Der Livestream zum Gespräch der vier YouTuber mit Kanzlerin Merkel findet am Mittwoch ab 13:30 Uhr statt. Sie können es hier ansehen.
Polit-Blogger Tilo Jung kritisiert Auswahl der Interviewer
Heute trifft sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit vier YouTubern zum einstündigen Gespräch - das live im Internet übertragen wird. Polit-Blogger Tilo Jung ist skeptisch, was dabei herauskommen wird.
Unter dem Schlagwort #DeineWahl diskutiert Angela Merkel mit den vier YouTubern MrWissen2go, ItsColeslaw , AlexiBexi und Ischtar Isik . Das Kanzleramt setzt im Wahlkampf auf deren Reichweite im Internet, denn die vier Interviewer haben zusammen rund drei Millionen Abonnenten. Sie sollen mit Merkel über "Themen von gesellschaftlicher und persönlicher Relevanz" diskutieren. Bereits 2015 traf sich die Kanzlerin mit LeFloid, einem der führenden Vlogger in Deutschland. Das halbstündige Gespräch wurde damals aufgezeichnet und nach einiger Kritik an der Qualität des Interviews breit diskutiert.
Mangelnde Interview-Erfahrung
"Ich habe da nicht so große Erwartungen", sagte der Polit-Blogger Tilo Jung, der für sein Portal "Jung und Naiv" regelmäßig Politiker-Interviews führt und seit Jahren bei Anfragen nach einem Merkel-Interview nur Absagen kassiert. "Das Problem ist natürlich, dass, glaube ich, alle vier keine Interview-Erfahrung haben und das ist das gleiche Problem wie bei LeFloid." Das sei vermutlich ein Grund dafür, warum diese YouTuber ausgewählt worden seien. Jung räumte aber ein, dass man auf diese Weise Menschen erreiche, die sich sonst nicht für Politik interessierten.
Jung kassierte selbst Absagen von Merkel
Es wäre ganz etwas anderes, wenn sie sich mit YouTubern treffen würde, die mit Interviews Erfahrung hätten und sich mit Politik beschäftigten, sagte Jung. "Es ist ja nicht so, dass sie sich mit mir hätte treffen müssen, aber ich wäre ja einer gewesen, der politische Interviews seit Jahren führt und das erfolgreich auf YouTube." Jung sagte, Merkel habe ihm noch nie eine Interviewanfrage positiv beantwortet.
Vertane Chance für Schulz
Auch aus dem Team des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz habe er bisher nur Absagen bekommen. "Fast jede Woche frage ich naiv nochmal nach." Gerade jetzt wäre es eine Chance für Schulz gewesen, parallel zum Merkel-Interview mit den vier YouTubern mit einen politischen YouTuber zu sprechen und gegenzusteuern. "Das Team Schulz hat dankend abgelehnt", sagte Jung. Er habe im letzten Bundestagswahlkampf vor vier Jahren noch mit dem damaligen SPD-Kandidaten Peer Steinbrück gesprochen.
Beauty-Tipps für Frau Merkel
Trotz seiner Bedenken will Jung das Merkel-Interview ansehen, wenn auch nicht live. "Ich erhoffe mir ja, dass diese eine Beauty-Bloggerin einfach das macht, dass sie kann, nämlich über Beauty reden und und (...) ein Makeup für Frau Merkel findet.", sagte der Polit-Blogger.
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Angela Merkel stellt sich heute live im Internet den Fragen von Alexander Böhm, Ischtar Isic, Lisa-Sophie und Mirko Drotschmann alias Mr. Wissen2Go. Vielleicht sagt Ihnen keiner dieser vier Namen etwas, aber diese vier haben bei YouTube zusammen mit ihren vier verschiedenen YouTube-Kanälen drei Millionen Abonnenten, deshalb redet Angela Merkel mit ihnen, und ich hab deshalb mit Tilo geredet, dem Macher des YouTube-Kanals "Jung und naiv".
Da gibt es inzwischen 3187 Folgen von Interviews mit Politikern und Menschen, die mit Politik zu tun haben, darüber hinaus viele Ausschnitte aus der Bundespressekonferenz, wo Tilo Jung regelmäßig Fragen stellt, die vor allen Dingen den Merkel-Sprecher Steffen Seibert in den Wahnsinn treiben. Ich habe Tilo Jung gefragt, was er sich eigentlich von dem Vierfach-YouTube-Interview mit Angela Merkel heute verspricht.
Tilo Jung: Ich hab da jetzt nicht so große Erwartungen. Auf der anderen Seite werde ich dann auch nicht enttäuscht.
Kassel: Aber es ist ja insofern nicht brandneu, weil ja ein einzelner, LeFloid, der diesmal nicht dabei ist, das schon mal gemacht hat mit Angela Merkel, und die Reaktionen damals waren, sagen wir mal, irgendwas zwischen schwerer inhaltlicher Kritik und Häme. Glauben Sie vielleicht, haben die vier, die es diesmal machen, daraus was gelernt?
