"Merkel muss ihre Rolle noch finden"
Nach Ansicht des Medienwissenschaftlers Lutz Hachmeister kann Angela Merkel ihre Medien-Präsenz noch verbessern. Sie könne sich zwar durchaus prominent vermitteln, zeige aber gleichzeitig rhetorische Mängel, sagte Hachmeister. Auch was den Einfluss der Medien auf die Politik betrifft, sieht der Wissenschaftler die Frauen im Aufwind. Wegen der Nähe zu Merkel wäre die Wirkung von Verlegerin Friede Springer und der Vorsitzenden der Bertelsmann-Stiftung Liz Mohn höher als bei manchen männlichen Publizisten.
Hettinger: Mit der Wechselwirkung zwischen Politik und Medien beschäftigt sich Lutz Hachmeister, er ist Publizist und Medienwissenschaftler und hat das soeben erschienene Jahrbuch "Wer beherrscht die Medien" herausgegeben. Herr Hachmeister, in ihrem aktuellen Jahrbuch beschreiben Sie, dass es für Politiker praktisch unmöglich ist, sich gegen Themen und Meinungen in den Medien zu stemmen, ganz salopp formuliert, die Medien flöten und der Politiker hat zu tanzen. Nun ist der Ausgang der Bundestagswahl doch ein ziemlich frappierender Gegenbeweis für diese These.
Hachmeister: Ja, ganz so ist es auch nicht gemeint. Ich glaube schon, dass die Politik einen hohen Eigenwert hat, dass sie selbst Themen steuern kann, dass natürlich auch weiter politische Entscheidungen außerhalb der Mediensphäre getroffen werden, also in Hinterzimmern und Gesprächsrunden oder auch im Parlament. Es ist schon damit gemeint, dass man sich nicht komplett dem Medieneinfluss entziehen kann, dass man also mit den Medien spielen muss. Also einerseits ist es offensichtlich attraktiv, in den Medien vorzukommen. Das stabilisiert ja die eigene Identität, man erlangt dadurch zumindest formal mehr Bedeutung, das ausgeprägte Syndrom hatte da sicherlich Jürgen Möllemann, der ja daran fast oder tatsächlich dann zugrunde gegangen ist. Aber in jedem Politiker steckt ein kleiner Möllemann, also nach dem Motto, alle anderen sind da, aber ich nicht, wenn ich mich häufiger nicht zeige, und das schadet dann meiner politischen Karriere oder auch dem Standing, der Möglichkeit, politische Positionen durchzusetzen.
Hettinger: Schadet das denn wirklich der Bedeutung eines Politikers? Es gibt ja Menschen im politischen Spektrum, die durchaus Einfluss und etwas zu sagen haben und von sich selbst behaupten, ich bin eher der Hinterzimmerpolitiker und brauche nicht das Ersatzparlament Christiansen.
Hachmeister: Das ist richtig. Also es gibt verschiedene Typen des Politikers, und der Politiker muss sich da auch sehr genau testen und befragen, welche Art des Auftritts ihm am ehesten zukommt. Bei manchen habe ich das Gefühl, sie tun es nicht. Aber Sie haben völlig Recht, das mindert auch das Ansehen der Politik letztlich. Darüber gibt es auch interessante Studien aus den USA. Die Bürger haben irgendwo schon das Gefühl, es wird nicht mehr regiert oder Politik gemacht im Wortsinne, sondern die politische Klasse sitzt im Wesentlichen in Fernsehtalkshows und redet miteinander oder mit der journalistischen Elite.
Hettinger: Welcher Typus ist denn Angela Merkel?
