Merkel durch Plutonium umgepolt

Thomas Frickel im Gespräch mit Susanne Burg · 23.04.2011
Der Rüsselsheimer Filmemacher Thomas Frickel schickt einen tapsigen Reporter durchs Land, um das Verhältnis der Deutschen zum Mond auszuloten. Dabei gerät er tief in den Sumpf der Esoterikszene und ihrer teils recht "braunen" Denk- und Glaubenssätze.
Susanne Burg: Herr Fricke, "Die Mondverschwörung" ist eine Fortsetzung, 1997 ist Dennis Mascarena für Ihren Film "Deckname Dennis" schon mal durch Deutschland gefahren. Was hat Sie denn gereizt, Dennis Mascarena noch mal loszuschicken?

Thomas Frickel: Ja, der Film 1995, der 1997 im Kino ausgewertet wurde und bis heute immer mal wieder auftaucht, war ja eine satirische Deutschlandreise unter dem Aspekt, mal herauszufinden, wie die Deutschen so 50 Jahre nach Kriegsende drauf sind, ob man mit ihnen was anfangen kann in der Weltpolitik. Und ich dachte dann, dass nach einem Abstand von mehr als zehn Jahren es gut sein kann, noch mal zu schauen, ob sich da in der Zwischenzeit was verändert hat.

Und war die These damals, dass die politische Auseinandersetzung sich nicht mehr zwischen Links und Rechts, zwischen Ost und West scheidet, sondern dass die Gesellschaft sich langsam auflöst und Kleingruppen, die dann miteinander kämpfen – also Autofahrer gegen Radfahrer und Metzger gegen Vegetarier und Männer gegen Frauen –, so ist mit dem Abstand von weiteren zehn Jahren festzustellen, dass es einen Zug in die Innerlichkeit gibt, also es gibt jetzt solche Gruppen eigentlich gar nicht mehr, sondern die Leute versuchen jetzt, aus sich selbst heraus die Wahrheit und den richtigen Weg zu finden, diesen esoterischen Weg.

Das ist natürlich eine satirische Zuspitzung, in der Gesellschaft geht es nicht überall so, aber es ist schon erkennbar, dass in Zeiten einer starken Verunsicherung, auch in Krisenzeiten, der Zuwachs solcher Ideen stärker wird, und das war so der Ausgangspunkt, da noch mal nachzufragen.

Burg: Nun ist ja Dennis Mascarena derjenige, der die Menschen zum Sprechen bringt, er wirkt ein bisschen wie ein harmloser Bär, ein bisschen wie Michael Moore. War das denn auch der Trick, also dieses harmlose, so teilweise auch etwas naive Fragen, um die Leute zum Reden zu bringen?

Frickel: Nein, das ist ja kein Trick. Das ist er, so wie er auftritt. Er ist ja niemand, der jetzt versucht, den Leuten vor laufender Kamera eine Falle zu stellen oder sie vom Gegenteil dessen zu überzeugen, was sie da gerade vertreten, sondern er lässt sie einfach reden, er hört ihnen zu …

Burg: … aber er macht sich auch schon ein bisschen dümmer, als er eigentlich ist.

Frickel: Ja, es ist ein Zuhören, sagen wir mal, und er unterbricht die Leute wenig, fragt nur nach und es ist, würde ich mal sagen, erst mal ein wirkliches Interesse, was da aus dem Menschen rauskommt. Und das ist glaube ich auch der Unterschied übrigens auch zu Michael Moore, der ja doch versucht, die Leute da irgendwo festzulegen oder in die Enge zu treiben.

Das macht Dennis ja überhaupt nicht. Die Gespräche haben alle sehr lange gedauert, wir haben manchmal eine Stunde, manchmal anderthalb Stunden, zwei Stunden da gesessen und Aufnahmen gemacht, und natürlich habe ich im Schnitt das dann pointiert, aber es sind schon die wesentlichen Dinge, die die Leute auch so gesagt haben. Und das schließt natürlich die Menschen auch auf und das ist eine richtige Gesprächsatmosphäre.

Burg: Wie wichtig war es denn dabei, dass Dennis Mascarena Amerikaner ist, der durch Deutschland reist?

