Merkel in Russland

Mitunter ist es Wissen, das vor blindem Vertrauen schützt. Die den Deutschen eigene und häufig romantische Liebe zu Russland teilen diejenigen weit weniger, die das Land wirklich kennen. Angela Merkel hat Russland schon zu Zeiten besucht, als es noch Sowjetunion hieß. Als die UdSSR der große Bruder war, der die kleinen knechtete und sie zu rechtlosen Vasallen degradierte.
Die Sowjetunion, die zu lieben die SED befahl, war Merkel wie vielen systemkritischen oder distanzierteren Ostdeutschen verhasst. Nicht die Menschen, aber der Staat. Merkel traf heute auf einen Mann, der half, genau dieses Staates am Leben zu erhalten, indem er Angst verbreitete und jeden Widerstand im Keim erstickte.

Putin im Jahr 2006 ist nicht mehr der KGB-Offizier aus Dresden. Aber er geht mit ähnlichem imperialen Gehabe zu Werke, die Opposition im Inneren ausschaltend, unliebsame Nachbarn erpressend. Dass Angela Merkel Putin auf den Leim geht, war nicht zu erwarten, schon auf Grund ihre Biografie ist sie vorgewarnt und wachsam, lässt sie mit billiger Folklore wie Balalaikaklängen und Schlittenfahrten nicht so leicht einlullen wie ihr in Bezug auf Russland naiver Vorgänger. Dessen Naivität, die in Vasallentreue fast schon wie zu sozialistischen Zeiten umschlug, hat Deutschlands Ansehen unter den demokratischen Kräften geschadet, der Wirtschaft freilich genützt, weil die erfahrungsgemäß mit Diktaturen schon immer besser zurechtkam als mit Staaten im Umbruch.

Merkel hat die Demokratisierung eines ehemals sozialistischen Landes miterlebt, mit gestaltet und weiß sehr genau, dass es die demokratischen Institutionen wie freie Presse, ein Mehrparteiensystem mit einer echten Opposition sind, die die Entwicklung in die richtige Richtung vorantreiben. Es war Wladimir Putin, der nach dem Chaos der Jelzin-Jahre die Freiheiten wieder beschnitt. Das kann einer Kanzlerin, die aus Ostdeutschland kommt, nicht gefallen. Das tut es nicht und das hat sie unmissverständlich angesprochen.

Ihr ist Freiheit ein kostbares Gut, wie schon George Bush am Freitag sehr richtig festgestellt hat. Deshalb hat sie Guantanamo angesprochen, denn es geht um den Schaden, den die USA erleiden, als ein Land, das für Merkel immer noch die westlichen demokratischen Werte verkörpert, anders als Russland.

Mit Bomben, gefälschten Referenden und Wahlen löst man kein Separatismuskonflikt im eigenen Land, das verdient keinen Applaus, Merkel hat nicht geklatscht. Stattdessen fand sie klare Worte, traf sich mit der Opposition und Menschenrechtsaktivisten, die viel zu erzählen wussten, von der Gewalt und Rechtlosigkeit in Tschetschenien, im Kaukasus und im übrigen Russland. Ein vertrauensvolles Verhältnis zu Moskau beginnt mit Ehrlichkeit, offenen Worten und Kritik, wo sie Not tut.

Nur so kann Partnerschaft und im besten Fall Freundschaft entstehen. Deutsch-russische Freundschaft lässt Merkel sich garantiert nicht noch einmal verordnen, aber sie ist bereit, sich darum zu bemühen, wenn Moskau es denn ehrlich meint und nicht verlangt, alle Augen zuzudrücken, wo man besser genau hinschauen sollte.