Hachmeister: Ich glaube, sie muss ihre Rolle noch finden. Sie schwankt so ein bisschen hin und her zwischen der Frau, die sich auch im Fernsehen sehr prominent vermittelt. Auf der anderen Seite weiß sie um ihre rhetorischen Mängel, deswegen hat sie sich ja auch verweigert, an zwei Fernsehduellen teilzunehmen, sie hat das Fernsehduell auch deutlich verloren, also insofern war die Selbsteinschätzung da schon ganz vernünftig. Aber man weiß ja, dass Politiker mit ihren Ämtern wachsen in der Regel, und insofern muss man das einfach genauer beobachten. Vom jetzigen Stand der Performance, wie man so Neudeutsch sagt, kann man nicht auf den Stand in drei oder vier Jahren schließen. Da kann sie sicherlich schrittweise besser werden in ihrer Medienpräsenz.
Hettinger: Wir sprechen viel über diese optischen Entsprechungen, quasi über die Oberfläche. Die Inhalte scheinen da relativ wenig eine Rolle zu spielen und die politische Substanz.
Hachmeister: Das glaube ich eigentlich nicht. Also zum einen haben Inhalt und Form in der Politik schon immer zusammengehört. Das würde man selbst wahrscheinlich bei einer genaueren Analyse von Politik in der Antike oder im Mittelalter feststellen. Von einem großen charismatischen Politiker oder auch von einer Politikerin würde man eher erwarten, dass beides in Einklang gebracht wird. Zum anderen glaube ich, dass wir mehr Detailinformationen über politische Prozesse in den Medien insgesamt haben als jemals zuvor. Also wir bekommen natürlich in den großen Zeitungen ja alle Details möglicher Steuer-, Renten- und Gesundheitsreformen geboten. Wir haben das Internet als ganz neues, ständig präsentes Informationsmedium. Also kein Bürger kann heute behaupten, er werde über die Medien nicht über politische Inhalte informiert, und ich glaube, viele Bürger – das haben auch die letzten Bundestagswahlen gezeigt – sind doch in der Lage, zwischen diesen Showauftritten und den politischen Inhalten sehr genau zu trennen. Sie mögen das, wenn ein Politiker sich elegant vermittelt im Fernsehen, aber sie wollen auch natürlich genau wissen, welche Politik betrieben wird und wie das sich auf das persönliche Befinden des einzelnen Wählers auswirkt.
Hettinger: Sie skizzieren die Informationsfülle in den Medien, die Detailtiefe, die Trennschärfe dieser einzelnen Informationen, aber dieses Phänomen ist ja auch dem Umstand geschuldet, dass die Medien einen extremen Druck erzeugen auf die Politik, immer schneller immer verwertbarere Ergebnisse zu erzielen. Tut das dem politischen Geschäft gut?
Hachmeister: Ich denke, das muss ein Politiker schon aushalten können. Also in der Demokratie wird ein Politiker immer von der institutionellen Öffentlichkeit beobachtet, also vom Journalismus im Wesentlichen. Sicherlich ist das heute alles schneller getaktet. In der Bundesrepublik hat sich noch eine große Verschiebung ergeben, weil man aus dieser schläfrigen kleinen Hauptstadt Bonn in das doch sehr übernervöse Berlin gewechselt ist mit einer höheren Dichte an Kommunikation. Aber ich denke, ein Politiker muss da auch balancieren können. Das gehört eigentlich zum Handwerk des Politischen, und das muss man heute wie ehedem von professionellen Politikern einfach verlangen können.
Hettinger: Also Szenen, wie sie sich in den letzten Tagen abgespielt haben vor dem Haus der Parlamentarischen Gesellschaft, ein Pressepulk davor, und da guckt irgendein Kopf aus einer Tür, und schon stürzt da alles hin, das ist ein völlig normaler Vorgang?
Hachmeister: Da muss ich eher natürlich die Journalisten scharf fragen, ob es sich lohnt, in der Anzahl vor diesem Gebäude herumzulungern, um Nichtinformationen zu bekommen. Aber offensichtlich gehört das heute mit zum Beruf, vielleicht normalisiert sich das auch wieder. Aber ich glaube, das ist in Paris, London und Washington wohl nicht anders.
Hettinger: Wer beherrscht die Medien, fragen Sie in Ihrem Jahrbuch. Wer sind denn die Strippenzieher auf dem deutschen Markt?
Hachmeister: Ja, es gibt ja schon zwei Frauen, die sehr mächtig sind, also Friede Springer und Liz Mohn, die ja auch nicht ganz entfernt von Angela Merkel agieren.
Hettinger: Also Springer und Bertelsmann?
Hachmeister: Springer und Bertelsmann, das sind die beiden größten deutschen Medienkonzerne mit Abstand, wobei Bertelsmann natürlich noch mal in einer Liga spielt. Bertelsmann ist auf Platz 5 in der Liste der weltgrößten Medienkonzerne und Springer eben so in der Mitte der Zwanziger.
Hettinger: Wie muss man den persönlichen Einfluss dieser beiden Presseladies beurteilen?
Hachmeister: Der ist sehr, sehr groß, also gerade dadurch, dass sie hintergründig agieren und nicht so öffentlich präsent sind und eine starke Nähe zur neuen politischen Macht in Berlin, also jetzt auch zur neuen wohl Kanzlerin haben, ist er sehr hoch zu veranschlagen. Er ist höher als der vieler größerer männlicher Publizisten, also größer von der publizistischen Wirkung her, von der offensichtlichen Wirkung her, als man eigentlich annimmt.
Hettinger: Eines der Worte der Stunde ist Medienkonzentration vor dem Hintergrund, dass Springer im großen Stil bei ProSiebenSat1 eingestiegen ist. In Ihrem Jahrbuch analysieren Sie auch Strukturverhältnisse. Was erwarten Sie von einer solchen Medienkonzentration?
Hachmeister: Eigentlich nicht so viel wie befürchtet. Man muss sehen, wir haben 1995 angefangen diese Untersuchung über die 50 größten Medienkonzerne der Welt machen. Damals befand sich Springer auf Platz 24 in diesem Ranking der 50 größten Konzerne, ist dann zwischenzeitlich auf Platz 44 oder 45 zurückgefallen und wäre mit dieser Fusion mit ProSiebenSat1 genau wieder da angelangt, wo der Konzern 1995 schon einmal war. Also man sieht, dass sich die Medienkonzentration, gemessen an Umsätzen und Firmenzusammenschlüssen im Ausland, gerade in den USA schneller vollzogen hat als in Europa und in Deutschland. Zum anderen muss man sagen, gehörte ProSiebenSat1 bislang einem amerikanischen Investor mit Haim Saban. Damals hat man beklagt, das deutsche Mediengeschäft werde in großen Teilen ans Ausland verkauft, an undurchsichtige US-Investoren. Nun ist es nun der gute, alte, bekannte Springer-Verlag, den man zumindest einordnen kann. Also insofern glaube ich nicht, dass sich dort erhebliche publizistische Defekte ergeben.
Hettinger: Das heißt, die deutsche Presselandschaft scheint relativ flauschig zu sein, wenn man sich die Sitten und Gebräuche auf dem internationalen Markt anschaut?
Hachmeister: Das kann man so sagen. Das eigentliche Problem liegt auch nicht bei den großen Blättern oder bei der Elitepresse, sondern im regionalen Bereich. Also gefährlich wird es immer, wenn in einem bestimmten Raum nur noch eine Zeitung existiert und damit natürlich die Verflechtungen zwischen dieser Zeitung und der lokalen Politik sehr groß werden, die Verflechtungen mit dem Anzeigengeschäft und es wirklich keine Konkurrenz mehr gibt, und das behindert dann wirklich vernünftige Informationen über das lokale und regionale Geschehen. Ansonsten haben wir hier in Deutschland, was die überregionale Presse anlangt, einen fast traumhaften Zustand, den kaum ein anderes Land erreicht. Ich glaube, wir kommen wieder in die Gefahr, dass sich der Journalismus zu sehr in die bürgerliche Mitte bewegt, dass er sehr stark die eigenen Interessen seiner eigenen Klasse vertritt. Journalisten heute sind ja nicht mehr die Outsider oder Hungerleider von ehedem, sondern sind eigentlich ganz gut bezahlte Vertreter des gehobenen bürgerlichen Mittelstands und vertreten natürlich ihre Weltsicht. Das ist ja das, was Gerhard Schröder eigentlich an dem Journalismus auch kritisiert hat, dass sich der Journalismus eigentlich von der gesellschaftlichen Realität stärker entfernt hat, als es wünschenswert wäre.
