Merkel und Hollande vor EU-Parlament

Werben für mehr Europa

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande geben nach dem Ukraine-Gipfel eine Pressekonferenz. Sie sitzen hinter einem Pult und grinsen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande © picture alliance / dpa / Etienne Laurent
Von Ursula Welter, Studio Paris · 07.10.2015
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande wollen heute im Europaparlament in Straßburg für mehr europäische Solidarität werben. Das scheint auch nötig, denn gerade in Frankreich hat sich eine gewisse Europamüdigkeit breit gemacht.
Ein französischer Staatspräsident nimmt nicht an Sitzungen des Parlaments teil, schon gar nicht steht er Rede und Antwort. So will es die republikanische Tradition - und das seit 1873.
Für François Hollande ist das auch deshalb heute ein herausragender Moment, kaum weniger als für die Bundeskanzlerin.
Martin Schulz, der EU-Parlamentspräsident, spricht von einem "historischen" Ereignis. Schulz hat von Victor Orban über Alexis Tsipras hin zu David Cameron schon zahlreiche Staatenlenker ans Rednerpult des Parlaments geholt, aber das heute sei etwas ganz Besonderes, versichert er – zu Besuch in Paris.
"Mehr Europa" ist riskant in Frankreich
Hinter der Art Déco-Fassade des altehrwürdigen Genossenschaftshauses in Paris, der Maison de la Mutualité, sind Delegierte aus 31 Ländern zusammengekommen - zum Aufwärmen gibt es Musik, aber zum Lachen ist hier kaum jemandem zumute.
"Der Zustand Europas ist nicht gut! "
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker spricht vor den Gewerkschaftern in Paris. Europa müsse sich jetzt auf die großen Linien konzentrieren.
"Dass sich die EU in alle Lebensbereiche des Alltags eingemischt hat, das hat zur Europamüdigkeit beigetragen. Wir machen zu viel in den kleinen Dingen und zu wenig bei den wirklich wichtigen Dingen, das muss sich ändern."
Aber "mehr Europa" in diesem Sinne ist aus französischer Sicht nicht selbstverständlich. Seit eine Mehrheit der Franzosen 2005 den EU-Verfassungsvertrag abgelehnt hat, es scharfe EU-Kritiker in allen Parteien gibt und die extreme Rechte Frankreichs mit ihrem Anti-Europa-Kurs von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilt, seither sind Reformdebatten, die auf "mehr Europa" zielen, riskant.
Dennoch wagt sich im Regierungsteam der französischen Sozialisten vor allem der junge Wirtschaftsminister Macron nach vorne. Mal gibt er Interviews daheim, mal in Großbritannien, mal in Italien, mal in Deutschland und stets handeln Macrons Vorschläge von "mehr Schwung für Europa", einem Europa, das mit zwei Geschwindigkeiten schneller voran komme.
Und selbst eine Neufassung der Verträge mit entsprechender Debatte und Abstimmung in Frankreich würden den jungen Ressortchef nicht schrecken.
Wirtschaftsregierung für die Währungsunion
Staatspräsident Hollande muss die Sache realpolitischer angehen, die deutsche Skepsis gegenüber einer Transferunion setzt seinen Ideen Grenzen, wenn Frankreich von mehr Wachstum spricht, spricht Deutschland von Schuldenabbau und Währungsstabilität.
Dennoch: "Wir müssen das europäische Modell erneuern."
So formulierte es François Hollande im Januar 2013 vor dem Deutschen Bundestag. Und skizzierte zuletzt in diesem Sommer seine Detail-Vorstellungen von "mehr Europa":
"Wir müssen Fortschritte machen. Deshalb werde ich vorschlagen, dass wir weiter gehen, natürlich im Einklang mit Deutschland – wir brauchen eine Wirtschaftsregierung für die Währungsunion, in einem zweiten Schritt auch ein Budget für die Eurozone."
Und eine parlamentarische Kontrolle dieser Wirtschaftsregierung schlug der französische Präsident bereits vor Monaten vor.
"Die Dinge müssen sich ändern."
Sagt auch Martin Schulz im Genossenschaftshaus in Paris.
"Wir haben heute ein nationales Arbeitsrecht, wir haben ein nationales Recht im Sozialwesen, wir haben ein nationales Streikrecht, wir haben nationale Versicherungssysteme, aber wir haben einen globalisierten Kapitalismus auf der anderen Seite."
Der Präsident des Europaparlaments kennt die Reden, die die Christdemokratin Angela Merkel und der Sozialist François Hollande heute in Straßburg halten werden. Die Bundeskanzlerin und der französische Präsident seien zwar nicht in allen Details einer Meinung, aber sie träten nicht vor die EU-Parlamentarier, um über Differenzen zu sprechen, versichert Martin Schulz.
Und EU-Kommissionspräsident Juncker nutzt seinen Besuch in Paris, um zu sagen: "Es geht darum, es besser zu machen. Wir können das besser!"
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