Michael Stegemann über das Ende des Friedens

Michael Stegemann
Michael Stegemann © Deutschlandradio / Bettina Straub
Während sich ein unvorstellbares Gewitter über Europa zusammenbraut, sorgt man sich in Wien um die Gesundheit des "ältesten Kaisers der Welt", Franz Josephs I. Derweil sucht Alexander Skrjabin den ultimativen esoterischen Kick, und Richard Strauss wird in Paris gefeiert.
"Die Schlafwandler" hat der Historiker Christopher Clark seine große, viel beachtete Studie darüber benannt, "Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog". Und wirklich scheint bis zuletzt – bis zu dem Attentat von Sarajewo, bei dem der Serbe Gavrilo Princip am 28. Juni 1914 den österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Sophie erschoss – niemand geahnt zu haben, auf welche Katastrophe man zusteuerte.Wenn man die sechs Wochen vor dem Attentat Revue passieren lässt – sozusagen "die vorletzten Tage der Menschheit", nach denen Karl Kraus den Ersten Weltkrieg als "Die letzten Tage der Menschheit ausrief" –, ergibt sich ein merkwürdig diffuses, quasi aus der Zeit gefallenes Bild. Oder muss man nur genau hinhören und -sehen und zwischen den Zeilen der Zeitungen und Briefe lesen, um den bevorstehenden Untergang zu ahnen?Sechs halbstündige Features von Michael Stegemann (vom 21. Mai bis zum 25. Juni an jedem Mittwoch ab 20.03 Uhr, jeweils ergänzt um Musikproduktionen zum Thema) bringen in Form einer atmosphärischen, aus Musik und Texten dicht gefügten Collage dieses alte, auf sein Ende zutreibende Europa noch einmal zum Klingen. Schauplätze sind Berlin, London, Moskau, Paris und Wien, Russland und Serbien, Frankreich und Preußen, England und Italien oder auch der "Doppelpropellerexpreßpostdampfer Wilhelm II.", auf dem Jean Sibelius den Atlantik überquerte.Quellen sind Zeitungen und Zeitschriften wie "Le Figaro" oder "L'Humanité", die "Wiener Zeitung" oder das "Prager Tagblatt", "Die Feder" oder Karl Kraus' "Fackel"; dazu Briefe und Tagebücher, Gedichte und Prosatexte – und vor allem geht es um die europäischen Komponisten, deren Musik in diesen sechs Wochen entstand oder aufgeführt wurde: Alban Berg, Ferruccio Busoni und Claude Debussy, Edward Elgar, Gabriel Fauré und Albéric Magnard, Sergej Prokofjew, Giacomo Puccini und Maurice Ravel, Camille Saint-Saëns, Erik Satie und Arnold Schönberg, Alexander Skrjabin, Rudi Stephan und Richard Strauss, Igor Strawinsky, Anton Webern und Alexander Zemlinsky – der "ferne Klang" einer so nahen Epoche, die doch im Rückblick und im Zerrspiegel zweier Weltkriege unendlich weit weg zu sein scheint.Michael Stegemann, geboren 1956, studierte Musikwissenschaft und Komposition (u.a. bei Olivier Messiaen). Er ist Professor für Musikwissenschaft an der TU Dortmund, Herausgeber zahlreicher Noteneditionen (u.a. Klavierwerke von Claude Debussy), Buchautor (u.a. Biografie über Glenn Gould), Hörfunkmoderator und Verfasser preisgekrönter Hörspiele und Sendereihen über Komponisten. Im Deutschlandradio Kultur ist er regelmäßig in den "Interpretationen" zu Gast.
Michael Stegemann und Olaf Wilhelmer
Michael Stegemann und Olaf Wilhelmer© Deutschlandradio / Bettina Straub
Michael Stegemann
Michael Stegemann© Deutschlandradio / Bettina Straub
Die vorletzten Tage der Menschheit oder: Sechs Wochen bis zum Schuss
Europa vor dem großen Krieg - 18. Mai bis 28. Juni 1914
Folge 1/6: 18. bis 24. Mai 1914
Von Michael Stegemann
Regie: der Autor
Mit Maria Hartmann, Friedhelm Ptok, Gerd Wameling und Michael Stegemann
Ton: Philipp Adelmann

Produktion: Deutschlandradio Kultur 2014
(Teil 2 am 28.05.2014)

anschließend:

Jüdisches Museum Berlin
Festival "Intonations"
Aufzeichnung vom 08. und 11.05.2014

Karol Szymanowski
Drei Mythen für Violine und Klavier op. 30

Daishin Kashimoto, Violine
Jonathan Gilad, Klavier

Max Reger
Serenade Nr. 2 op. 141a

Guy Eshed, Flöte
Mihaela Martin, Violine
Nobuko Imai, Viola

Das Manuskript zur Sendung können Sie hier als PDF-Datei herunterladen.

Alle Teile im Überblick: