Merkel im Umfragetief

"Manche sind ihrer überdrüssig geworden"

Sie sehen Bundeskanzlerin Merkel an einem Stehpult, links eine Deutschlandfahne.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht am 23.07.2016 im Bundeskanzleramt in Berlin bei einem Statement zu den Gewalttaten von München. © picture-alliance / dpa / Michael Kappeler
Margaret Heckel im Gespräch mit Ute Welty · 06.08.2016
Um zwölf Prozentpunkte sind die Beliebtheitswerte von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach den Terroranschlägen von Würzburg und Ansbach eingebrochen. Ihren Kurs werde die Kanzlerin dennoch nicht ändern, sagt Merkel-Biografin Margaret Heckel.
Einen drastischen Einbruch ihrer Popularitätswerte um zwölf Prozentpunkte erlebt Bundeskanzlerin Angela Merkel nach den Terroranschlägen von Würzburg und Ansbach. Mit einem politischen Kurswechsel der Kanzlerin rechnet die Merkel-Biografin Margaret Heckel gleichwohl nicht. Höchstens werde sie ihren Kurs anders benennen.
"Ändern wird sie ihn nicht, das hat man sehr deutlich gesehen an der Pressekonferenz, die sie ja erst vor wenigen Tagen gegeben hat, wo sie ihren Kurs vor allem in der Flüchtlingspolitik ja noch einmal erklärt hat, aber nicht geändert hat."

Wer könnte Merkel herausfordern?

Es sei nicht das erste Mal in ihrer Regierungszeit, dass Merkel schlechte Umfragewerte habe, sagt ihre Biografin. Bisher habe sie das immer überstanden.
"Aber sie nähert sich natürlich schon einer Phase ihrer Kanzlerschaft, wo die Menschen sagen: och, noch mal?! Weil sie einfach doch schon inzwischen jetzt elf Jahre regiert hat", so Heckel. "Und manche sind ihrer offensichtlich auch überdrüssig geworden."
Möglicherweise gebe es auch eine "Merkel-Müdigkeit" so wie es 1998 eine Kohl-Müdigkeit gegeben habe. "Aber es gab damals einen großen Unterschied: Wir hatten damals einen Herausforderer, der im Gegensatz zu Helmut Kohl eben noch sehr jung, sehr frisch, sehr dynamisch rüberkam, nämlich Gerhard Schröder."

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: In Anlehnung an Churchill könnte man sagen: Glaube keiner Umfrage, die du nicht selbst gefälscht hast – wenn da nicht ein dickes Aber wäre! Dieses Aber setzt sich zusammen aus zwölf, in Worten: zwölf Prozentpunkten. Um diesen Wert ist die Zustimmung der Deutschen für Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel gesunken und das ist deutlich mehr als ein Messfehler. Vor allem wenn man berücksichtigt, dass die Werte für CSU-Chef Horst Seehofer fast gleichermaßen gestiegen sind.
Merkel und Seehofer sind wie ihre Parteien CDU und CSU ja durchaus unterschiedlicher Meinung, was das richtige Vorgehen in der Flüchtlingsfrage ist. Inwieweit die Kanzlerin das alles anficht und was das bedeutet für die Bundestagswahl im nächsten Jahr, das kann ich jetzt mit der Merkel-Biografin Margaret Heckel besprechen, guten Morgen, Frau Heckel!
Margaret Heckel: Schönen guten Morgen!
Welty: Ihre Biografie trägt den Titel: "So reagiert die Kanzlerin". Da ergibt sich die Frage geradezu zwangsläufig: Wie reagiert die Kanzlerin denn auf diesen doch massiven Verlust an Zustimmung?
Heckel: Es ist schon ein drastischer Einbruch, da haben Sie vollkommen recht. Aber sie ist ja nicht erst seit drei Tagen an der Regierung und hat in dieser doch langen Regierungszeit immer wieder solche Phasen erlebt, wo ihre Zustimmungswerte deutlich nach unten gegangen sind, dann gehen sie wieder nach oben.
Letztendlich sagt man ja, dass Merkel immer jemand ist, der sozusagen auf das Ziel hinarbeitet, und wenn das Ziel von ihr tatsächlich ist, noch mal wiedergewählt zu werden, dann wird der entscheidende Punkt eben in der Tat die nächste Bundestagswahl sein. Das ist noch über ein Jahr hin und da kann natürlich noch sehr viel passieren.

Keine Abstriche am "Wir schaffen das"