Frickel: Also in zweierlei Hinsicht ist das sicher bedeutsam: Zum einen ist er als Amerikaner ja schon einiges gewöhnt, wir lächeln ja manchmal darüber, was es für unmögliche Dinge in den USA gibt, und jetzt kommt da jemand aus Amerika und hält uns selbst mal den Spiegel vor und zeigt mal, wie es bei uns so zugeht. Und zum anderen ist es so, dass natürlich Dinge, die da geäußert werden – und der Film, das ist ja schon angedeutet worden, landet dann zum Schluss bei Verschwörungstheoretikern aus dem rechtsesoterischen Spektrum. Da unterstellen die Leute schon, dass sie einem Amerikaner ein bisschen mehr sagen können als einem Deutschen, weil dort alle möglichen Absonderlichkeiten ja gewissermaßen zur Folklore gehören. Und als Drittes ist natürlich noch wichtig, Dennis ist ja nicht nur Amerikaner, sondern er legt Wert darauf, dass sein Vater Sioux-Indianer war, und dass er deshalb so was Stoisches hat. Also er sitzt da immer und hört sich das alles an, wo wir wahrscheinlich unruhig auf dem Sitz hin und her rutschen würden und würden sagen, ich halte das jetzt nicht mehr aus, ich muss jetzt mal was dagegen sagen. Das macht er nicht, er sitzt und hört zu.

Burg: Ja greifen wir mal eine solche Aussage einer Frau heraus, also Brigitte Schlabitz. Sie sitzt auf ihrem Sofa, zusammen mit Dennis Mascarena, schwenkt einen geschliffenen Kristall, behauptet, sie habe genau gemessen, dass Angela Merkel früher eindeutig dem Germanentum zuzurechnen war, dass sie nach einem USA-Besuch aber Plutonium aufwies. Wobei man wissen muss, dass in der Theorie von Frau Schlabitz Juden Plutonium in sich tragen. Sie führt dann noch völlig ernsthaft aus, dass eigentlich die ganze Welt davor steht, umgepolt zu werden. Herr Fricke, wie braun ist die Esoterikszene eigentlich und wie verquickt ist sie mit der rechtsextremen Szene?

Frickel: Ja, das ist eine schwierige Frage, ich würde das jetzt erst mal nicht generalisieren oder pauschalisieren. Das tut der Film übrigens auch nicht. Wenn es überhaupt so etwas gibt wie ein esoterisches Dogma, dann ist das ein Satz, der in dem Film zweimal erscheint: Alles hängt mit allem zusammen. Und die These des Films, die sicher ein bisschen zugespitzt ist, ist natürlich, wenn man an irgendeiner Stelle den Bereich des Rationalen, also den Bereich der Aufklärung hinter sich lässt und eintaucht in Welten, die irrational sind und die nicht mehr messbar, nicht mehr erklärbar sind, dann kann es natürlich passieren, dass man die Orientierung verliert. Dann geht man noch ein Stück weiter und dann kommt man wieder in andere Bereiche rein, und zum Schluss hat man sich so verstrickt, dass man den Ausweg nicht mehr finden kann. Und das ist in der Tat so, dass da anscheinend einige Leute gelandet sind.

Das ist aber nur das eine. Das andere ist, dass der deutsche Faschismus – und das ist ja auch mehrfach publiziert worden in den verschiedensten Untersuchungen – durchaus esoterische Wurzeln hat. Also die SS beispielsweise hat sich ja als ein Orden verstanden, der sich ganz gezielt auf altgermanische Traditionen berufen hat, der altgermanische Symbole verwendet hat, und die nationalsozialistische Rassenideologie stammt zumindest zu einem Teil mit Sicherheit aus der Idee und der Lehre von den Wurzelrassen, die die Theosophie von Frau Blavatsky entwickelt hat um 1880, 1890 war das.

Diese Idee ist in Deutschland mehrfach aufgegriffen worden und unter anderem von einer Strömung, die sich Ariosophie nannte dann, die Guido-von-List-Gesellschaft gab es, die dann versucht hat, diese Lehre von den Wurzelrassen, wo die Arier ganz oben stehen in der Hierarchie als die am weitesten entwickelte Rasse. Und diese Idee ist eingegangen praktisch in diese quasi schon Vergöttlichung des Ariers, in diesen Arierglauben und in diesen Rassenwahn. Diese Dinge sind drin in dem Film.

Es wird jetzt nicht mit erhobenem Zeigefinger argumentiert oder darauf gezeigt, der Film ist auch gar nicht argumentativ, wir zeigen und überlassen dem Zuschauer selbst, diese Schlüsse zu ziehen, aber es ist ganz gut, diese Hintergründe zu kennen. Und man muss dazu sagen, dass Leute, die diese Szene ein bisschen beobachten, sagen, es gibt wahnsinnig viel esoterische Literatur in Deutschland, jedes Jahr erscheint eine ganze Reihe von neuen Titeln, der Börsenverein des deutschen Buchhandels rechnet ungefähr ein Fünftel, also 20 Prozent der jährlichen Neuerscheinungen in deutscher Sprache diesem Segment zu.

