kann mir vorstellen, dass mit der Handwaschlauge dann das eine oder andere über die Toilette verschwunden ist.""

... vermutet Katrin Heuer von der Hamburger Stadtentwässerung...

Heuer :
"Kommen Sie bitte!"

Unsere Gruppe folgt der Museums-Mitarbeiterin in einen Raum mit weiteren Fundstücken: Gebisse, Schmuck, Brieftaschen, Personalausweise und ein gehäkelter Penis in den Nationalfarben Italiens. Daneben eine Schubkarre - zusammengefaltet wie eine Ziehharmonika. Bei heftigen Regengüssen – erklärt Katrin Heuer – verwandeln sich die Siele in reißende Ströme. Einem solchen Wasserschwall ist die Schubkarre zum Opfer gefallen.

Heuer: " »Es kann im Siel nicht nur durch das Wasser gefährlich sein oder durch das Methangas, sondern es kann natürlich auch sein, dass durch die Tätigkeit der Mikroorganismen zu wenig Sauerstoff in der Sielatmosphäre ist bzw. dass Mikroorganismen Schwefelwasserstoff von sich geben. Deshalb haben die Kollegen immer so’n kleines Messgerät bei sich, das misst die Gaskonzentration. Und das ist dann das Zeichen, dass das Siel verlassen werden muss bzw. gar nicht erst betreten werden darf.""

Auf unserem Ausflug in die Kanalisation hat auch Katrin Heuer ein Messgerät dabei. Feierlich öffnet sie die Stahltür zur Hamburger Unterwelt.

Besucherin: "Ich riech’s schon!"

Mit jeder Stufe wird der Geruch – eine Mischung aus Moder und Kloake – heftiger.

Heuer: " »Wir gehen jetzt in eine sog. Bootskammer, architektonisch wunderschön, kommen Sie bitte.""

Einige Treppen tiefer erreichen wir ein beeindruckendes Backsteingewölbe. Von einem Stahlgitter-Balkon im oberen Wandbereich aus blicken wir auf zwei Abwasserkanäle. Hier fließen die beiden Hauptsiele aus der Hamburger Innenstadt zusammen, wenige Meter weiter werden Pumpen die düstere Brühe zum Klärwerk Köhlbrandhöft-Dradenau auf der Elbinsel Wilhelmsburg befördern.

Heuer : " »Also Bootskammer heißt dieser Raum deshalb, weil hier früher die Boote aufbewahrt wurden, mit denen man durch die Siele gefahren ist. Die hingen dann an der Decke. Sie sehen noch die Reste von den Flaschenzügen.""

Die Boote wurden nicht nur für Wartungsarbeiten genutzt, sondern auch für Besichtigungsfahrten. Ingenieure aus ganz Europa reisten an, um in Hamburg zu erfahren, wie eine unterirdische Stadtentwässerung funktioniert. Prominenteste Gäste waren 1877 Kronprinz Friedrich und sein Sohn Wilhelm. Mit den Sicherheitsvorkehrungen nahm man es damals noch nicht so genau.

Heuer : "Die bekamen dann ne Zigarre gegen den Gestank und es wurde dann mit Fackeln ausgeleuchtet da unten. Und in den Nischen saßen Kollegen aus der damaligen Zeit und haben für die hohen Herren gesungen. Und die sollen begeistert gewesen sein."

Vor dem Bau der Kanalisation schütteten die Hamburger ihr Schmutzwasser und den Inhalt ihrer Nachtöpfe in die Fleete. Jene Kanäle, aus denen sie auch ihr Trinkwasser schöpften. Cholera und andere Infektionserkrankungen waren an der Tagesordnung. Ihr ausgeklügeltes Sielsystem verdankt die Stadt dem britischen Ingenieur William Lindley. Und dem traurigen Umstand, dass 1842 ein Brand große Teile Hamburgs in Schutt und Asche legte.

Heuer : " »Und William Lindley hat in einem Brief geschrieben: Ich fürchte, das Beste, was Hamburg passieren könnte, wäre ein großes Feuer. Und dann kam das große Feuer. Und er hatte Pläne für Siele gemacht. Und als er die Pläne dann vorlegen sollte, hat er erst mal das Datum abgeschnitten. Denn es kursierten ja eh schon Gerüchte, dass Ausländer die Stadt in Brand gesetzt hätten.""

Die Museumstour führt weiter zu einer Rechen-Anlage, die alles aus dem Abwasser harkt, was den Pumpen schaden könnte – vom Wattestäbchen bis zur toten Ratte. Und in die Halle, in der vier gigantische Pumpen das Abwasser - unter der Elbe hindurch – ins Klärwerk pumpen. Wie die trübe Flut dort gereinigt wird, bis sie so sauber ist, dass sie wieder in den Fluss geleitet werden kann, erfahren wir aus einem Film, der ebenfalls zur Führung gehört. Zwei spannende Stunden dauert das Programm.

Es endet an den Waschbecken des Museums, wo wir uns Krankheitserreger, mit denen wir in Berührung gekommen sein könnten, von den Händen waschen. Den faulig-stechenden Geruch behalten wir noch stundenlang in der Nase.


In Kooperation mit dem Deutschen Museumsbund stellt Deutschlandradio Kultur im Radiofeuilleton jeden Freitag gegen 10:50 Uhr im "Profil" ein deutsches Regionalmuseum vor. In dieser Reihe wollen wir zeigen, dass auch und gerade die kleineren und mittleren Museen Deutschlands unerwartete Schätze haben, die es sicht lohnt, überregional bekannt zu machen und natürlich auch zu besuchen.