Welty: Wird sie aber trotzdem – wenn Sie schon sagen, eigentlich ist es keine Geschichte, die sie anficht –, wird sie denn trotzdem ihren Kurs ändern, gegebenenfalls korrigieren, anders benennen?
Heckel: Also, wenn überhaupt, dann höchstens anders benennen. Ändern wird sie ihn nicht, das hat man sehr deutlich gesehen an der Pressekonferenz, die es ja erst vor wenigen Tagen gegeben hat, wo sie ihren Kurs in vor allem der Flüchtlingspolitik ja noch mal erklärt hat, aber nicht geändert hat. Und sie hat ja diesen einen Satz, der inzwischen sehr berühmt wurde, "Wir schaffen das!", noch mal wiederholt und da kann man jetzt wirklich nicht sagen, dass da irgendwelche Abstriche gemacht werden.
Es wird allenfalls eben dieser zusätzliche Aspekt, der natürlich sehr wichtig ist, Sicherheitspolitik, alles oder alles Mögliche zu tun, damit die Menschen hier im Lande sich sicherer fühlen, das kam noch hinzu. Und jetzt ist eben die große Frage: Vertrauen ihr die Menschen, glauben ihr die Menschen, dass das funktioniert? Und da zeigen die Umfragen schon, dass da Zweifel dran bestehen.
Welty: Muss die Kanzlerin nicht gerade in Fragen der Sicherheit beziehungsweise eben beim Thema Flüchtlinge mehr liefern, damit die Menschen eben wissen, wie wir das schaffen sollen?
Heckel: Ja klar, und sie hat ja deswegen da ein paar Punkte, neun Punkte, glaube ich, angekündigt. Die Umsetzung, das ist eben das Problem, liegt ja vor allem jetzt dann doch bei den Ländern. Da hat sie als Bundeskanzlerin nicht so wahnsinnig viel Einfluss drauf, es sei denn die Bundesregierung ringt sich durch, Einsätze der Bundeswehr im Inneren zu gestatten. Da gibt es ja erste Signale der Verteidigungsministerin von der Leyen, die sagt, da könnte man drüber nachdenken.
Es bleibt aber die grundsätzliche Frage, ob man den Menschen nicht vielleicht doch eher sagen muss, dass es absolute Sicherheit niemals geben kann, wenn wir konfrontiert sind mit Attentaten, wo Einzeltäter mit Waffen, von denen wir gar nicht dachten, dass sie Waffen sind, Macheten und ähnliche Dinge, zuschlagen. Also, ich bin mir da nicht so sicher, wie viel man den Menschen überhaupt versprechen angesichts solcher Herausforderungen.

Noch kein Herausforderer in Sicht

Welty: Wie angreifbar wird Merkel durch diese schlechten Umfragewerte? Nicht unbedingt mit Macheten und Äxten, gerade wenn es um Angriffe aus den eigenen Reihen, wenn es um die Machtfrage in der CDU, in der Union geht?
Heckel: Na ja, auch dieser Punkt kommt ja periodisch immer wieder, dass sie auch intern angegriffen wird. Sie hat es bis jetzt immer überstanden, aber sie nähert sich natürlich schon einer Phase ihrer Kanzlerschaft, wo die Menschen auch sagen, och, noch mal? Weil sie einfach doch schon inzwischen jetzt elf Jahre regiert hat, jeder kennt sie, jeder sieht sie. Und manche sind ja offensichtlich auch überdrüssig geworden. Nichtsdestotrotz muss es zuerst mal einen Herausforderer geben oder eine Herausforderin, die momentan nicht absehbar ist, aber irgendwann wird diese Phase kommen. Das ist auch allen ihren Vorgängern so passiert bislang.
Welty: Wird Deutschland langsam Merkel-müde, so wie es 1998 Kohl-müde war?
Heckel: Kann schon sein, aber es gab damals natürlich einen großen Unterschied. Wir hatten damals einen Herausforderer, der im Gegensatz zu Helmut Kohl eben doch sehr jung, sehr frisch, sehr dynamisch rüberkam, nämlich Gerhard Schröder. Wir wissen ja noch nicht, erstens ob sie überhaupt antritt nächstes Jahr, zweitens wissen wir nicht, wer ihr Herausforderer wird. So wie es momentan aber aussieht, läuft ja doch alles auf Sigmar Gabriel, den SPD-Chef, hin. Das überlasse ich jetzt den Hörern und Hörerinnen, aber das ist natürlich eine andere Ausgangslage als damals der frische, junge, dynamische Gerhard Schröder.

Seehofer kämpft für die CSU-Alleinregierung in Bayern

Welty: Wo Sie die Große Koalition ansprechen: Merkel führt ja eine solche, in der die anderen teilnehmenden Parteichefs ja jetzt nicht gerade unter mangelndem Selbstbewusstsein leiden, Horst Seehofer bei der CSU und der schon erwähnte Sigmar Gabriel bei der SPD. Wie wird sich das Binnenverhältnis dieser drei jetzt verändern?
Heckel: Na gut, es wird noch schwieriger. Auf der anderen Seite, wann war es nicht schwierig jemals in diesem Dreierverhältnis? Also, klar, je näher wir an die Wahl kommen, desto stärker positioniert sich jeder. Ganz ehrlich, für die CSU ist die Frage, Mehrheiten zu bekommen und möglichst nahe oder überhaupt die stärkste Partei deutlich zu sein und möglichst nah an die 50 Prozent heranzukommen, ja noch viel mehr eine Überlebensfrage als für Angela Merkel.
Für Merkel ist, wenn sie denn antritt, klar, dass sie wieder in der Koalitionsregierung regieren wird. Für Horst Seehofer in München ist eine Koalition die große, große Katastrophe. Also, er hat in der Hinsicht sehr viel mehr zu verlieren, deswegen tritt er ja auch sehr viel lautstärker auf im Moment. Aber diese Spielereien, die momentan debattiert werden, ob er bundesweit Kanzler werden will, das hatten wir schon mal, das hat bis jetzt noch kein Bayer geschafft. Und es wäre sehr verwunderlich, wenn Horst Seehofer der erste wäre.
Welty: Die Merkel-Biografin Margaret Heckel hier in "Studio 9" nach einer Woche, die schlechte Umfragewerte für die Kanzlerin mit sich brachte. Ich danke für Ihre Einschätzung, Frau Heckel!
Heckel: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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