Mexikanisches Kino

Filmemachen in Zeiten des Mauerbaus

Filmstill aus "La libertad del diablo" von Everardo González (Berlinale-Pressefoto)
Filmstill aus "La libertad del diablo" von Everardo González © Animal de Luz Films
Von Wolfgang Martin Hamdorf · 13.02.2017
Er wolle in Berlin lernen, wie man Mauern niederreißen könne, sagte Schauspieler, Regisseur und Jury-Mitglied Diego Luna aus Mexiko zu Beginn der Berlinale. Andere mexikanische Filmemacher sehen die von Trump geplante Mauer sogar als Chance - wenn auch mit sarkastischer Note.
"Es gibt eine ganz starke dokumentarische Tradition in Mexiko, die immer sehr politisch geprägt war. Aber auch der Spielfilm versucht viel stärker als früher, die politischen und sozialen Widersprüche Mexikos und der Region einzufangen. Es ist ein guter Moment für politisches Kino und sozial engagierte Filme in meinem Land. Ich glaube, besonders die junge Generation will unsere Wirklichkeit heute dokumentieren, damit es in der Zukunft nicht vergessen wird."
Regisseur Everardo Gonzales ist einer der bekanntesten Dokumentarfilmer Mexikos. Sein Film "La Libertad del Diablo" (Die Freiheit des Teufels) läuft in der Reihe "Berlinale Specials" und zeigt eine verstörende Wirklichkeit: Opfer und Täter erzählen von Mord, Massaker und Folter im mexikanischen Drogenkrieg. Der Film zeigt nur maskierte Menschen, die sich vor der Kamera erinnern.
Die mexikanische Gesellschaft sei von Gewalt und unbeschreiblichen sozialen Gegensätzen zerrissen, so der Filmemacher. Die Mauer, die nach den Plänen des US-Präsidenten bald die USA und Mexiko trennen soll, wäre ein weiteres Symbol für das soziale und politische Ungleichgewicht in der Region.
"Am Ende schaffen diese Mauern doch nur wieder Mächtige und Unterdrückte. Diese Grenzen schaffen mächtige Länder auf der einen und untertänige Länder auf der anderen Seite, mächtige Bürger und untertänige Bürger. Sozial zerrissene Gesellschaften und die Macht, davon handelt mein Film: Gewaltexzesse und ein andauerndes Blutvergießen, nur um diese Macht zu behalten."

Doku über Transsexuelle in Mexiko

Sechs mexikanische Filme laufen in verschiedenen Sektionen der Berlinale. Der 36-jährige Produzent Juan Pablo Bastarrachea zeigt im Forum "Casa Roshell", einen mexikanisch-chilenischen Dokumentarfilm über Transsexuelle in Mexiko. Die neue Mauer könne, sagt er, auch eine neue kulturelle Orientierung in Mexiko bewirken.
"Vielleicht bin ich zu optimistisch, aber ich glaube, das Ganze ist für uns auch eine Chance, wieder in die andere Richtung zu schauen, und unsere kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Bindungen nach Lateinamerika zu erneuern."
Auch auf dem Europäischen Filmmarkt der Berlinale ist Mexiko präsent. Dort werden fast fertige Spiel- und Dokumentarfilme und Serien vorgestellt - und bestenfalls verkauft. Der mexikanische Produzent Gerardo Naranjo, Ko-Produktionspartner für eine Serie, hat jahrelang in den USA gearbeitet und bekannte Serien wie "Narcos" gemacht. Er sieht in der gegenwärtigen Spannung mit den USA für den mexikanischen Film auch die Möglichkeit einer Neuorientierung.
"Heute ist es, glaube ich für uns sehr wichtig nach Europa zu schauen, wie dort Filme produziert werden und in die Kinos kommen. Es ist wichtig, dass wir begreifen, dass wir unsere eigenen Filme machen können, mit unseren eigenen Themen und unseren eigenen Produktionsformen und nicht mehr ständig die großen US-amerikanischen Produktionsstandards zu bewundern."

Keine Chance auf dem amerikanischen Markt

Regisseur Max Zunino erzählt in seinem fast beendeten Film "Bruma" von einer jungen Mexikanerin, die nach Berlin geht, um ihren Vater zu suchen. Die neue Mauer an der Grenze, sagt er, visualisiere Barrieren, die schon lange den Alltag in Mexiko bestimmten.
"Für den mexikanischen Film gibt es diese Mauer schon lange. Die mexikanischen Filme haben keine Chance auf dem amerikanischen Markt und die amerikanischen Produktionen dominieren die mexikanischen Kinos.
Vielleicht führt die ganze Diskussion um die neue Mauer auch dazu, dass wir uns generell mehr auf die eigenen nationalen Produkte besinnen. Mit dem neuen Herrn Präsident wird alles deutlicher: Seine Vorgänger waren Wölfe im Schafspelz, er ist ein Wolf im Wolfsfell."
Der mexikanischen Kultur, dem mexikanischen Film stehen spannende Zeiten bevor, meint sein seit einiger Zeit in Berlin lebender Hauptdarsteller Juan Manuel Bernal mit einigem Sarkasmus.
"Ich glaube, ich vermute, dass es eigentlich eine sehr gute Sache für Mexiko sein kann. Ich glaube, das wird in ein paar Jahren auch eine sehr gute Quelle für interessante, bewegende Geschichten."
Man kann gespannt sein, wie und ob sich die geplante Mauer im mexikanischen Film niederschlagen wird. Mit 160 Produktionen im Jahr ist der Film des mittelamerikanischen Landes inhaltlich breit aufgestellt. Neben zahlreichen Mittelklassenkomödien und Genrefilmen unterschiedlicher Couleur sind die sozialen Widersprüche der mexikanischen Gesellschaft, die tägliche kriminelle und staatliche Gewalt und die Flüchtlinge auf dem Weg in die USA wichtige Themen mexikanischer Filmemacher. Mit der neuen Mauer im Norden entsteht hier ein zusätzlicher Bildverstärker.