Hettinger: Also unsere Meinung wird gemacht von einem Prosecco-Kartell?
Hachmeister: Das haben Sie gut ausgedrückt. Früher hat man die Toskana-Fraktion ausschließlich einer bestimmten politischen Linie zugeschrieben, aber sie ist vielleicht auch stärker im Journalismus verankert, oder die Cote-d’Azur-Fraktion, als man eigentlich meint, wenn man gemeinhin auf den Journalismus blickt.
Hettinger: Ist der Journalismus überhaupt noch die vierte Gewalt?
Hachmeister: Eigentlich nicht. Ich glaube schon, dass man über diese formale Kommunikationsdichte, also das Vorhandensein sehr vieler Medien, über diese schnelle Taktung, auch über Fernseh- und Nachrichtenkanäle, auch einen falschen Eindruck von dem Übergewicht der Medien bekommt. Also man redet ja auch von der Mediengesellschaft, ohne genau definieren zu können, was das eigentlich ist. Dem gegenüber habe ich immer die Ansicht vertreten, dass die politische Klasse stärker ist, als es nach außen vermittelt wird und als es ihr selbst manchmal vorkommt. Also die klassischen Wege der politischen Entscheidungsfindung – haben wir ja auch zuletzt wieder bei Bildung der großen Koalition gesehen – sind wahrscheinlich doch gewichtiger als das gesamte Feld der Medienvermittlung.
Hettinger: Also hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder gar nicht so Unrecht, als er in der Elefantenrunde doch recht heftig gegen die Medien geholzt hat?
Hachmeister: Ja, das hat er natürlich auch aus taktischen und vielleicht sogar strategischen Motiven gemacht. Er war auch sicherlich sauer über eine bestimmte Szene, die sich vorher abgespielt hatte, als im ZDF Frau Merkel schon als Bundeskanzlerin begrüßt wurde. Aber im Prinzip lag er nicht so ganz falsch. Er ist auch durch das Wahlergebnis eher bestätigt worden. Also dieser Irrtum von Journalisten und Demoskopen, was das Wahlergebnis der CDU anbelangte, war ja ziemlich einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik, und das hat wiederum den Kanzler, der davon profitiert hat, doch etwas euphorisch gestimmt.
Hachmeister: Ja, ganz so ist es auch nicht gemeint. Ich glaube schon, dass die Politik einen hohen Eigenwert hat, dass sie selbst Themen steuern kann, dass natürlich auch weiter politische Entscheidungen außerhalb der Mediensphäre getroffen werden, also in Hinterzimmern und Gesprächsrunden oder auch im Parlament. Es ist schon damit gemeint, dass man sich nicht komplett dem Medieneinfluss entziehen kann, dass man also mit den Medien spielen muss. Also einerseits ist es offensichtlich attraktiv, in den Medien vorzukommen. Das stabilisiert ja die eigene Identität, man erlangt dadurch zumindest formal mehr Bedeutung, das ausgeprägte Syndrom hatte da sicherlich Jürgen Möllemann, der ja daran fast oder tatsächlich dann zugrunde gegangen ist. Aber in jedem Politiker steckt ein kleiner Möllemann, also nach dem Motto, alle anderen sind da, aber ich nicht, wenn ich mich häufiger nicht zeige, und das schadet dann meiner politischen Karriere oder auch dem Standing, der Möglichkeit, politische Positionen durchzusetzen.