Jung: Ich bezweifle es, weil das Problem natürlich ist, dass, glaube ich, alle vier keine Interviewerfahrungen haben. Und das ist das gleiche Problem wie bei LeFloid. Der hat damals, obwohl er schon Hunderte, wahrscheinlich Tausende Videos gemacht hat und Millionen Abonnenten gesammelt hat, vorher noch nie ein Interview geführt, und das hat man damals schon gemerkt. Und ich weiß nicht, ich wüsste es jedenfalls nicht, dass einer von den Vieren schon Interviewerfahrung hatte. Und das ist natürlich auch ein Grund, warum sie vielleicht ausgewählt wurden.
Kassel: Ist es nicht vielleicht ein bisschen einfacher? In allen offiziellen Erklärungen, auch vom Kanzleramt, wird immer erwähnt, dass alle vier zusammengerechnet drei Millionen YouTube-Abonnenten haben. Ging es nicht vielleicht nur darum zu sagen, ich will die größte Reichweite, die ich in dem Medium kriegen kann?
Jung: Ja, absolut. Das mache ich jetzt Herrn Seibert und Frau Merkel auch nicht zum Vorwurf. Die haben das natürlich schlau gemacht, haben sich möglichst unterschiedliche YouTuber auch noch geschnappt. Der eine erzählt was über die Geschichte, die andere macht ihr Leben zum Thema, die andere gibt Beauty-Tipps. Das macht wahrscheinlich schon Sinn. Ich weiß nur nicht, was das für einen Sinn macht für eine Angela Merkel beziehungsweise für einen Talk, wenn es um Wahlkampf geht, um politische Themen, um die Zukunft des Landes.
Dann könnte Merkel auch zu RTL gehen
Kassel: Liegt darin nicht auch eine Chance, nämlich die Chance, dass das eben auch Leute sehen, die sich bewusst und absichtlich einen politischen YouTube-Channel oder einen Podcast nie ansehen würden?
Jung: Das ist für mich die einzige Chance und das einzige relevante Argument, wo ich das durchgehen lassen würde. Ja, klar, man erreicht Menschen, die sich sonst überhaupt nicht für Politik interessieren. Das ist der einzige Vorteil. Nur, das Problem ist, nach der gleichen Logik könnte auch Frau Merkel sagen, ja, dann gehe ich bei RTL zu dem "Let's Dance"-Moderator, der interessiert sich ja sonst auch nicht und die Zuschauer von "Let's Dance" interessieren sich auch nicht für Politik. Aber von dem lass ich mich nicht interviewen, weil der wird wahrscheinlich nicht so krasse Fragen stellen wie Peter Klöppel.
Kassel: Die Idee der Kanzlerin dahinter ist ja, glaube ich, so komplex auch nicht. Die sagt sich natürlich, und es gibt auch Studien, die das belegen, es gibt eine relativ große Gruppe von prinzipiell wahlberechtigten Menschen, die kann ich mit Interviews in den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern, in den großen Zeitungen und auch in deren Onlineportalen und so weiter, und so fort, einfach nicht erreichen. Das ist erstmal ein logischer Schluss. Aber ist auch die Fortsetzung des Schlusses, zu sagen, über YouTube kann ich wirklich politische Inhalte in so einem Interview transportieren. Ist dieses Schlussfolgerung auch logisch und richtig.
Jung: Die wäre richtig, wenn sie sich halt mit YouTubern treffen würde oder sich von irgendwelchen interviewen lassen würde, die erstens Interviewerfahrung haben und zweitens sich auch mit Politik hauptsächlich beschäftigen. Und das hat sie sich ja jetzt nicht ausgesucht. Ich meine, es ist ja nicht so, dass sie sich mit mir hätte treffen müssen, aber ich wäre einer gewesen, der politische Interviews seit Jahren führt, und das erfolgreich auf YouTube. Frau Merkel hat mir noch nie irgendeine Interviewanfrage positiv – also darauf hat sie noch nie positiv geantwortet.
Absage vom Team Schulz
Kassel: Aber, Herr Jung, es gibt ja noch einen anderen, man vergisst es inzwischen leicht, aber offiziell hat auch die SPD ja einen Kanzlerkandidaten. Wäre das nicht für den eine Chance? Haben Sie zum Beispiel die Idee mal gehabt, da mal sein Team gefragt, dass der sagt, okay, Angela Merkel traut sich nicht zu den politischen YouTubern. Ich schon. Ich gehe zu Tilo Jung.
Jung: Wir haben mit Martin Schulz, glaube ich, seitdem er im Januar Kanzlerkandidat ist, Kontakt mit seinem Team und versuchen ständig, ich versuche es immer noch, also fast jede Woche frage ich immer noch naiv noch mal nach. Und gerade jetzt, wo Frau Merkel ja mit vier YouTubern redet, die eigentlich nie was mit Politik machen, darüber reden und so weiter – wäre das nicht eine Chance für Martin Schulz, am selben Tag zum Beispiel mit einem YouTuber zu reden, der ständig über Politik redet, der auch über hunderttausend Abonnenten hat?
