"Merkel hat sich extrem stark gezeigt"

Moderation: Julius Stucke · 12.08.2013
Viele Deutsche seien froh, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel sie bisher glimpflich durch die Euro-Krise manövriert habe, sagt die Schriftstellerin Jana Hensel. Die Autorin von "Zonenkinder" glaubt, dass der Wunsch nach Kontinuität im Land groß ist.
Julius Stucke: "Das Wir entscheidet" – so plakatiert die SPD gerade. Nun, erst mal müssen wir uns entscheiden, also wir als Wähler. Für wen machen wir am 22. September unser Kreuz? Was steht dabei zur Wahl? Es scheint, als seien das weniger die Themen, weniger der Wettstreit der Parteien um die richtige Politik für die Zukunft, weniger die großen Fragen, über die man sich auch mal mit klaren Positionen streiten kann, sondern vielmehr die handelnden Personen.

Ein SPD-Kandidat Steinbrück, der vor allem durch verzweifelte Versuche, aufzufallen, negativ auffällt, und eine Kanzlerin, die offenbar gar nicht so sehr als handelnde Person auffallen möchte. Man vertraut ihr sowieso. Von einem unendlichen persönlichen Vertrauen in die Kanzlerin sprach Gesine Schwan vor einer Woche an dieser Stelle in unserer Reihe zur Bundestagswahl. Ja, und wenn das Vertrauen so groß ist, warum dann über Themen streiten und wahlkämpfen? Was steht zur Wahl am 22. September? Darüber spreche ich mit Jana Hensel, stellvertretende Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag" und Autorin. Frau Hensel, guten Morgen.

Jana Hensel: Hallo, schönen guten Morgen.

Stucke: Die Opposition und, zugegeben, auch viele von uns Journalisten, werfen der Kanzlerin immer und immer wieder vor, sie habe kein Profil, sei nur die Mutti, die kein Prinzip hat außer vielleicht, anderen die Themen zu klauen und ihre Argumente zu neutralisieren. Aber trotzdem hat sie die Gunst der Wähler. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Hensel: Na ja, also, die Euro-Krise ist noch nicht ganz vorbei. Sie bestimmt nicht mehr die aktuellen News, aber Angela Merkel hat sich darin extrem stark gezeigt und profiliert verhalten. Sie gehört zu den mächtigsten Politikern dieser Welt und wir befinden uns im Windschatten dieser Euro-Krise und wir sind, also ich glaube, viele Deutsche sind froh, dass Angela Merkel uns da durchmanövriert hat. Wir sehen immer noch die krisenhaften Zustände in Italien, in Griechenland, in Spanien. Und wir sind über unsere eigene Kontinuität, die mit dem Namen Angela Merkel verbunden ist, glaube ich, sehr froh.

Stucke: Aber hat die Kanzlerin da denn auch inhaltlich die richtigen Antworten? Sie sagen, sie hat uns durch die Euro-Krise durchmanövriert. Nun gibt es aber auch nicht wenige, die sagen, was da wirklich auf uns zukommt, das bekommen wir erst nach der Wahl aufgetischt.

Hensel: Na ja, das Problem bei dieser Euro-Krise, und ich glaube, das ist auch das Entscheidende jetzt im Wahlkampf, dass die großen Themen fehlen, weil die Euro-Krise eines der großen Themen wäre, ist, dass es eigentlich niemand so richtig verstanden hat. Weder die Wähler noch, dass man wirklich das Gefühl hat, die Politiker haben diese Euro-Krise verstanden. Aber Deutschland ist in einer sehr guten Situation, die Arbeitslosigkeit geht zurück, die Wirtschaft wächst, viele Leute kommen nach Deutschland, wollen hier leben. Und das ist, glaube ich, das Entscheidende, dass das Vertrauen, dass die Leute eben ihr vertrauen, dass sie uns da durchgebracht hat.

Stucke: Das klingt aber schon alles ziemlich nach Wohlfühlen. Gibt es denn nichts, wofür man streiten sollte, wo Sie sagen, das wäre ein Thema, was in einem Wahlkampf jetzt unbedingt auf den Tisch muss?

