Metropole Provinz - Theater ist überall!
Jedes Jahr im Mai (02. bis 18. Mai) trifft sich in Berlin die Crème de la Crème zum Berliner Theatertreffen, dem bedeutendsten Theaterfestival Deutschlands, um die zehn "bemerkenswertesten Inszenierungen" aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zu präsentieren, zu diskutieren, neue Stücke, Autoren und den Theaternachwuchs vorzustellen – und um die begehrten Preise zu verleihen.
Eine Leistungsschau für Theaterbegeisterte. Unter ihnen ist auch der Kritiker Stephan Keim, der die hiesige Theaterszene auch für Deutschlandradio Kultur beobachtet. Als Jury-Mitglied hatte er die Qual der Wahl, aus hunderten von Inszenierungen die vermeintlich besten auszuwählen. "Man muss schon bereit sein, die Provinz abzuklappern. Ich sehe mich als Arbeiter und habe mir vorgenommen, in den drei Jahren alle Theater in Deutschland zu besuchen."
Ein ehrgeiziges Vorhaben, immerhin kann Deutschland mit einer einzigartigen Theaterdichte punkten: Es gibt allein rund 150 staatlich unterstützte Theater, etwa 280 Privattheater jeglicher Größe, dazu rund 150 Theater- und Spielstätten ohne festes Ensemble, um die 100 Tournee- und Gastspielbühnen ohne festes Haus sowie eine kaum unübersehbare Anzahl freier Gruppen.
Und alle locken ihr Publikum.
So wie die "Neue Bühne" Senftenberg in Brandenburg. Auch deren Intendant Sewan Latchinian wird sich die preisgekrönte Konkurrenz auf dem 45. Berliner Theatertreffen anschauen. Der Schauspieler und Regisseur leitet das Senftenberger Theater seit 2004 und hat es zu einem Geheimtipp in der viel geschmähten Provinz werden lassen. 2005 wurde sein Haus von der Zeitschrift "Theater heute" zum "Theater des Jahres" gekürt – in einem Atemzug mit hoch subventionierten Metropolenbühnen wie dem Deutschen Theater in Berlin. Latchinian gilt als Beserker, als Theatermann mit Leidenschaft. Und mit eben diesem Elan leitet der Schauspieler und Regisseur die ambitionierte Bühne, die mittlerweile auch Besucher aus Dresden, Leipzig und Berlin in die Lausitz lockt.
"Ich habe gelernt, aus materiellem Mangel poetischen Reichtum zu kreieren." Ein hoher Anspruch in der ehemaligen Braunkohleregion: rund 30 Prozent der verbliebenen 28 000 Senftenberger ist arbeitslos, das einzige Kino hat längst dicht gemacht. Latchinian und sein Ensemble halten dagegen und haben das Theater zur Begegnungsstätte werden lassen: "Theater allgemein hat den Auftrag, für die Menschen da zu sein. Das ist eine Ausnahmechance, so viele Theater zu haben! Und es ist eine Frage der Ehre, diese Chance nicht zu verplempern durch Mittelmäßigkeit. Wer hält an gegen rechtsradikale Impulse? Wer kümmert sich um die Wirren der ersten Liebe? Wer thematisiert Gewalt? Wer gibt den Menschen das Gefühl, gebraucht zu werden, so wie die Jugend- oder Seniorenclubs? Wir binden unsere Bewohner z.B. mit ein in unseren Inszenierungen. Wer bietet noch diese Chancen, sich zu begegnen? Wer nimmt sich der Arbeitslosigkeit an, nicht als persönliches Stigma, sondern als strukturellem Problem? Wer kümmert sich um die Wende-Geschichten? Wer zeigt Kino in einer Stadt, wo es längst kein Kino mehr gibt?"
Sein Rezept für gutes Theater klingt simpel: "Grundsätzlich erzählen wir alle unsere Geschichten nicht für uns, sondern für das Publikum. Dass es die Geschichte verstehen kann. Dass es spannend ist, dass sich die Leute mit den Schauspielern identifizieren können. Denn wir sind ein Teil der Stadt, der Region, wir bewältigen den Alltag zusammen. Wir müssen gucken, dass wir unser Publikum nicht überfordern, nicht missachten, aber auch nicht unterfordern."
Dass sein Haus fernab der Metropolen liegt, spornt ihn umso mehr an: "Das Schöne an der Provinz ist, dass sie eine Konzentration erlaubt, die so in einer Metropole nicht möglich ist. Es ist Herausforderung und Chance. Wir haben die Herausforderung angenommen und es ist zur Chance geworden, unser Glück zu machen. Es ist schon ein Erlebnis, wenn die Metropolenblätter ihre Kritiker herschicken, oder die Zuschauer aus Dresden, Berlin oder Leipzig kommen, um uns zu sehen. Natürlich gibt es in der Provinz auch Unsägliches, aber das gibt es auch in der Metropole. Das hängt immer von Personen ab."
