Merkel sollte leidenschaftliche Worte finden

Von Stefan Braun, Süddeutsche Zeitung |
Das Projekt Europa braucht dringend eine neue Begründung, soll es nicht im Sog der Euro-Krise einen langsamen Tod sterben. Es wird Zeit, dass Angela Merkel nicht mehr nur mit Details der Euro-Rettung aufwartet, sondern erklärt, was ihr Europa bedeutet, kommentiert Stefan Braun.
Angela Merkel hat vor wenigen Tagen über die Aufgabe eines Politikers gesprochen. Die Kanzlerin hat darüber geredet, dass Politiker dazu da seien, gerade jene Probleme zu lösen, die nicht so einfach zu lösen seien. Mit Lust hat Merkel ihren Anspruch an sich selbst beschrieben. Und wenn eines stimmt in diesen Zeiten der Euro-Krise, dann ist es die Einschätzung, dass die kommenden Wochen und Monate – ganz im Sinne der Kanzlerin – ihre Stunde als Politikerin werden müssten.

Der Bundestag wird Ende September über die Aufstockung des Euro-Rettungsschirms entscheiden. Die schwarz-gelbe Koalition kämpft darum, überhaupt noch einmal auf die Beine zu kommen. Und das Projekt Europa braucht dringend eine neue Begründung, soll es nicht im Sog der Euro-Krise und des wachsenden Verdrusses über die EU in Deutschland einen langsamen Tod sterben. Politik muss sich immer wieder neu beweisen. Aber so wichtig wie in den kommenden Wochen ist sie lange nicht mehr gewesen.

Scheitert die Regierung daran, dann ist es das für Angela Merkel und die einstige Wunschkoalition gewesen. Sie wird angesichts der miserablen Umfragewerte zwar kaum selbst aufgeben. Aber sie wird bei den nächsten Wahlen keine Chance mehr haben. Gelingt es ihr dagegen, sich im Angesicht der Größe der Aufgabe doch noch zusammenzuraufen, dann könnte es später heißen, sie habe ihre allerletzte Chance beherzt angenommen.

Dabei wird die Frage, ob der Bundestag der Aufstockung des Euro-Rettungsschirms zustimmt, wichtig sein, aber nicht alles entscheidend. Derzeit sieht es so aus, als ob die Koalition ihre eigene Mehrheit bekommen dürfte. Allen Unkenrufen zum Trotz sind es derzeit nicht viel mehr als zehn Abgeordnete aus Union und FDP, die mit Nein stimmen werden. Das ist nicht schön, aber alles andere als ein Beinbruch. Dabei hilft durchaus, dass die Rechte der Parlamentarier offenbar größer und der gesamte Umgang mit dem Rettungsfonds transparenter als bisher organisiert werden soll. Noch wichtiger freilich ist die Tatsache, dass ein Scheitern in den eigenen Reihen unberechenbare Folgen haben würde – ein Zustand, den auch starke Zweifler am Rettungsschirm am Ende vermeiden möchten.

Selbst ein Ja zum größeren Rettungsschirm wird allerdings nicht reichen, damit die Koalition noch mal Fuß fasst. Dafür bräuchte es mehr. Dazu bräuchte es vor allem zweierlei: eine Verständigung nach Innen und eine Botschaft nach außen. Mit der Verständigung nach Innen ist nichts anderes gemeint als ein Ende der Streitereien. Diese Koalition hat noch wie keine Koalition vor ihr bewiesen, dass Streit, Abgrenzung und Profilierung auf Kosten der eigenen Koalitionspartner keine Punkte bringt, sondern Wahlniederlagen.

Auf dem Weg zu einem entschlossenen Miteinander ist sie noch nicht wirklich vorangekommen. Noch immer glauben Christdemokraten, Christsoziale und Liberale, sie könnten über Steuersenkungen, eine Finanztransaktionssteuer oder auch über eine Maut streiten, ohne dass das Folgen hätte. Das Gegenteil ist richtig: das Volk wendet sich ab mit Grausen.

Auch deshalb braucht die Koalition eine Botschaft nach außen. Noch keine Koalition vor dieser schwarz-gelben hat es geschafft, sich derart überschriftenlos durch die Zeit zu hangeln. Einzige Ausnahme war vor einem Jahr der Herbst der Entscheidungen, der sich vor allem in der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke manifestierte - und nach dem Atomunglück von Fukushima kein Beleg mehr war für gute Ideen, sondern für die größte Politikwende in Jahrzehnten. Aus dem Versuch, sich neue Glaubwürdigkeit zu erwerben, wurde die Ursache für den größten Glaubwürdigkeitsverlust Angela Merkels.

Das aber darf nicht heißen, auf jeden weiteren Versuch zu verzichten. Europa, die Europäische Union, der Euro – sie verlangen danach, dass man sich ganz neu um sie kümmert. Seit dem Ausbruch der aktuellen Euro-Krise, die sich nicht an einem schwachen Euro, sondern am fatalen Schuldenstand der meisten Eurostaaten festmacht, ist die Debatte in Deutschland von der Angst um den eigenen Geldbeutel beherrscht worden. Der Grund dafür ist einfach: Selbst die CDU, die sich sonntags so gerne als Europapartei selbst lobt, hat von Montag bis Samstag sehr viel über die Lasten und fast überhaupt nicht über den Nutzen des Euro gesprochen. Wer so defensiv kämpft, kann wenig gewinnen. Wer alles aufs Geld reduziert, darf sich nicht wundern, dass immer mehr Deutsche nichts mehr bezahlen möchten.

Das alles zeigt, dass die Kanzlerin und die Koalition kein Thema suchen müssen. Es liegt vor ihren Füßen. Was ist für uns Europa in einer Welt der Globalisierung? Wo wollen wir hin mit der Europäischen Union? Warum ist der Euro für uns unverzichtbar? Es wird Zeit, dass Angela Merkel nicht mehr nur mit Details der Euro-Rettung aufwartet, sondern erklärt, was ihr Europa bedeutet.

Wer die EU stark halten, vielleicht sogar stärken möchte, kann auf klare, auch leidenschaftliche Worte nicht mehr verzichten. Wie sagte es Merkel: Politiker müssten auch Probleme lösen, die nicht so einfach gelöst werden können. Sie kann jetzt beweisen, ob das auch auf sie selbst zutrifft.