Hensel: Also, wie gesagt, diese Krise ist noch nicht so lange her, sie ist auch noch nicht wirklich vorbei und sie hat die Leute sehr beschäftigt. Dann haben wir große Krisenherde im Moment in der Welt. Wir gucken nach Ägypten, wir gucken nach Syrien, wir haben die Aufstände im Gezi-Park in der Türkei gesehen. Also es tut sich jede Menge in der Welt und ich glaube, dass so manches innenpolitische Thema, gleichwohl es relevant ist, also zum Beispiel, wie die Energiewende, wie die Pkw-Maut, wie die Mietsteigerung, wie den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz – das sind alles relevante Themen, aber die verblassen doch sehr vor dem Hintergrund dessen, was sich weltweit im Moment tut. Und ehrlich gesagt, das ist auch ganz in Ordnung. Ich finde, es ist nicht im Moment die Zeit, um über diese – also diese Themen müssen geklärt werden, aber die dringen eben nicht durch, und ja, irgendwie ist das auch in Ordnung. Ein bisschen demütig.

Stucke: Die Journalistin und Autorin Jana Hensel. Frau Hensel, "Zonenkinder" hieß Ihr Buch, das Sie vor rund elf Jahren veröffentlicht haben. Da geht es um die Erfahrungen der DDR-Jugend, auch die eigenen persönlichen Erfahrungen mit der Anpassung an die westdeutsche Gesellschaft. Mittlerweile sind Sie und mittlerweile sind die Zonenkinder erwachsen geworden. Haben Sie dennoch ganz eigene Forderungen an Politik? Oder, mal andersherum gefragt, müsste es heute noch eine Politik für die Menschen im Osten geben?

Hensel: Die Situation im Osten hat sich auch stabilisiert, wenngleich auf einem sehr viel niedrigeren Niveau als im Westen. Leider sind, gerade aus meiner Generation sind die jungen Leute aus dem Osten in den Westen gegangen. Aber die Städte wachsen, die urbanen Zentren wie Jena, wie Leipzig, wie Dresden, wie Potsdam, die stabilisieren sich und so haben sich die Leute ein bisschen, glaube ich, eingefunden in ihrer Wirklichkeit, in ihrer Realität. Große politische Forderungen hätte man, glaube ich, so vor zehn Jahren stellen müssen. Jetzt ist das ein bisschen vorbei und, ehrlich gesagt, auch das ist ganz gut so.

Jana Hensel
Jana Hensel© dpa / picture alliance / Ingo Wagner
"Osten gerät in eine Vorreiterrolle"
Stucke: Also Sie würden sagen, die Einheit ist vollendet, da gibt es nichts mehr zu tun?

Hensel: Nein, es gibt noch jede Menge Unterschiede, und ich glaube, es würde eher darin – man müsste eher den Leuten noch klarer machen, wie groß die Unterschiede in den Einkommensverhältnissen, in den Vermögensverhältnissen, in den Geschlechterverhältnissen zwischen Ost und West noch immer sind. Das sind große Themen. Und wir sehen eben auch an aktuellen Debatten, wie eben Familiendebatten, wie die Debatte um den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz – das Interessante ist ja, dass der Osten da wirklich in eine Vorreiterrolle gerät. Wir sehen, wie große Mühen die westdeutschen Kommunen und Länder haben, diese Kita-Plätze zur Verfügung zu stellen, während sie im Osten eigentlich flächendeckend schon angeboten und auch nachgefragt werden.

Stucke: Aber wirtschaftlich geht es dem Osten immer noch schlechter. Also dann wäre das doch zum Beispiel so ein klassisches Streitthema für die Innenpolitik, oder?

Hensel: Ja, aber auch da wissen wir ja, dass in den letzten 20 Jahren sehr, sehr viel gemacht wurde, sehr viel gefördert wurde, sehr viele Subventionen verteilt wurden, und so richtig hat es nichts gebracht. Ich glaube, das ist auch nicht wirklich ein zündendes und brisantes Thema für einen Wahlkampf. Aber ganz ehrlich, weil Sie das in Ihrer Anmoderation so ein bisschen – na ja, nicht negativ, aber so ein bisschen kritisch setzten – wissen Sie, ich glaube ja, so ein Wahlkampf, der ist für uns Journalisten wichtig, und vielleicht interessiert er auch manchen Wähler. Aber ich glaube, die Leute gucken sich ganz genau an, was die Politiker während ihrer Legislaturperiode tun, was sie machen, wenn sie im Amt sind. Und Angela Merkel ist seit acht Jahren im Amt, wahrscheinlich braucht die gar keinen Wahlkampf.

Stucke: Was steht zur Wahl? In unserer Reihe zur Bundestagswahl am 22. September war das die Journalistin Jana Hensel. Frau Hensel, danke und einen schönen Tag für Sie!

Hensel: Ihnen auch, danke! Tschüss!

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