Merkels windige Kurswechsel

Von Konrad Adam |
Wenn Wahltag ist – und der ist oft in einer föderal verfassten Republik wie Deutschland – dann ist Vertrauen das Schlüsselwort, ohne das kein Politiker mehr auskommt. Vor der Wahl bitten die Parteien die Bürger um ihr Vertrauen, nach der Wahl bedanken sich die erfolgreichen Kandidaten öffentlich dafür, dass sie das Vertrauen der Menschen erhalten haben.
Die weniger erfolgreichen bedauern genauso öffentlich, dass es ihnen nicht gelungen ist, das Vertrauen der Wähler zu gewinnen. Hält man sich an den allgemeinen Sprachgebrauch, hängt alles am Vertrauen zwischen oben und unten, zwischen Regierenden und Regierten; Vertrauen scheint der Schlüssel zur Macht zu sein.

Behauptungen wie die, ein vor der Wahl gegebenes Versprechen nicht eingelöst zu haben, die Wähler zu verschaukeln, sie zu belügen und zu betrügen und eben deshalb gerade kein Vertrauen zu verdienen, sind gang und gäbe; sie werden ja auch täglich neu bestätigt. Das hat die Leute misstrauisch, mitunter geradezu apathisch gemacht; sie haben sich abgewöhnt, politische Taten an politischen Worten zu messen, und wundern sich nicht länger, wenn ihnen die Parteien alles Mögliche versprechen, aber nichts davon liefern.

Sie wundern sich aber nun doch; und zwar über die Kanzlerin. Die abenteuerliche Geschwindigkeit, mit der sie ein Wendemanöver nach dem anderen hinter sich bringt, scheint sie zu überfordern. Als Angela Merkel den unsoliden Euro-Staaten, die sich daran gewöhnt hatten, auf fremde Kosten gut zu leben, mit einem großzügig dotierten Rettungsfonds zu Hilfe kam, wurden die Grundsätze, die sie selbst jahrelang gepredigt hatte, von jetzt auf gleich ins Gegenteil verkehrt. Plötzlich verlangte die deutsche und die europäische Staatsraison, was über Jahre als währungspolitischer Sündenfall verpönt und ausgeschlossen worden war.

Nur kurz danach die zweite Wende dieser Art: Da waren dieselben Atomkraftwerke, deren Laufzeit eben noch, weil bombensicher, in einem fragwürdigen Verfahren verlängert worden war, über Nacht so unsicher geworden, dass sie von heute auf morgen abschalten werden mussten.

Die Deutschen schätzen wendige Politiker; deswegen lieben sie ja auch die Grünen, von denen die allermeisten eine ziemlich bunte, wendungs- und windungsreiche Biographie hinter sich haben. Gerhard Schröder hat ihnen aus dem Herzen gesprochen, als er seinen Außenminister Joschka Fischer der deutschen Jugend vor allem deshalb als ein Vorbild empfahl, weil er sich so oft gehäutet und immer wieder neu erfunden hatte. Fischer schien allerdings nach all den Ab- und Umwegen, auf denen er sich verrannt hatte, irgendwo angekommen zu sein; bei Angela Merkel weiß man das nicht so genau, weiß weder ob noch wo.

Ganz gleich, woher der Wind kommt und wohin er weht: Sie hängt ihren Mantel hinein und lässt sich treiben. Vertrauen, hat ein bekannter Mann einmal gesagt, Vertrauen bedeutet: das Vergangene gilt. Was gilt dann bei Frau Merkel? Nach diesem Maßstab bietet sie wenig, zu wenig. In der Erwartung, dass sie der Wind der öffentlichen Meinung von ganz allein in Richtung Wahlsieg treibt, wechselt sie den Kurs.

Gewiss, Parteien sind Vereinigungen zu dem Zweck, die Macht zu erobern, sie auszuüben und zu genießen. Sie werden dabei allerdings nur dann erfolgreich sein, wenn sie erkennen lassen, für was, in welcher Absicht und für welche Zwecke sie die Macht begehren; und eben daran lässt es Angela Merkel fehlen. Unter ihrer Führung ist die CDU zu einer Partei ohne Programm, ohne Botschaft, ohne ein Versprechen geworden, das über den reinen und rohen Machterhalt hinauswiese.

Für ein so eng begrenztes Ziel mag man unter den Postenjäger, die in und mit der Partei irgendein schönes Amt erobern wollen, Verständnis finden und um Vertrauen werben können; unter normalen Bürgern, die wissen wollen, wofür sie stimmen, wenn sie zur Wahl gehen, aber kaum.

Konrad Adam, Journalist und Autor, wurde 1942 in Wuppertal geboren. Er studierte Alte Sprachen, Geschichte und Philosophie in Tübingen, München und Kiel. Mehr als 20 Jahre lang war er Redakteur im Feuilleton der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, arbeitete dann für die WELT und für die FAZ. Sein Interesse gilt vor allem Fragen des Bildungssystems sowie dessen Zusammenhängen mit der Wirtschaft und dem politischen Leben. Als Buch-Autor veröffentlichte er unter anderem „Die Ohnmacht der Macht“, „Für Kinder haften die Eltern“, „Die Republik dankt ab“ sowie „Die deutsche Bildungsmisere. Pisa und die Folgen“. Zuletzt erschien: „Die alten Griechen“.