Hettinger: Schadet das denn wirklich der Bedeutung eines Politikers? Es gibt ja Menschen im politischen Spektrum, die durchaus Einfluss und etwas zu sagen haben und von sich selbst behaupten, ich bin eher der Hinterzimmerpolitiker und brauche nicht das Ersatzparlament Christiansen.
Hachmeister: Das ist richtig. Also es gibt verschiedene Typen des Politikers, und der Politiker muss sich da auch sehr genau testen und befragen, welche Art des Auftritts ihm am ehesten zukommt. Bei manchen habe ich das Gefühl, sie tun es nicht. Aber Sie haben völlig Recht, das mindert auch das Ansehen der Politik letztlich. Darüber gibt es auch interessante Studien aus den USA. Die Bürger haben irgendwo schon das Gefühl, es wird nicht mehr regiert oder Politik gemacht im Wortsinne, sondern die politische Klasse sitzt im Wesentlichen in Fernsehtalkshows und redet miteinander oder mit der journalistischen Elite.
Hettinger: Welcher Typus ist denn Angela Merkel?
Hachmeister: Ich glaube, sie muss ihre Rolle noch finden. Sie schwankt so ein bisschen hin und her zwischen der Frau, die sich auch im Fernsehen sehr prominent vermittelt. Auf der anderen Seite weiß sie um ihre rhetorischen Mängel, deswegen hat sie sich ja auch verweigert, an zwei Fernsehduellen teilzunehmen, sie hat das Fernsehduell auch deutlich verloren, also insofern war die Selbsteinschätzung da schon ganz vernünftig. Aber man weiß ja, dass Politiker mit ihren Ämtern wachsen in der Regel, und insofern muss man das einfach genauer beobachten. Vom jetzigen Stand der Performance, wie man so Neudeutsch sagt, kann man nicht auf den Stand in drei oder vier Jahren schließen. Da kann sie sicherlich schrittweise besser werden in ihrer Medienpräsenz.
Hettinger: Wir sprechen viel über diese optischen Entsprechungen, quasi über die Oberfläche. Die Inhalte scheinen da relativ wenig eine Rolle zu spielen und die politische Substanz.
Hachmeister: Das glaube ich eigentlich nicht. Also zum einen haben Inhalt und Form in der Politik schon immer zusammengehört. Das würde man selbst wahrscheinlich bei einer genaueren Analyse von Politik in der Antike oder im Mittelalter feststellen. Von einem großen charismatischen Politiker oder auch von einer Politikerin würde man eher erwarten, dass beides in Einklang gebracht wird. Zum anderen glaube ich, dass wir mehr Detailinformationen über politische Prozesse in den Medien insgesamt haben als jemals zuvor. Also wir bekommen natürlich in den großen Zeitungen ja alle Details möglicher Steuer-, Renten- und Gesundheitsreformen geboten. Wir haben das Internet als ganz neues, ständig präsentes Informationsmedium. Also kein Bürger kann heute behaupten, er werde über die Medien nicht über politische Inhalte informiert, und ich glaube, viele Bürger – das haben auch die letzten Bundestagswahlen gezeigt – sind doch in der Lage, zwischen diesen Showauftritten und den politischen Inhalten sehr genau zu trennen. Sie mögen das, wenn ein Politiker sich elegant vermittelt im Fernsehen, aber sie wollen auch natürlich genau wissen, welche Politik betrieben wird und wie das sich auf das persönliche Befinden des einzelnen Wählers auswirkt.
Hettinger: Sie skizzieren die Informationsfülle in den Medien, die Detailtiefe, die Trennschärfe dieser einzelnen Informationen, aber dieses Phänomen ist ja auch dem Umstand geschuldet, dass die Medien einen extremen Druck erzeugen auf die Politik, immer schneller immer verwertbarere Ergebnisse zu erzielen. Tut das dem politischen Geschäft gut?
