Meteorologie

Das Eis am Himmel

Von Lutz Reidt · 22.02.2014
Gewitter, Nebel, Schnee, Eis und Seitenwinde machen Flugzeugpiloten zu schaffen: Bei 50 Prozent aller Flugunfälle mit Todesfolge sind Witterungsextreme die Ursache. Zudem sind sie - in den USA zum Beispiel - Schuld an 65 Prozent aller Verspätungen. Um den Flugverkehr effizienter und vor allem sicherer zu machen, erforschen weltweit Wissenschaftler diese Witterungsextreme.
Die bunt gefärbte Wetterkarte von Europa zeigt eine große Warmfront mit einem Tief über Schottland und der Nordsee. Diese Warmfront ist für Flugwetter-Forscher Thomas Hauf besonders interessant. Denn sie schaufelt viel Feuchtigkeit heran. Und das bedeutet für Flugzeuge, die in großen Höhen unterwegs sind: Akute Vereisungsgefahr.
Vor allem über der Nordsee signalisieren kleine rote Punkte auf der Karte eine starke Vereisung. Die grünen Felder stehen für schwache, die gelben für mittelstarke Vereisung. Für Piloten könnten solche Karten künftig eine wichtige Stütze sein, wenn sie ihre Route vor dem Start festlegen, meint Thomas Hauf:
"Das sieht dann auch der Pilot dann, wo er mit Vereisung zu rechnen hat. Und wenn ein Flug dann von Frankfurt nach New York geht, dann hat er diese Information schon im Vorfeld."
Flugzeug mit Eishaut
Und kann sie bei seiner Routenplanung berücksichtigen. Doch das ist noch Zukunftsmusik, sagt Thomas Hauf. Der Professor für Meteorologie von der Universität Hannover entwickelt gemeinsam mit dem Deutschen Wetterdienst und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt das Diagnose- und Warnverfahren ADWICE:
"Wir hier in Hannover konzentrieren uns auf die Vereisungsvorhersage. Vereisung tritt immer dann auf, wenn Flugzeuge in unterkühlte Wolken fliegen. In Wolken, die eine Temperatur von unter 0 Grad haben. In dem Augenblick, wo Wassertröpfchen, Wolkentröpfchen oder auch Regentropfen - wenn sie unterkühlt sind - auf das Flugzeug auftreffen, gefrieren sie spontan dort und bilden dann eine Eishaut; und diese Eishaut kann natürlich dann den Auftrieb verringern, kann die Geschwindigkeit verringern, erhöht das Gewicht und beeinträchtigt so die Flugfähigkeit des Systems."
Um einen Absturz oder andere kritische Situationen zu vermeiden, verfügen Flugzeuge über Anti-Icing-Vorrichtungen, die einen Eisansatz von vornherein verhindern sollen. Bis zu einem gewissen Grade lässt sich eine dünne Eiskruste auch während des Fluges wegschmelzen.
Doch nicht immer gelingt das. Vor allem Propeller-Flugzeuge können Probleme bekommen, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt:
"Vereisung ist ein ernstes Problem. Das gilt für Jets, das gilt aber noch sehr viel stärker für Turboprop-Flugzeuge, kleinere Propeller-Flugzeuge, die nicht die Möglichkeit haben, nach oben auszuweichen, die auch nicht so viel Energie, Wärme haben, die man von den Triebwerken abzapfen kann, um größere Flächen zu enteisen; die sind sehr viel stärker betroffen davon; und das wäre sicherlich sehr hilfreich, wenn man da ein genaueres Bild haben könnte, wo die Vereisung ist und wie man drum herum fliegen kann oder drunter durch fliegen kann."
Heinrich Großbongardt ist selbst Pilot mit Fluglehrer-Lizenz. Er weiß, dass es am besten ist, vereisungsgefährdete Gebiete von vornherein nicht zu durchfliegen. Vermeiden ist besser als mitten durch.
Das Wetter ist immer noch rätselhaft
Doch das Wettergeschehen ist hochkomplex und noch immer nicht vollständig enträtselt. Mit eisigen Überraschungen müssen Piloten in vielen tausend Metern Höhe immer rechnen. Sie brauchen genauere Prognosen. Und dies nicht nur im Winter:
Heinrich Grossbongardt: "Vereisung tritt das ganze Jahr über auf, im Reiseflug; wenn ich Gewitterlagen habe, wenn ich heranziehende Kaltfronten habe; immer, wenn ich sehr große vertikale Luftbewegungen habe, bei denen große Mengen an Feuchtigkeit in die Reiseflughöhe in sieben, acht, neun Kilometer Höhe transportiert werden, dann muss ich mit Vereisung rechnen."
Die Piloten benötigen genauere Informationen, ab wann in welcher Flughöhe mit Vereisung zu rechnen wäre. Und genau das ist das Ziel von ADWICE.
Um das Vorhersagemodell zu optimieren, nutzt Thomas Hauf auch Informationen der Berufspiloten, die vereisungsgefährdete Gebiete während des Fluges an die Deutsche Flugsicherung melden. Ziel ist es, andere Piloten rechtzeitig zu informieren. Diese Piloten-Reports, abgekürzt "pi-reps", gelangen dann auch an den Deutschen Wetterdienst:
Thomas Hauf: "Und da steht dann zum Beispiel drin, hier haben wir einen pi-rep: moderate icing - also mäßige Vereisung - über Frankfurt-Hahn zwischen Fluglevel 100 und 140, durch einen Airbus A-320 gemessen um 15 Uhr 45 UTC. Und diese Meldungen bestätigen die vorhergesagte Gefahr; und wenn der Pilot dann dies zusammen mit der Warnung sieht, dann weiß er: Aha, da ist wirklich etwas los."
In Abstimmung mit den Fluglotsen am Boden können die Piloten dann ausweichen. Fernziel wäre es, wenn der Pilot brandaktuelle Informationen über potenzielle Vereisungsgefahren während des Fluges jederzeit abrufen kann - in möglichst plastischer Form, am besten räumlich hoch aufgelöst auf einem Display im Cockpit. Das ist das Ziel der Flugwetterforscher um Thomas Hauf in Hannover. Aber der Weg dorthin ist noch weit:
Thomas Hauf: "Letzten Endes will der Pilot, wenn er fliegt und vor sich eine Wolke hat, nur ein Bit haben. Er will wissen: Ja oder Nein! Go or no go! Und die Informationen dann so darzustellen, dass sie den Piloten nicht überlastet, sondern genau im richtigen Maß die Gefahr zu erkennen gibt - da wird zur Zeit auch sehr intensiv gearbeitet; und das ist auch Teil dieses Projektes."
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