Michelle Zauner: "Tränen im Asia-Markt“

Mutterliebe geht durch den Magen

05:39 Minuten
Zu sehen ist das Cover des Buches "Tränen im Asia-Markt" von Michelle Zauner.
© Ullstein

Michelle Zauner

Übersetzt von Corinna Rodewald

Tränen im Asia-Markt. Eine Geschichte von Trauer, Liebe und koreanischem EssenUllstein, Berlin 2021

320 Seiten

18,00 Euro

Von Susanne Billig · 17.12.2021
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Die Musikerin Michelle Zauner feiert den Sound der 1980er-Jahre mit romantischen Klangflächen und gefühlvollen Texten. Ebenso ausdrucksstark ist ihr nun erschienenes Buch, das ihrer Mutter ein großartiges Denkmal setzt.
Michelles Hände streicheln im Asia-Supermarkt die Gläser und Tüten mit koreanischen Zutaten. Ihr Mund spricht die Namen laut aus: Chamoe-Melonen. Danmuji. Jolly Pong. Tteokgu. Aus ihren Augen fließen Tränen, denn alles erinnert sie an ihre Mutter, die tot ist.
Vom ersten Satz an saugt Michelle Zauners Buch „Tränen im Asia-Markt“ in die ganz besondere autobiografische Welt der Autorin. Ihr Vater – ein ehemaliger US-Soldat, unbeholfen in seiner Zuneigung und dem Alkohol zugetan – spielt nur eine Nebenrolle.
Michelles Kindheit wird von der koreanischen Mutter dominiert. Die hatte sich als junge Frau in den US-Amerikaner verliebt, folgte ihm ins ferne Ausland und bemüht sich nun nach Kräften, so viel Korea wie möglich zu bewahren – in der Haushaltsführung und in Michelles Erziehung, worauf die Tochter mit zunehmendem Widerstand reagiert.

Glücklicherweise gibt es die Mahlzeiten

Doch glücklicherweise gibt es die Mahlzeiten, immer wieder die dampfenden, siedenden, fettglänzenden koreanischen Gerichte, die Brücken bauen zwischen Mutter, Tochter und Vater. Dieses Buch lässt sich nicht lesen, ohne dass einem das Wasser im Mund zusammenläuft, so plastisch schildert Zauner die erstaunlichen Kreationen, die ihre Mutter in der Küche aufwendig zubereitet und auf dem Esstisch der Familie choreografiert.
Nach und nach entfaltet „Tränen im Asia-Markt“ ein vielschichtiges Porträt dieser Immigrantin mit ihren zahllosen Marotten. QVC-kaufsüchtig vertraut die Mutter der Werbung blind, stapelt Kochzubehör in der Küche und türmt im Badezimmer Tuben und Tiegel auf, an deren Wunderwirkung für einen makellosen Teint sie felsenfest glaubt.
Täglich saugt sie, eine überdimensionierte Sonnenbrille auf der Nase, sämtliche Zimmer der Wohnung. Sie räumt penibel auf und erträgt es nicht, wenn auch nur ein Gegenstand nicht haargenau an seinem Platz steht.

Beide verletzten sich tief

Ständig zupft sie an der einzigen Tochter herum, weist zurecht. Sie quittiert Missgeschicke wie aufgestoßene Kinderknie mit harschem Tadel und bringt für kindlichen Eigensinn keinerlei Verständnis auf – geschweige denn für die Träume der Heranwachsenden.
Bald schlagen Mutter und Tochter einander tiefe Wunden, erbarmungslos, bis es fast zum Bruch zwischen ihnen kommt. Michelle muss weggehen und eigenen Wegen folgen, selbst Widrigkeiten und Scheitern erleben, bis sie lernt, das Herz der Mutter zu verstehen. Als die schwer an Krebs erkrankt, kehrt die Tochter in das Haus ihrer Kindheit zurück.

Kürzer wäre besser

Dem Buch hätten – es ist eine Klage auf hohem Niveau – hundert Seiten weniger gutgetan, denn nach etwa zwei Dritteln läuft die Geschichte allmählich leer, weil sie auserzählt ist. Die Mutter ist unter dramatischen Umständen gestorben, Vater und Tochter bleiben einander fremd, die Liebesgeschichte mit dem gut aussehenden Musiker Peter wurde romantisch vollendet.
Und doch wird Seite um Seite weiter koreanisch gekocht und gegessen. Was Zauner bis zu diesem Leerlaufpunkt an dichter Erzählung entfaltet, lohnt die Lektüre unbedingt.

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