"Metropole oder Provinz – Theater ist überall!" Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit dem Theaterintendanten Sewan Latchinian und dem Theaterkritiker Stephan Keim.
Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800–22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Informationen im Internet unter:
www.theater-senftenberg.de
Ein ehrgeiziges Vorhaben, immerhin kann Deutschland mit einer einzigartigen Theaterdichte punkten: Es gibt allein rund 150 staatlich unterstützte Theater, etwa 280 Privattheater jeglicher Größe, dazu rund 150 Theater- und Spielstätten ohne festes Ensemble, um die 100 Tournee- und Gastspielbühnen ohne festes Haus sowie eine kaum unübersehbare Anzahl freier Gruppen.
Und alle locken ihr Publikum.
So wie die "Neue Bühne" Senftenberg in Brandenburg. Auch deren Intendant Sewan Latchinian wird sich die preisgekrönte Konkurrenz auf dem 45. Berliner Theatertreffen anschauen. Der Schauspieler und Regisseur leitet das Senftenberger Theater seit 2004 und hat es zu einem Geheimtipp in der viel geschmähten Provinz werden lassen. 2005 wurde sein Haus von der Zeitschrift "Theater heute" zum "Theater des Jahres" gekürt – in einem Atemzug mit hoch subventionierten Metropolenbühnen wie dem Deutschen Theater in Berlin. Latchinian gilt als Beserker, als Theatermann mit Leidenschaft. Und mit eben diesem Elan leitet der Schauspieler und Regisseur die ambitionierte Bühne, die mittlerweile auch Besucher aus Dresden, Leipzig und Berlin in die Lausitz lockt.
"Ich habe gelernt, aus materiellem Mangel poetischen Reichtum zu kreieren." Ein hoher Anspruch in der ehemaligen Braunkohleregion: rund 30 Prozent der verbliebenen 28 000 Senftenberger ist arbeitslos, das einzige Kino hat längst dicht gemacht. Latchinian und sein Ensemble halten dagegen und haben das Theater zur Begegnungsstätte werden lassen: "Theater allgemein hat den Auftrag, für die Menschen da zu sein. Das ist eine Ausnahmechance, so viele Theater zu haben! Und es ist eine Frage der Ehre, diese Chance nicht zu verplempern durch Mittelmäßigkeit. Wer hält an gegen rechtsradikale Impulse? Wer kümmert sich um die Wirren der ersten Liebe? Wer thematisiert Gewalt? Wer gibt den Menschen das Gefühl, gebraucht zu werden, so wie die Jugend- oder Seniorenclubs? Wir binden unsere Bewohner z.B. mit ein in unseren Inszenierungen. Wer bietet noch diese Chancen, sich zu begegnen? Wer nimmt sich der Arbeitslosigkeit an, nicht als persönliches Stigma, sondern als strukturellem Problem? Wer kümmert sich um die Wende-Geschichten? Wer zeigt Kino in einer Stadt, wo es längst kein Kino mehr gibt?"
Sein Rezept für gutes Theater klingt simpel: "Grundsätzlich erzählen wir alle unsere Geschichten nicht für uns, sondern für das Publikum. Dass es die Geschichte verstehen kann. Dass es spannend ist, dass sich die Leute mit den Schauspielern identifizieren können. Denn wir sind ein Teil der Stadt, der Region, wir bewältigen den Alltag zusammen. Wir müssen gucken, dass wir unser Publikum nicht überfordern, nicht missachten, aber auch nicht unterfordern."
Dass sein Haus fernab der Metropolen liegt, spornt ihn umso mehr an: "Das Schöne an der Provinz ist, dass sie eine Konzentration erlaubt, die so in einer Metropole nicht möglich ist. Es ist Herausforderung und Chance. Wir haben die Herausforderung angenommen und es ist zur Chance geworden, unser Glück zu machen. Es ist schon ein Erlebnis, wenn die Metropolenblätter ihre Kritiker herschicken, oder die Zuschauer aus Dresden, Berlin oder Leipzig kommen, um uns zu sehen. Natürlich gibt es in der Provinz auch Unsägliches, aber das gibt es auch in der Metropole. Das hängt immer von Personen ab."
"Metropole oder Provinz – Theater ist überall!" Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit dem Theaterintendanten Sewan Latchinian und dem Theaterkritiker Stephan Keim.
Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800–22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Informationen im Internet unter:
www.theater-senftenberg.de