Mick Herron: "Real Tigers"

In der Abstellkammer des MI5

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Cover des Buchs "Real Tigers" von Mick Herron.
Britischer Humor von der feinsten Sorte: "Real Tigers" von Mick Herron. © Diogenes / Deutschlandradio
Von Tobias Gohlis · 11.12.2020
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Spielzeugfiguren, Papierschlachten und ein Innenminister, der Boris Johnson zum Verwechseln ähnlich sieht: "Real Tigers" ist der dritte Band aus Mick Herrons Reihe um ein Team britischer Geheimagenten, die herrlich abgehalftert sind.
Geheimdienstler, die aus dem Ruder gelaufen sind, Outlaws wider Willen, die Maulwürfe ausbuddeln – all das hat es in der Geschichte der Spionageliteratur schon gegeben. Aber so etwas wie das Slough House, das der Brite Mick Herron erfunden hat, noch nicht.
In diesem "Sumpfhaus" oder Drecksloch hat der britische Geheimdienst aus niedrigen Beweggründen Agenten untergebracht, die er nicht mehr braucht, weil sie saufen, koksen oder anderweitig fehlerhaft sind. Sie sollen dort so lange sinnlos in Akten wühlen und Nonsens recherchieren, bis sie von sich aus kündigen und damit dem MI5 die Abfindung ersparen.
"Slow horses" – lahme Gäule - werden sie von den "richtigen" Agenten genannt. Doch sie selbst sehen sich nicht so. Eine große, gelungene Aktion – und man wird sie schon wieder in Ehren aufnehmen. Das ist ihr Traum. In "Real Tigers", dem dritten Band der Serie, kommen sie dem ganz nahe.

Spiel um die Macht

Kein Schwein hat die "lahmen Gäule" je ernst genommen. Das ändert sich, als Catherine Standish, trockene Alkoholikerin und Assistentin des Chefs des Slough House Jackson Lamb, entführt wird. Die Entführer wollen Catherine erst freilassen, wenn die "Gäule" aus dem hoch gesicherten Archiv von MI5 eine Akte beschafft haben.
Was Entführer wie "Gäule" nicht wissen: Sie sind bloß Marionetten in einem Spiel um die Macht im MI5 zwischen den beiden rivalisierenden Direktorinnen und dem neuen Innenminister, der Boris Johnson verdammt ähnlich sieht.

Der Krieg im Innern des Apparats

Alle drei gehören zur Upper Class, alle drei spielen ohne Rücksicht auf Verluste. Wer vom Fußvolk dabei draufgeht, ist ihnen egal.
In "Real Tigers" hält sich Mick Herron nicht mit den traditionellen MI5-Arbeitsfeldern Terrorismus oder Spionageabwehr auf. Der kalte Krieg ist vorbei, jetzt wird der Krieg im Innern des Apparats geführt.
Das britische Empire ist auf die Spielzeugfiguren abgehalfterter Geheimdienstler und auf bürokratische Planspielereien geschrumpft. Weshalb sich alle Intrigen, Gegenintrigen und Gewalttaten nur um den Besitz einer Politikerakte drehen. Folgerichtig findet der Showdown, blutig und brutal, aber eine Papierschlacht, im Archivkeller statt.

Schwarzer Humor made in Britain

Herrons wunderbar frech lästernde Spy-Serie verhält sich zu John le Carrés moralischen Geheimdienst-Epen wie Monty Pythons "Das Leben des Brian" zum Neuen Testament.
Ein Genuss, besonders für Freundinnen und Freunde des schwarzen britischen Humors.

Mick Herron: "Real Tigers"
Aus dem Englischen von Stefanie Schäfer
Diogenes, Zürich 2020
480 Seiten, 18 Euro

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