Merkel in den USA

Auf dem Basar des Freihandels

Niedersachsens Agrarminister Christian Meyer (Grüne)
Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) © picture alliance / dpa / Carmen Jaspersen
Christian Meyer im Gespräch mit Nana Brink · 02.05.2014
Niedersachsens Agrarminister Meyer hat Bundeskanzlerin Merkel vorgeworfen, beim Freihandelsabkommen zwischen EU und USA die Interessen großer Konzerne zu vertreten. Bürger und Landwirtschaft seien Verlierer eines solchen Abkommens.
Nana Brink: Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, eines von Merkels wichtigen Themen bei ihrem USA-Besuch, das soll ja vor allem eines: die gegenseitigen Exporthürden niederreißen. Und deshalb stoppen auch gerade die Verhandlungen. Bei genauem Hingucken nämlich erscheint genau dies als Mammutaufgabe, denn die Unterschiede zum Beispiel zwischen den Umwelt- und Lebensmittelregeln beider Partner, die könnten größer nicht sein, womit wir beim immer zitierten Chlorhühnchen sind: Also Geflügel darf in den USA mit Chlor zum Beispiel eingesprüht werden, bei uns nicht. Oder auch Klonfleisch, hier verboten, in den USA erlaubt. Oder genveränderte Lebensmittel, womit die meisten Amerikaner gar kein Problem haben – wenn es hier erlaubt ist, muss es wenigstens gekennzeichnet sein. Also viel Stoff für Verhandlungen – Christian Meyer, grüner Landwirtschaftsminister in Niedersachsen. Schönen guten Morgen, Herr Meyer!
Christian Meyer: Schönen guten Morgen!
Brink: Wie kann man denn diese Unterschiede in den Standards bei Umwelt- und Lebensmittelsachen überwinden?
Die Landwirtschaft wäre ein großer Verlierer
Meyer: Na ja, Europa hat in den meisten Bereichen einen deutlich höheren Standard. Wir setzen auf Vorsorge. Bei uns ist es eben nicht erlaubt, Gentechnik ohne Kennzeichnung auf den Markt zu bringen, Hühner sozusagen nachträglich mit Chlor zu behandeln. Das ist nicht nur unappetitlich, sondern wir sehen da auch erhebliche Gefahren drin. Und die Amerikaner haben eine ganz andere Landwirtschaft mit viel größeren agrarindustriellen Strukturen, deutlich größere Betriebe, und deshalb wäre wahrscheinlich die europäische Landwirtschaft ein großer Verlierer von so einem Freihandelsabkommen.
Brink: Nun muss man sich aber klarmachen, dass es ganz wichtig ist, dass dieses Abkommen ja eigentlich unterzeichnet wird, dass dieser große Markt endlich seine Hürden abbaut. Warum kann man das nicht den Markt regeln lassen?
"Wer hier exportiert, muss unsere Grenzwerte einhalten"
Meyer: Na, es muss … Dafür ist ja Politik da, dafür ist Demokratie da: um Standards festzulegen, um die VerbraucherInnen, um die Umwelt und die soziale Gerechtigkeit zu schützen. Das kann nicht der Markt alleine lösen. Und es gibt ja Handel, und die Amerikaner können ja hier Hühner exportieren, sie müssen sich aber an unsere Standards halten. Das heißt, sie dürfen dann eben nicht mit Chlor behandeln, dürfen nicht mit Gentechnik umgehen. Und die Spielregel ist eigentlich ganz einfach: Wer hier exportiert, muss unsere Grenzwerte einhalten. Man kann auch kein Auto ohne Katalysator nach Europa exportieren.
Brink: Aber es ist ja immer so: Wenn zwei Seiten Positionen haben, die scheinbar nicht übereinzubringen sind, muss man sich ja irgendwo in der Mitte treffen.
Meyer: Ja, das ist meine große Sorge. Die Amerikaner machen sehr großen Druck im Agrarbereich, weil sie da der Profiteur wären. Die Europäer wären es möglicherweise in anderen Bereichen, wo sie Chancen sehen. Es ist natürlich sinnvoll, manchmal Standards zu vereinheitlichen, also sich auf bestimmte Normen – also wo ein Blinker im Auto gesetzt wird, wie ein Handystecker, die Akkuaufladegeräte normiert werden. Aber wo es um Umwelt, Sozial- und Verbraucherrechte geht, muss immer der Standard im jeweiligen Herkunftsland gehen. Und demokratisch gewählte Regierungen müssen auch weiterhin die Möglichkeit haben, höhere Grenzwerte bei Pflanzenschutzmitteln, Pestiziden in Lebensmitteln festzulegen, ohne dass sie dann gleich vor einen ja nicht öffentlich tagenden Gerichtshof von Unternehmen gezerrt werden.
Brink: Also höre ich da raus, dass Sie nicht kompromissbereit sind?
Demokratische Errungenschaften auf dem Basar des Freihandels
Meyer: Was nicht geht, ist dieses Investorenschutzverfahren, also dass es die Möglichkeit geben soll für Großkonzerne, egal ob in Europa, in den USA, gegen Regierungen wie eine Landesregierung oder ein Kommunalparlament vorzugehen, was zum Beispiel einen Mindestlohn vorschreibt. Und dann von einem Unternehmen verklagt zu werden, dass man ein Handelshemmnis darstellen würde – das darf nicht sein, dass solche demokratischen Errungenschaften auf dem Basar des Freihandels heruntergestuft werden.