Hachmeister: Ich denke, das muss ein Politiker schon aushalten können. Also in der Demokratie wird ein Politiker immer von der institutionellen Öffentlichkeit beobachtet, also vom Journalismus im Wesentlichen. Sicherlich ist das heute alles schneller getaktet. In der Bundesrepublik hat sich noch eine große Verschiebung ergeben, weil man aus dieser schläfrigen kleinen Hauptstadt Bonn in das doch sehr übernervöse Berlin gewechselt ist mit einer höheren Dichte an Kommunikation. Aber ich denke, ein Politiker muss da auch balancieren können. Das gehört eigentlich zum Handwerk des Politischen, und das muss man heute wie ehedem von professionellen Politikern einfach verlangen können.
Hettinger: Also Szenen, wie sie sich in den letzten Tagen abgespielt haben vor dem Haus der Parlamentarischen Gesellschaft, ein Pressepulk davor, und da guckt irgendein Kopf aus einer Tür, und schon stürzt da alles hin, das ist ein völlig normaler Vorgang?
Hachmeister: Da muss ich eher natürlich die Journalisten scharf fragen, ob es sich lohnt, in der Anzahl vor diesem Gebäude herumzulungern, um Nichtinformationen zu bekommen. Aber offensichtlich gehört das heute mit zum Beruf, vielleicht normalisiert sich das auch wieder. Aber ich glaube, das ist in Paris, London und Washington wohl nicht anders.
Hettinger: Wer beherrscht die Medien, fragen Sie in Ihrem Jahrbuch. Wer sind denn die Strippenzieher auf dem deutschen Markt?
Hachmeister: Ja, es gibt ja schon zwei Frauen, die sehr mächtig sind, also Friede Springer und Liz Mohn, die ja auch nicht ganz entfernt von Angela Merkel agieren.
Hettinger: Also Springer und Bertelsmann?
Hachmeister: Springer und Bertelsmann, das sind die beiden größten deutschen Medienkonzerne mit Abstand, wobei Bertelsmann natürlich noch mal in einer Liga spielt. Bertelsmann ist auf Platz 5 in der Liste der weltgrößten Medienkonzerne und Springer eben so in der Mitte der Zwanziger.
Hettinger: Wie muss man den persönlichen Einfluss dieser beiden Presseladies beurteilen?
Hachmeister: Der ist sehr, sehr groß, also gerade dadurch, dass sie hintergründig agieren und nicht so öffentlich präsent sind und eine starke Nähe zur neuen politischen Macht in Berlin, also jetzt auch zur neuen wohl Kanzlerin haben, ist er sehr hoch zu veranschlagen. Er ist höher als der vieler größerer männlicher Publizisten, also größer von der publizistischen Wirkung her, von der offensichtlichen Wirkung her, als man eigentlich annimmt.
Hettinger: Eines der Worte der Stunde ist Medienkonzentration vor dem Hintergrund, dass Springer im großen Stil bei ProSiebenSat1 eingestiegen ist. In Ihrem Jahrbuch analysieren Sie auch Strukturverhältnisse. Was erwarten Sie von einer solchen Medienkonzentration?
Hachmeister: Eigentlich nicht so viel wie befürchtet. Man muss sehen, wir haben 1995 angefangen diese Untersuchung über die 50 größten Medienkonzerne der Welt machen. Damals befand sich Springer auf Platz 24 in diesem Ranking der 50 größten Konzerne, ist dann zwischenzeitlich auf Platz 44 oder 45 zurückgefallen und wäre mit dieser Fusion mit ProSiebenSat1 genau wieder da angelangt, wo der Konzern 1995 schon einmal war. Also man sieht, dass sich die Medienkonzentration, gemessen an Umsätzen und Firmenzusammenschlüssen im Ausland, gerade in den USA schneller vollzogen hat als in Europa und in Deutschland. Zum anderen muss man sagen, gehörte ProSiebenSat1 bislang einem amerikanischen Investor mit Haim Saban. Damals hat man beklagt, das deutsche Mediengeschäft werde in großen Teilen ans Ausland verkauft, an undurchsichtige US-Investoren. Nun ist es nun der gute, alte, bekannte Springer-Verlag, den man zumindest einordnen kann. Also insofern glaube ich nicht, dass sich dort erhebliche publizistische Defekte ergeben.
