Merkel und die Flüchtlingspolitik

Ist die Machtposition der Kanzlerin in Gefahr?

Bundeskanzlerin Merkel bei der Ankunft zum EU-Flüchtlingsgipfel in Brüssel
Bundeskanzlerin Merkel bei der Ankunft zum EU-Flüchtlingsgipfel in Brüssel © EMMANUEL DUNAND / AFP
Gero Neugebauer im Gespräch mit Sonja Gerth · 26.09.2015
Kanzlerin Angela Merkel hat aufgrund ihrer Flüchtlingspolitik in Umfragen an Beliebtheit eingebüßt. Ihre Machtposition in der eigenen Partei sei aber nicht ernsthaft gefährdet, sagt der Politologe Gero Neugebauer - jedenfalls nicht, solange man der Vorsitzenden den Wahlsieg 2017 zutraue.
Mehr Entwicklungshilfe, die Wende in der Atompolitik, Offenheit für Flüchtlinge, das alles sind Punkte, die man der CDU noch vor fünf Jahren nicht zugetraut hätte. Die Christdemokraten haben einen erstaunlichen Wandel vollzogen. Allerdings vor allem an der Spitze.
An der Basis rumort es. Besonders, was Angela Merkels Politik gegenüber Flüchtlingen angeht. Ist Merkels Machtposition in der eigenen Partei ernsthaft gefährdet? - Darüber haben wir mit dem Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer gesprochen.

Auszug aus dem Interview:
Deutschlandradio Kultur: Wie sieht es dann an der Basis aus, im CDU-Ortsverein? Gehen die Leute mit dieser Linie mit?
Gero Neugebauer: Das ist schwierig zu beurteilen, wenn man das daran messen will, inwieweit die älteren Herren, die gelegentlich aus der dritten Reihe (…) ihren Protest gegen die Modernisierung anmelden. Dann berufen sie sich auf Wahlkreise, auf Mitgliederversammlungen, aber niemand legt genaue Zahlen vor. Deshalb ist es schwierig, das zu beurteilen.
Aber die Abgeordneten der Union, die beispielsweise bei der Entscheidung über das dritte Hilfspaket – oder jetzt in der Flüchtlingspolitik sagen 'Wir haben da eine andere Meinung', die berufen sich auf ihre Wahlkreise, in der Regel allerdings auf die dort herrschenden Funktionäre. Und die können schon sagen 'Wir repräsentieren die Meinung des Funktionärskörpers der Union, und zwar in einem bestimmten Umfang'.
Deutschlandradio Kultur: Wäre das nicht der Moment der Gegner, sich mit markigen Worten als Alternative zu Merkel zu positionieren?
Neugebauer: Ja, aber dann müsste einer da sein. Frau Merkel (…) hat die alten Netzwerke zerschlagen. Sie hat sich mit Leuten umgeben, die ihren politischen Aufstieg ihr verdanken. (…) Es gibt von den erfolgreichen Länderfürsten kaum jemand, der es zum Beispiel bei den letzten Landtagswahlen geschafft hat, Ministerpräsident zu werden – es gibt nur noch zehn Ministerpräsidenten - und die haben alle durch die Bank nicht das Renommee oder auch nicht die Absicht - zumindest nie öffentlich geäußert -, nun Frau Merkel nachfolgen zu wollen.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt neue Umfragen, die zeigen, dass Angela Merkel in der Gunst des Wählervolkes etwas gesunken ist, dass gerade die Zustimmung zu ihrer Flüchtlingspolitik nicht besonders hoch ist. Gibt es einen Moment, an dem die Stimmung kippen kann - gegen Angela Merkel?
Neugebauer: (…) Es gibt den Punkt vielleicht dann, wenn absehbar wird durch eine insgesamt sinkende Zustimmung zu der Art und Weise, wie Flüchtlinge in Deutschland aufgenommen werden, wo man sagen könnte 'Ja, jetzt stimmt es nicht mehr'. In der Problemliste der Deutschen ist die Flüchtlingspolitik derzeit ganz weit oben (…) – und es könnte gefährlich werden in der Stimmung.
Nur, man sollte nicht vergessen: Es wird für Frau Merkel erst wirklich dann brisant, wenn in der Partei angefangen wird – und zwar bei dieser schon erwähnten Funktionärsebene, wenn da diskutiert wird: 'Kann sie uns den Wahlsieg 2017 garantieren? Kann sie die CDU/CSU die Macht erhalten?'. Und wenn man da zu der Überzeugung kommt 'Das kann sie nicht', dann wird es gefährlich. Aber bisher sehe ich das nicht.
Das vollständige Interview bieten wir zum Nachhören in unserem Audio-on-demand-Angebot an.
Mehr zum Thema