Mexikaner, Feingeist und großer Schriftsteller

Von Uwe Stolzmann · 15.05.2012
Carlos Fuentes zählt zu den bekanntesten Autoren Lateinamerikas. Er verstand sich als Fürsprecher der Benachteiligten und Stimme der Dritten Welt. Zu seinem bekanntesten Romanen zählt "Terra Nostra". Er starb im Alter von 83 Jahren an einem Herzinfarkt.
Carlos Fuentes: "Ich schreibe, wo immer ich bin. Auch im Flugzeug oder im Hotelzimmer. Ich will bei der Arbeit das Leben um mich herum hören. Nein, ich mag nicht isoliert sein. Ich kann unter allen Umständen und zu jeder Zeit gut arbeiten."

Carlos Fuentes, Jahrgang 1928, liebte das Reisen, die Wanderung zwischen den Kulturen. Geboren wurde er in Panama, in der Schweiz hat er Jura studiert, er war Mexikos Botschafter in Paris und hielt Vorlesungen in Harvard. Er schätzte den steten Wechsel - ein Bein in der Neuen, ein Bein in der Alten Welt.

Carlos Fuentes: "Ich lebe nur ein halbes Jahr in Mexiko, weil es mir dort nicht gelingt, eine einzige Zeile zu schreiben. Man ruft mich ständig an, ich muss Faxe beantworten, Freunde besuchen, am öffentlichen Leben teilnehmen. Danach ziehe ich mich nach London zurück."

Carlos Fuentes, ein eleganter Feingeist, war der Prototyp des lateinamerikanischen Links-Intellektuellen. Geschliffene Prosa-Texte haben den Mexikaner berühmt gemacht, Texte von manchmal barocker Üppigkeit. Bücher wie "Terra Nostra", "Der alte Gringo", "Der Tod des Artemio Cruz" oder "Landschaft in klarem Licht", eine sarkastische Hommage an seine Heimat.

Carlos Fuentes: "Komm, lass dich mit mir fallen. In unsere mondzerklüftete Stadt. Stadt aus Kanälen, kristallischem Dunst und steinernem Raureif. Stadt, wo all unser Vergessen gegenwärtig ist."

Mexiko, das war das eine große Thema des Romanciers und Essayisten: Die Metropole, das unermessliche Land und die fragile Identität der Mexikaner. Mythen hatten es dem Dichter angetan. Und die Dämonen der Vergangenheit. Er las die Stadt als Palimpsest, ein Pergament, das stets aufs Neue beschrieben wurde. Vorsichtig grub er nach Spuren archaischer Kulturen, etwa in dem Band "Verbranntes Wasser”. Beziehungsreicher Titel: "Verbranntes Wasser”, das ist die ausgetrocknete Lagune unter dem Moloch der Moderne, eine Lagune aus Aztekenzeiten, Sinnbild für eine versunkene Tradition. Dieses Erbe spürte Carlos Fuentes bereits als junger Mann.

Carlos Fuentes: "Ich habe schon sehr früh verstanden, dass Mexiko ein Land ist, in dem die Vergangenheit nicht stirbt, sondern lebendig geblieben ist. Ich bin jeden Tag über den Zócalo spaziert, den zentralen Platz, auf dem Weg zur Juristischen Fakultät, vorbei an der Kathedrale, von der ich wusste, dass sie auf Ruinen errichtet worden war. Vorbei am Nationalpalast Mexikos, unter dem sich ebenfalls Ruinen, die des Templo Mayor befinden. 1978 hat man bei Ausgrabungen all dies wiedergefunden. Hat gesehen, dass die Vergangenheit lebte. Was ich in Erzählungen geschrieben habe, das war realistisch, wahrheitsgetreu."

Romanautoren - davon war Fuentes überzeugt - sind die besseren Historiker. Denn Geschichte sei nun einmal seltsam fiktiv, romanhaft. Das zweite große Thema des Mexikaners war der Zusammenprall der Kulturen in Lateinamerika, eine Art "umgekehrter Conquista". Die Nachfahren der Eroberten, so glaubte der Dichter, würden heute die Territorien der Eroberer besetzen. Der neue Mensch - für Fuentes war es der Latino, der nachts die "gläserne Grenze" nach Norden überwindet. Im Schmelztiegel Los Angeles sah er das moderne Babylon:

"Sie müssen sich nur vor Augen halten, dass mexikanische Soße, Salsa, schon mehr verkauft wird als diese Verirrung, die sich Ketchup nennt."

Dutzende Bücher hat Carlos Fuentes publiziert. 1987 erhielt er den Premio Cervantes, den spanischen Nobelpreis. Der Erzähler schätzte Schicksalsthemen, Biografien mit dramatischem Schwung, aber auch Mysterien, den Übergang zwischen Dies- und Jenseitigem, das subtile Spiel mit Licht und Schatten. Ja, Fuentes genoss den Aufenthalt in Zwischenwelten und esoterischen Breiten. Zugleich verstand er sich immer als politischer Autor, als Fürsprecher der Benachteiligten und Stimme der Dritten Welt.

Carlos Fuentes: "Ein Schriftsteller darf sich im traditionellen Elfenbeinturm einschließen und seine Werke schreiben. Denn seine Verpflichtung besteht gegenüber Fantasie und Sprache. Wenn ich aber von Politik reden, mich politisch einmischen will, dann mache ich das nicht als Autor, sondern als Bürger. Wie der Schreiner, der Taxifahrer oder der Kaufmann. Ich bin kein Ideologe, sondern ich will ein Humanist sein."

Fuentes provozierte gern. Doch war er ein Kämpfer mit Zweifeln, ein skeptischer Aufklärer. Im blinden Glauben an den Fortschritt entdeckte der linke Publizist irgendwann den Unglückskeim des 20. Jahrhunderts. Manchmal zitierte er Oscar Wilde: "Pessimismus ist ein informierter Optimismus.”

Ein Dichter als Anwalt der Unterdrückten: In seiner Heimat wurde Carlos Fuentes nach Octavio Paz die wichtigste Figur im öffentlichen Leben, die Persönlichkeit mit dem größten Charisma, dem größten Gewicht. Er dankte es seinem Land - mit freundlichen Prognosen, bei denen der Zweifler, der Skeptiker einmal zu schweigen hatte.

"Mexiko besitzt zum ersten Mal in seiner Geschichte eine starke Zivilgesellschaft. So sieht es heute im Land aus, und das stimmt doch optimistisch!"


Links bei dradio.de:

Eine sinnliche Betrachtung Mexikos
Carlos Fuentes: "Die fünf Sonnen Mexikos", S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010, 540 Seiten


Psychogramme aus Mexiko
Carlos Fuentes: "Alle glücklichen Familien", Fischer Verlag, 416 Seiten


Makabre Vorgänge
Carlos Fuentes: "Unheimliche Gesellschaft". S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2006, 304 Seiten


Weltbewusstsein
Carlos Fuentes: "Woran ich glaube. Alphabet des Lebens"


Das gläserne Siegel
Deutsche Verlags-Anstalt, 207 S., EUR 19,90
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