Metzger: Bundesregierung sorgt für wachsende Schulden

Moderation: Birgit Kolkmann |
Der Grünen-Politiker Oswald Metzger hat die Haushaltspolitik der Großen Koalition als nicht ehrgeizig genug und "absurdes Theater" kritisiert. Die Bundesrepublik habe in den ersten 25 Jahren ihres Bestehens nicht so viele Kredite aufgenommen, wie allein im kommenden Jahr geplant seien. Gerade in Zeiten einer guten Konjunktur müsse man aber konsolidieren.
Birgit Kolkmann: Die Große Koalition streiche nun die Reformdividende von Rot-Grün ein, so die säuerliche Kritik von Grünen-Fraktionschefin Renate Künast gestern bei der Generaldebatte im Bundestag. Während die Bundeskanzlerin und ihr Fraktionschefs Kauder für die Union und Struck für die SPD Einigkeit für die Zufriedenheit und die beiden Herren sogar Männer- und Trinkfreundschaft demonstrierten gab es von der Koalition aus allen Lagern Kritik an der Regierungspolitik. Auch aus der FDP, Parteichef Westerwelle hielt der Koalition mangelnden Sparwillen, Schönfärberei und Realitätsverdrängung vor. Die Kanzlerin focht diese Kritik von Duz-Freund Guido nicht an. Sie ermunterte die Koalition zum Durchhalten auf ihrem Reformkurs, auch wenn der Dreiklang aus Sanieren, Investieren und Reformieren mit Zumutungen verbunden sei. Oswald Metzger hat als Bundestagsabgeordneter der Grünen ebenfalls kein Blatt vor den Mund genommen, wenn es um Kritik an der Finanzpolitik auch der eigenen Regierung ging, jetzt ist er finanzpolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg. Schönen guten Morgen in der Ortszeit.

Oswald Metzger: Guten Morgen Frau Kolkmann.

Kolkmann: Herr Metzger, schmückt sich Angela Merkel mit fremden Federn?

Metzger: Ja und vielleicht nicht mit den Federn, die sie gerade in der Anmoderation genannt haben. Natürlich hat auch Rot-Grün in den Bereichen Arbeitsmarkt ordentliche Reformen gemacht. Schließlich hat die Union sie damals im Bundesrat mitgetragen, also Harz IV als Stichwort und ohne diese Reform wäre sicher der Arbeitslosenversicherungsbeitrag nicht so absenkbar im nächsten Jahr, wie ohne. Aber die fremden Federn sind ganz andere. Die Wirtschaft selber hat sich in Deutschland restrukturiert. Die Wirtschaft brummt zurzeit, weil die Unternehmen und die Belegschaften quer durch alle Branchen, Mittelstand und Großunternehmen ihre Hausaufgaben gemacht haben. Das ist der eigentliche derzeitige Erfolg. Im Moment würde ich sagen bremst die Politik noch eher eine konsequente Erholung unserer Volkswirtschaft, als dass sie sie wirklich befördert, aber ich verstehe natürlich, dass die Koalition gestern abgefeiert hat, ein Jahr lang durchzuhalten bei der miesen Presse und bei der schlechten Stimmung in der Bevölkerung. Das ist ja schon was, da muss man sich auch Mut machen.

Kolkmann: Also die Wirtschaft läuft mehr oder weniger von selbst, trotz oder wegen der Reformpolitik.

Metzger: Das kann man sagen zurzeit, allerdings will ich damit eher die Aufforderung verbinden, die Koalition muss Reformen machen und zwar weitere, im Steuerecht beispielsweise, von Steuerstrukturreform ist keine Rede mehr oder bei der Haushaltskonsolidierung, also das, was diese Woche jetzt im Bundestag abläuft und am Freitag durch Beschluss entschieden wird. Sie müssen sich mal vorstellen, da feiert man sich wegen einer geringeren Nettokredit-Aufnahme, hat gegenüber dem, was im Haushaltsgesetz des laufenden Jahres im Juni im Bundestag beschlossen wurde - so spät wurde der Haushalt ja erst verabschiedet, aufgrund der späten Regierungsbildung- hat im Juni für das kommende Jahr noch Steuereinnahmen prognostiziert, die rund 27 Milliarden niedriger lagen als das, was eingeht, und dann kommt man trotz dieser gewaltigen Mehreinnahmen, die aus einer gigantischen Steuererhöhung und der guten Konjunktur kommen, kommt man gerade mal auf lächerliche zehn oder elf Milliarden Euro, die man die Nettokreditaufnahme herunterfährt. Wenn man das verkaufen will als Konsolidierungserfolg, dann ist das absurdes Theater und sonst gar nichts.

Kolkmann: Der Schuldenberg bleibt außerdem. Bleiben Sie bei Ihrer fundamentalen Kritik an dieser Fiskalpolitik?