Brink: Und was ist mit den Standards, die wir erwähnt haben? Also kommen wir noch mal zu dem Chlorhühnchen zurück.
Meyer: Ja, diese Standards, die sind ja aus guten Gründen auch gemacht worden, und es muss auch legitim sein, auch aus moralischen, aus ethischen Gründen, im Verbraucherschutz Vorschriften zu machen. Also wenn wir sagen, wir wollen in Europa kein Hundefleisch essen und würden ein Abkommen mit den Chinesen machen, dass die das hier einführen dürften ohne Kennzeichnung, würde sich, glaube ich, auch ein Sturm der Entrüstung erheben. Deshalb gibt es manchmal unterschiedliche Standards zwischen den Staaten. Aber es ist ja nicht so, dass es jetzt keinen Handel zwischen den USA und Europa gäbe.
Brink: Nun entscheidet ja eigentlich nicht Deutschland oder zumindest verhandelt nicht Deutschland alleine, sondern ja die EU. Und der Brüsseler Handelskommissar De Gucht, der ja für die EU die Verhandlungen führt, will nun vor dem Europäischen Gerichtshof eine Klage einreichen, um entscheiden zu lassen, wer am Ende denn über dieses Freihandelsabkommen abstimmen darf. Der Hintergrund ist natürlich klar: Er will verhindern, dass zum Beispiel das Abkommen am Deutschen Bundestag oder an der französischen Nationalversammlung scheitert. Ist es nicht wichtig, dass die EU mit einer Stimme spricht?
Neustart der Verhandlungen gefordert
Meyer: Ja, deshalb ist das Europaparlament ja auch ganz wichtig und dabei auch zu beteiligen, nur das wird auch zu wenig informiert, was eigentlich genau verhandelt wird, um welche Standards es geht – auch Bundesregierung, Landesregierung. Es ist in Europa so: Es geht hier um unsere Schutzrechte für die Verbraucher, nicht nur im Lebensmittelbereich, sondern eben auch in vielen anderen Bereichen, und da müssen natürlich nicht nur im Bundestag, sondern auch im Bundesrat die Länder solchen Abkommen zustimmen. Und es kann nicht sein, dass die EU-Kommission versucht, nun die nationalen Parlamente oder die nationalen Regierungen dort auszuhebeln und in Hinterzimmern unsere hart errungenen Verbraucherrechte aufzugeben. Die Mehrheit der Verbraucher will keine Gentechnik in Europa, und es kann nicht sein, dass die großen Konzerne es jetzt über so ein Hintertürchen und Schutzklauseln in Freihandelsabkommen schaffen.
Brink: Aber wie kann man das denn erreichen, wenn man nicht völlig sozusagen riskiert, dass jedes Parlament dann eine Entscheidung, die man mal mühsam verhandelt hat, torpediert?
Meyer: Ja, sie sollten sich eben darauf einlassen, dass bestimmte Bereiche und bestimmte Standards tabu sind, dass man eben nicht Umwelt-, Sozial-, Verbraucherrechte … (Anmerkung der Redaktion: Wort unverständlich), sondern dass man sich über wirklich Handel, über Zölle unterhält, über Normen unterhält, das auch mit der Gesellschaft rückkoppelt. Wir fordern als Grüne einen Stopp der Verhandlungen und sozusagen einen echten Neustart, wo man sich klar macht, worum es auch geht. Wir haben in Europa einen guten Rechtsstaat, in den USA haben wir einen Rechtsstaat, wir brauchen keine neuen Sondergerichte, wo Investoren Regierungen auf Handelshemmnisse verklagen können, sondern das muss weiter Sache der nationalen Rechtsstaatlichkeit sein.
Brink: Sie haben gesagt, Sie fordern einen Stopp der Verhandlungen. Genau das Gegenteil tut aber eigentlich gerade die Bundeskanzlerin, denn man kann davon ausgehen, dass sie vor ihrer Rede heute vor der Handelskammer genau sagen wird: Wir brauchen dieses Abkommen, wir müssen alles tun, dass es zustande kommt.
Merkel vertritt Interessen der Konzerne, nicht der Verbraucher
Meyer: Ja, das ist fatal, das … Auch aus dem NSA-Skandal, wo ja viele Stimmen waren: Wenn die Amerikaner uns hier abhören und sich auch noch nicht mal drauf einlassen wollen, ein sogenanntes No-Spy-Abkommen zu schließen, das ist ja jetzt auch vom Tisch, also sich auch darauf einzulassen, dass man eben nicht seinen Verhandlungspartner auch in solchen Verhandlungen abhört – was ist seine Strategie –, dann frage ich mich, warum dieses Verfahren insgesamt so intransparent stattfindet. Und anscheinend vertritt Merkel da nicht die Interessen der Landwirtschaft, nicht die Interessen der Verbraucher, die die großen Verlierer eines solchen Freihandelsabkommens wären, sondern einiger großer internationaler Konzerne.
Brink: Christian Meyer war das, der grüne Landwirtschaftsminister in Niedersachsen, und wir sprachen über die Verhandlungen zum geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, ein wichtiges Thema, auch bei Merkels USA-Besuch. Schönen Dank, Herr Meyer, für das Gespräch!
Meyer: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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