Microsoft Office und der Alltag

Ein ganzes Leben lang im Büro

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Microsoft Co-Gründer Bill Gates sitzt an einem großen Schreibtisch in seinem zuhause.
Microsoft-Gründer Bill Gates allein zu Haus. Dank Office gilt: Wenn die Angestellten nicht in die Büros kommen, kommt das Büro eben zu den Angestellten. © Getty Images / Corbis / Doug Wilson
Eine Anmerkung von Christoph Bartmann · 17.12.2020
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Früher gab es ein Leben außerhalb der Büros. Heute ist dank Microsoft Office niemals Feierabend. Ein Weihnachten ohne Office-Software? In Zeiten von Corona undenkbar. Unser Leben wird zusehends büro-artiger, sagt der Publizist Christoph Bartmann.
Die Älteren erinnern sich noch dunkel: Es gab ein Office schon vor Office, dem Programmpaket von Microsoft, das Bill Gates und Paul Allen am 1. August 1989 als 3,5 Zoll-Diskette, zunächst nur für den Mac, dann 1990 auch für Windows auf den Markt brachten.
Das Office früherer Tage hieß auch Officium, Kontor, Kanzlei oder Büro und war vorwiegend ein Raum für Verwaltungstätigkeiten. Hier erledigte man, besser als irgendwo sonst und idealerweise innerhalb der Bürozeiten, seine Dienstgeschäfte.

Das alte "Office" kannte den Dienstschluss

Die alte Bürowelt mit ihren Aktendeckeln, Gummibäumen und Ärmelschonern wird heute mild belächelt, aber wenigstens kannte man damals noch die Vorfreude auf den Dienstschluss. Die letzte Arbeitsminute, registrierte der Prager Verwaltungsjurist Franz Kafka, sei für die Angestellten das "Sprungbrett ihrer Lustigkeit". Diese Art Lustigkeit hat ein Ende, wenn überall und immerfort Büro sein kann.
Mit Microsofts gut 30 Jahre alter "Office Suite" (wörtlich also "Büroetage") aus Word, Mail, Excel, Power Point und immer weiteren Anwendungen hat sich die Büroarbeit räumlich und zeitlich entgrenzt, und das schon lange bevor uns Corona ins Home Office zwangsversetzte. Wo einmal "9 to 5" war, heutzutage fast nur noch eine Kurzformel für fremdbestimmte, langweilige Arbeitsverhältnisse, herrscht dank Microsoft Office jetzt "24/7", und damit die Chance, den eigenen Arbeitseifer ganz gleich zu welcher Nacht- und Tageszeit auszuleben und ihn mit außerdienstlichen Interessen vielleicht besser in Einklang zu bringen.
Ohne Office-Paket ist die neue Bürowelt nicht vorstellbar. Private Haushalte, kleine und mittlere Firmen, große Unternehmen und öffentliche Verwaltungen stehen fast ausnahmslos "unter Office", und damit unter dem Quasi-Monopol eines Konzerns, der erheblich mehr über uns Kunden weiß, als wir jemals über ihn wissen werden.

Mit Office durchs ganze Leben

Mit Office bewege ich mich durch die Welt. Jedenfalls durch die Welt, in der ich schreibe, rechne, verwalte, Präsentationen vorbereite und mich zunehmend auch selbst präsentiere. Microsoft Office begleitet uns durch ein Leben, das zunehmend bestimmt ist von dienstlicher und privater Bürotätigkeit. Es war also nur konsequent, dass Microsoft den Produktnamen Office irgendwann diskret fallen ließ. 2011 führte man, zusätzlich zum traditionellen Office-Paket, eigens für Firmen einen Lizenzplan namens "Office 365" ein. Seit 2019 heißt das selbe Paket nur noch "Microsoft 365".
Mit dem Produktnamen hat sich auch die Strategie verändert. Die ehemalige Büro- und Firmensoftware vermarktet man jetzt als "Produktivitäts-Cloud für Arbeit und Privat". Mit im Paket ist die Konferenz- und Chat-Applikation namens Teams, mit der Microsoft dem Konkurrenten Zoom Paroli bieten will. Microsoft Teams, lesen wir, "soll nicht nur für die Zusammenarbeit mit Kollegen das Fundament sein, sondern auch das Familienleben koordinieren."
Office, soll das wohl heißen, war gestern. Office war noch nicht groß genug gedacht.

Zum Fest eine Datenspende an Microsoft

Je fließender die Grenzen zwischen Dienstlichem und Privatem werden, desto besser für Microsoft 365. Tools für alle Tage, man kann das praktisch finden oder auch schrecklich. 365, das heißt ja, dass auch an Sonn- und Feiertagen, in Urlauben und Freizeiten, gleich ob wir gerade "Single" sind oder "Family", wie es bei Microsoft heißt, die Produktivitäts-Cloud immer für uns da ist. 24/7 mal 52 ergibt ja ungefähr 365, nur an den seltenen Schalttagen hätte man vielleicht seine Ruhe.
Was war dagegen noch mal Office? Ach ja, ein Begriff aus der Ära, in der man noch ziemlich künstlich und unproduktiv zwischen Arbeit und privat eine Grenze zog. Vielleicht gerät ja das ziemlich häusliche Weihnachten im Coronajahr 2020 dank Microsoft 365 zur Sternstunde der Familienkoordination: Wir werden dann fleißig Microsofts Angeboten folgen, werden "den Gruppenchat nutzen, Videoanrufe tätigen, gemeinsam Listen führen, Zeitpläne koordinieren sowie Fotos und Videos austauschen".
Das wird ein Fest – Microsoft wird sich für unsere familiäre Datenspende bedanken.

Christoph Bartmann ist Direktor des Goethe-Instituts Warschau, außerdem Publizist; Rezensent und Autor. Im Carl Hanser Verlag erschienen von ihm: Leben im Büro. Die schöne neue Welt der Angestellten (2012) und Die Rückkehr der Diener. Das neue Bürgertum und sein Personal (2016).

Porträt von Christoph Bartmann, der einen legeren Anzug trägt und ernst in die Kamera blickt.
© Hanser Verlag/Peter-Andreas Hassiepen
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