Hettinger: Das heißt, die deutsche Presselandschaft scheint relativ flauschig zu sein, wenn man sich die Sitten und Gebräuche auf dem internationalen Markt anschaut?
Hachmeister: Das kann man so sagen. Das eigentliche Problem liegt auch nicht bei den großen Blättern oder bei der Elitepresse, sondern im regionalen Bereich. Also gefährlich wird es immer, wenn in einem bestimmten Raum nur noch eine Zeitung existiert und damit natürlich die Verflechtungen zwischen dieser Zeitung und der lokalen Politik sehr groß werden, die Verflechtungen mit dem Anzeigengeschäft und es wirklich keine Konkurrenz mehr gibt, und das behindert dann wirklich vernünftige Informationen über das lokale und regionale Geschehen. Ansonsten haben wir hier in Deutschland, was die überregionale Presse anlangt, einen fast traumhaften Zustand, den kaum ein anderes Land erreicht. Ich glaube, wir kommen wieder in die Gefahr, dass sich der Journalismus zu sehr in die bürgerliche Mitte bewegt, dass er sehr stark die eigenen Interessen seiner eigenen Klasse vertritt. Journalisten heute sind ja nicht mehr die Outsider oder Hungerleider von ehedem, sondern sind eigentlich ganz gut bezahlte Vertreter des gehobenen bürgerlichen Mittelstands und vertreten natürlich ihre Weltsicht. Das ist ja das, was Gerhard Schröder eigentlich an dem Journalismus auch kritisiert hat, dass sich der Journalismus eigentlich von der gesellschaftlichen Realität stärker entfernt hat, als es wünschenswert wäre.
Hettinger: Also unsere Meinung wird gemacht von einem Prosecco-Kartell?
Hachmeister: Das haben Sie gut ausgedrückt. Früher hat man die Toskana-Fraktion ausschließlich einer bestimmten politischen Linie zugeschrieben, aber sie ist vielleicht auch stärker im Journalismus verankert, oder die Cote-d’Azur-Fraktion, als man eigentlich meint, wenn man gemeinhin auf den Journalismus blickt.
Hettinger: Ist der Journalismus überhaupt noch die vierte Gewalt?
Hachmeister: Eigentlich nicht. Ich glaube schon, dass man über diese formale Kommunikationsdichte, also das Vorhandensein sehr vieler Medien, über diese schnelle Taktung, auch über Fernseh- und Nachrichtenkanäle, auch einen falschen Eindruck von dem Übergewicht der Medien bekommt. Also man redet ja auch von der Mediengesellschaft, ohne genau definieren zu können, was das eigentlich ist. Dem gegenüber habe ich immer die Ansicht vertreten, dass die politische Klasse stärker ist, als es nach außen vermittelt wird und als es ihr selbst manchmal vorkommt. Also die klassischen Wege der politischen Entscheidungsfindung – haben wir ja auch zuletzt wieder bei Bildung der großen Koalition gesehen – sind wahrscheinlich doch gewichtiger als das gesamte Feld der Medienvermittlung.
Hettinger: Also hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder gar nicht so Unrecht, als er in der Elefantenrunde doch recht heftig gegen die Medien geholzt hat?
Hachmeister: Ja, das hat er natürlich auch aus taktischen und vielleicht sogar strategischen Motiven gemacht. Er war auch sicherlich sauer über eine bestimmte Szene, die sich vorher abgespielt hatte, als im ZDF Frau Merkel schon als Bundeskanzlerin begrüßt wurde. Aber im Prinzip lag er nicht so ganz falsch. Er ist auch durch das Wahlergebnis eher bestätigt worden. Also dieser Irrtum von Journalisten und Demoskopen, was das Wahlergebnis der CDU anbelangte, war ja ziemlich einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik, und das hat wiederum den Kanzler, der davon profitiert hat, doch etwas euphorisch gestimmt.