Metzger: Ich bleibe dabei, dass diese Fiskalpolitik überhaupt nicht ehrgeizig genug ist. Wann, wenn nicht in Zeiten der Konjunkturblüte, soll man stärker konsolidieren und Strukturreformen machen? In Zeiten, wo der Arbeitsmarkt wächst, kann man doch auch die langfristigen strukturellen Ausgaben zurückfahren. Aber hier bremst die Koalition in fataler Weise; denken Sie an die Gesundpolitik! Was habe ich davon, wenn man eine Reformdebatte führt, die langfristig die steigenden Gesundheitskosten an die Arbeitskosten bindet. Die Koalition war angetreten, wir übrigens auch, früher als Rot-Grün - also ich will da schon auch selbstreflexiv, auch uns selbstkritisch mit ins Boot nehmen- wir waren alle angetreten seit zehn Jahren die Lohnzusatzkosten zu senken. Jetzt sinken im Januar die Arbeitslosenbeiträge, aber gleichzeitig steigen die Kranken- und Rentenversicherung. Wir kommen wieder nicht unter 40 Prozent. Das ist einfach nicht ambitioniert genug.

Ich glaube, in der Bevölkerung, wenn politische Führung da wäre und wirklich auch die Zumutungen formuliert und den Leute sagt, in dem Land steckt Potenzial, wir können es packen, wir dürfen uns nicht weiter verschulden, wir müssen runter von dieser Last, weil 40 Milliarden Euro Zinsen einfach Geld sind, das verbraten wird im Haushalt, ohne das ein Gegenwert noch aufgebaut werden kann. Oder in der Rentenversicherung, der gigantische Bundeszuschuss überfordert uns und in diese politische Führungslosigkeit, da sehe ich kein Licht am Ende des Tunnels. Wenn selbst der Bundespräsident – ob es taktisch klug war oder nicht, das steht auf einem anderen Blatt – zu Recht darauf hinweist, dass es ein Unsinn ist, in der heutigen Zeit, wo eigentlich eine Kraftanstrengung auf der Ausgabenseite nötig wäre zu debattieren, dass die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I wieder verlängert, eine Maßnahme die Rot-Grün rückgängig gemacht hatte und damals noch mit Applaus aus der CDU, dann versteht man die Welt nicht mehr, es ist wirklich absurdes Theater, was zurzeit gespielt wird in Deutschland.

Kolkmann: Die Bundeskanzlerin pocht ja darauf, dass die Koalition nun etwas tut für die kommenden Generationen. Hat sich aber längst für die kommende Generation schon eine Altlast aufgebaut, an der sie mit Sicherheit noch lange zu tragen haben werden und dass das eben nicht nachhaltige Politik ist?

Metzger: Nein, also je mehr Leute von Nachhaltigkeit reden – ich meine, ich war selber ja einer, der in der Finanzpolitik vor zwölf Jahren das im Bundestag noch in Bonn am Rhein in den Mund genommen hat- umso mehr wird das eine leere Worthülse. Die Schulden steigen ja nach wie vor. Wir haben gesamtstaatlich 1550 Milliarden Euro und der Bund legt in diesem Jahr 30 Milliarden auf diese Last zu und im nächsten noch mal fast 20 Milliarden. Das ist eine ungeheuerliche Zahl. Sie müssen sich mal vorstellen, wir feiern uns jetzt im Jahr 2006, dass wir im nächsten Jahr das erste Mal seit der Wiedervereinigung die niedrigste Schuldenzahl haben, seit der Wiederbereinigung. Die ersten 25 Jahre dieses Landes der ersten deutschen Republik haben wir nicht so viele Kredite aufgenommen auf Bundesebene wie allein im nächsten Jahr. Die Erblast der vergangene 30, 40 Jahre fällt uns längst auf die Füße. Wir reden immer von der kommenden Generation. Wir büßen heute bereits die Untätigkeit von ganzen Kohorten von Politikern aller Couleur in der Vergangenheit. Und deshalb, wenn man Nachwirklichkeit wirklich will, hilft nur eins, wirklich auf der Ausgabenseite konsolidieren, den Leuten mehr in der Tasche lassen durch ein faires Steuersystem und vor allem Staatsverschuldung diskreditieren. Die ganzen Leute, die meinen Kreditfinanzierung sei irgendwie eine soziale Wohltat des Staates oder man könne damit ja vernünftige Investitionen tätigen, verkennen eines: Wir nehmen einen Großteil der Kredite derzeit nur dazu auf, die Zinsen für alte Schulden bezahlen zu können, also wo bleibt da bitte der Mehrwert. Wir leben zu Lasten der Zukunft und wir lebten schon zu Lasten der Zukunft in den letzten Jahrzehnten.

Kolkmann: Vielen Dank, das war Oswald Metzger.