Metaverse Musik

Bunter Spielplatz für Soundfrickler

06:22 Minuten
Eine bunte Klangwelle auf einen Computerbildschirm.
Musik als synästhetische Erfahrung: Im Metaversum sind Klänge bunt. © Imago / PantherMedia / Andrew Ostrovsky
Von Dennis Kastrup · 19.10.2021
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Im virtuellen Raum Musik komponieren, allein oder gemeinsam mit anderen: Die Softwarefirma "Patch XR" setzt diese Idee in einem Metaversum um. Unser Autor hat es besucht und eine Kombination aus Musik, Videospiel, Mixed und Extended Reality vorgefunden.
"Das Metaversum ist noch im Entstehen. Es erschafft neue Welten, die das Reale und Digitale vereinen. Von überall auf der Welt können sich Menschen so treffen und das Gefühl haben, am selben Ort zu sein. Die Kombination von digital und real gibt einem das Gefühl, an diesem neuen Ort präsent zu sein, ohne sich einschränken zu müssen."
Edo Fouilloux ist Geschäftsführer von "Patch XR". Die Sortwarefirma entwickelt audio-visuelle Plattformen, virtuelle Welten. Um sie betreten zu können, muss man eine spezielle Brille tragen. Mit ihr kann man sich dann in diesem Metaversum umschauen. Handschuhe mit Sensoren steuern die Bewegungen der Hände. Was man dort sieht, lässt sich schwer in Worte fassen, weil jede Welt anders, einzigartig ist.

Das Metaversum ist bunt

Ein Versuch: "Wir kombinieren Musik, Games, Mixed und Extended Reality", erläutert Fouilloux. "Damit ermöglichen wir Menschen, musikalische Welten zu bauen. Vielleicht kann man das so beschreiben: Man nimmt Walt Disneys Film Fantasia, bei dem Klänge und Bilder zusammenspielen, kombiniert das mit Lego-Bausätzen und lässt es von Pink Floyd aufführen."
Anders gesagt: Das Metaversum ist sehr bunt und die Objekte darin entspringen meistens der Fantasie. Bei "Patch XR" hat man sich dazu entschieden, in ihrer virtuellen Welt modulare Synthesizer nachzubilden. Alle können von den benutzenden Musikerinnen oder Musikern selber digital gestaltet werden.

Wie bei einer Kneipentour

Oft sind die Instrumente als abstrakte und leuchtende Gegenstände zu sehen, die im Raum schweben. Man kann sie, wie in der realen Welt, miteinander verbinden, hintereinanderschalten oder alleine stehen lassen. Wenn Klang durch sie geschickt wird, blinken oder flackern die Kabel. Die Künstlerinnen und Künstler musizieren entweder alleine oder erlauben Zuschauer.
"Man kann live spielen oder eine vorher aufgezeichnete Show zeigen. Das Publikum kann das dann dort sehen. Wir konzentrieren uns aber mehr darauf, dass Leute reingehen, vielleicht eher wie bei einer Kneipentour als bei einem großen Festival. Man sieht also unterschiedliche Auftritte in verschiedenen Räumen, in die man auch Freunde einladen kann. Man kann dort auch Musik zusammen machen oder Leuten aus der ganzen Welt beim Musikmachen zuschauen."

Etwas Neues schaffen

Ähnliche Konzepte haben bereits Videospiele erfolgreich ausprobiert: In Fortnite, Minecraft oder Roblox gaben schon bekannte Bands oder Rapperinnen und Rapper Konzerte.
Der Unterschied dabei: Bei ihren Auftritten waren Musik und Instrumente nicht wirklich veränderbar, eher statisch. Mit Patch XR ist alles offen und dehnbar. Dieses Metaversum ist ein riesiger Spielplatz für Soundfrickler.
Der italienische Sound-Designer und Multimediakünstler Nesso gehört zu ihnen: "Die Welt, die wir im Metaverse bauen werden, sollte nicht versuchen, die reale Welt zu imitieren. Ich denke, wir sollten uns mehr darauf konzentrieren, etwas Neues zu schaffen."
Wie genau das aussehen kann, haben Nesso und drei weitere Künstlerinnen und Künstler vor ein paar Monaten in der Aufführung "Parallel Metaverse" gezeigt.
"Es gab zwei Ebenen: Die eine war die virtuelle Welt, in der das Instrument gebaut wurde. Der Künstler hat dort bestimmte Teile gesteuert. Er konnte zum Beispiel während der Aufführung die Objekte bewegen oder mit ihnen interagieren", beschreibt Nesso das Szenario. "Die anderen Künstler in der realen Welt haben programmiert, also Befehle ins Metaversum geschickt und damit die virtuelle Umgebung mit einer anderen Programmiersprache kontrolliert."

Musik als synästhetische Erfahrung

Diese Textbefehle erzeugen Musik und können zusätzlich als Projektion im Metaversum von den Benutzerinnen und Benutzern gesehen werden. "Live-Coding" nennt man die Praxis. Klanglich ist das alles aber nicht wirklich etwas Neues. Elektronische Musik hat in den vergangenen Jahrzehnten die meisten Grenzen schon ausgetestet.
Darum geht es im Metaversum auch gar nicht. Das Zusammenspiel von Farben und Klängen erzeugt eine synästhetische Erfahrung: Töne klingen nicht nur, sie sind bunt. Musik ist also ein lebendiger, sich ständig verformender und wachsender Organismus. Diese Freiheit reizt Musikerinnen und Musiker und das Publikum gleichermaßen. Ein Zustand, den die junge Generation längst aus ihrem Alltag kennt.
Nesso sagt: "Bei Videospielen gibt es zum Beispiel Musik, die sich immer verändert, weil sie auf Entscheidungen basiert, die man im Spiel trifft. Wenn ich live programmiere, treffe ich in Echtzeit Entscheidungen. Diese Entscheidungen beeinflussen die gesamte Struktur des Stücks. Warum sollte ich das dann aufnehmen und in etwas übertragen, das fixiert ist und immer wieder genau so klingen wird?"
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