Wäre das nicht ein Zeichen für Martin Schulz gewesen, da mal gegenzusteuern, zu sagen, ja, wenn die Kanzlerin mit ihnen drüber redet, dann rede ich auch mit einem, aber der weiß auch, wovon er redet. Und das Team Schulz hat dankend abgelehnt. Ich habe ja vor vier Jahren auch mit Peer Steinbrück geredet, als der Kanzlerkandidat war. Team Schulz hat sich jetzt gedacht – also wörtlich ist es, ja, wenn Frau Merkel Ihnen kein Interview gibt, dann geben wir Ihnen auch keins. Wenn Frau Merkel Ihnen eins gibt, bekommen Sie auch eins.
Kassel: Aus Ihrer eigenen Erfahrung, Sie machen das ja schon eine ganze Weile. Sie sind jetzt, was die Gespräche mit Politikern und anderen Prominenten angeht, bei weit über 300 Folgen. Die 318 war gerade Ihr Gespräch mit Alexander Gauland. Ich weiß nicht, wie viele Clips im Internet existieren von interessanten und oft auch sehr lustigen Gesprächen mit Steffen Seibert in der Bundespressekonferenz. Nach all diesen Erfahrungen, Herr Jung, glauben Sie wirklich noch daran, dass man als Befrager, ob man nun Journalist ist oder nicht, einen erfahrenen Politiker oder Politikerin wirklich dazu kriegen kann, etwas zu sagen, was er oder sie gar nicht sagen will?
Jung: Wenn ich das nicht mehr glauben würde, dann würde ich meine Serie aufgeben. Doch, daran glaube ich jedes Mal. Das mag ja sogar naiv sein, aber ich glaube, das ist eine der Grundvoraussetzungen, um neugierig und auch hoffnungsfroh an ein Interview heranzugehen. Und das mache ich jedes Mal. Ob das am Ende gelingt, ist immer eine andere Frage, weil es gehören immer zwei zum Tango. Aber das ist doch die Grundvoraussetzung.
Interesse an Clips
Kassel: Es gehören ja eigentlich sogar drei zum Tango, obwohl dann das Bild nicht mehr stimmt. Sie brauchen ja auch die Zuschauer, die sich darauf einlassen. Sie sind relativ bekannt geworden im Internet, aber ich bin mal ehrlich, wie ich Sie meistens erlebe, nämlich in ganz kurzen Ausschnitten aus dem, was Sie machen. Irgendein Kram, den meine Facebook-Freunde posten, in der Regel so 30 Sekunden, eine Minute. Und auch wenn Sie – und ich weiß es und ich glaube es Ihnen – sich ja bemühen, auf Ihre Art und Weise seriöse Informationen auch zu transportieren und wirklich Menschen Politik und die Denkweisen von Politikern nahezubringen – die Leute wollen doch eigentlich immer das sehen, was lustig ist. Die interessieren sich doch am meisten für den Moment, wo einer schweigt ob Ihrer Frage, oder wo Sie beide anfangen zu lachen. Ist das nicht das Problem? Ist es wirklich möglich, Politik echt zu transportieren im Internet?
Jung: Ich glaube, das ist genauso möglich wie im Rundfunk, in der Presse. Das ist auf jeden Fall möglich. Und ich stimme Ihnen da zu, dass die allermeisten sich kurze Clips angucken, und am besten müssen die in irgendeiner Weise unterhaltsam sein. Aber so hat es ja bei jedem angefangen von uns, ich meine, ich weiß auch, dass es irgendeinen Moment gab früher, als ich politisch aktiv wurde. Das war wahrscheinlich auch irgendwie eine Minute, wo ich auf einmal was erkannt habe, was mich zum politischen Interesse geführt hat.
Also ich finde, das ist nur der Anfang, und wir teilen ja diese kurzen Clips immer nur als eine Art Vorschau, hey, hier habt ihr was Kurzes, und wenn euch das in Gänze interessiert, hier ist das komplette Interview mit diesem Politiker, Sie haben gerade das mit Herrn Gauland das Interview angesprochen. Das ist fast zwei Stunden gegangen. Ich finde, dann lieber auf die zwei Minuten setzen, und dann hoffen, für diejenigen, die sich erstmal nicht dafür interessieren, dass man sie dafür interessiert.
Kassel: Hat Frau Merkel und ihr Stab ja auch mit bedacht. Darf ja jeder nur zehn Minuten von den Vieren. Aber gucken werden Sie es schon, also so groß ist die Neugier schon? Sie sagen nicht, das finde ich so doof, das geht mir doch hinten rum vorbei?
Jung: Ich werde es jetzt nicht live gucken heute, aber natürlich interessiert mich das, klar. Ich meine, ich erhoffe mir ja, dass diese eine Beauty-Bloggerin einfach das macht, was sie kann, nämlich über Beauty reden und (...) ein Makeup für Frau Merkel findet.
Kassel: Wenn Sie es genauso machen wollen, wie Tilo Jung, der Macher des Blogs und YouTube-Kanals "Jung und naiv" – Sie können das Vierfachinterview der vier anderen Blogger und YouTube-Stars mit Angela Merkel heute live im Internet sehen um 13:30 Uhr auf dem Kanal "Deine Wahl".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.