Und Leute, die die Szene beobachten, vonseiten des Verfassungsschutzes oder Sektenbeauftragte und so, sagen, sie greifen immer häufiger wahllos in das Regal mit esoterischer Literatur und finden dort Dinge, die bedenkliche Inhalte haben, wenn man da demokratische Maßstäbe anlegt, und zum Teil auch Dinge, die manifest rechtsextrem genannt werden müssen, und einige dieser Bücher sind auch schon indiziert worden. Es gibt da so eine Galionsfigur dieser Szene, einen Herrn Jan Udo Holey, der unter dem Pseudonym Jan van Helsing schon vor 15, 20 Jahren Bücher veröffentlicht hat, die dann auf den Index gesetzt wurden, weil sie eben volksverhetzende Inhalte haben.

Burg: Deutschlandradio Kultur, ich spreche mit dem Filmemacher Thomas Frickel über seinen neuen Dokumentarfilm "Die Mondverschwörung". Sie haben es eben schon erwähnt, ein Teil dieser Literatur ist wirklich voller rechtsextremer Gedanken. Welchen Anteil nimmt diese braune Szene denn innerhalb der Esoterikszene ein?

Frickel: Das kann ich schlecht beurteilen, aber es gibt Leute, die das beurteilen und sagen, es ist eine Tendenz zu erkennen, dass der Rechtsextremismus das auch nutzt als ein Mittel, Jugendliche, die vielleicht in diesem esoterischen Bereich affin sind, auch für eigene Ziele zu gewinnen. Es gibt natürlich immer auch beispielsweise in diesen altgermanischen Zirkeln Leute, die sagen, das wollen wir nicht und dem setzen wir was entgegen, das muss man der Fairness halber an dieser Stelle natürlich sagen.

Trotzdem wirkt das natürlich auf Leute, die orientierungslos sind, die suchen, und da besteht schon eine gewisse Gefahr. Aber die besteht nicht mehr, wenn man das alles ein bisschen im Auge behält und auch da ab und zu mal hinschaut. Und das war auch mit unser Anliegen, dass wir mal in einen Bereich schauen, der parallel zu unserer empfundenen Wirklichkeit existiert und den wir gar nicht sehen im Alltag. Also es ist wirklich eine zweite Welt, eine Parallelwelt, Sie sitzen da und reden mit jemandem, der ganz normal sich mit Ihnen unterhält, und plötzlich klickt da irgendwo ein Schalter um und er ist wo ganz anders und ist auch gar nicht mehr erreichbar.

Weil diese Parallelwelt der Verschwörungstheorien oder der Esoterik ist für diese Menschen natürlich genau so real. Also diese ganzen Dinge, die auf einer feinstofflichen, wissenschaftlich nicht nachweisbaren, nicht messbaren Ebene existieren, sind für die Menschen Wirklichkeit und auch Wahrheit. Und das ist mit ein Grund, weshalb sie sich ja auch äußern, weil sie wollen, dass diese Wahrheit auch anderen mitgeteilt wird.

Burg: Wir sehen ja Deutschland auch durch die Augen des amerikanischen Reporters. Ist der Film eigentlich auch eine ethnologische oder ethnographische Studie Deutschlands?

Frickel: Ja, wobei ich da sagen würde, sicher auf einer satirischen Ebene. Also der Vorgängerfilm, "Deckname Dennis", war das auch schon und es haben hier im Land einige Leute da die Nase gerümpft und gesagt, das kann man doch unmöglich im Ausland zeigen, was kriegen denn die Leute für ein Deutschlandbild, das ist ja völlig verzerrt. Und dann musste ich zum Beispiel damals die Filmbewertungsstelle mithilfe von Gero von Wilperts "Sachwörterbuch der Literatur" belehren, dass das gerade ein Wesensmerkmal der Satire ist, dass sie eben überzeichnet und verzerrt.

Aber ich habe diesen Film damals vorgeführt im Ausland, auch in Israel, in den USA, in San Francisco, in Toronto, in Amsterdam, und ich hatte nirgendwo den Eindruck, dass dieser Aspekt nicht verstanden wird, dass das also schon klar wurde, dass es zwar diese Strömung gibt in Deutschland, aber dass sie weit davon entfernt sind – oder hoffentlich weit davon entfernt sind –, zur Massenbewegung zu werden.

Burg: Herzlichen Dank, Thomas Fricke! Er ist seit Donnerstag mit seinem Film "Die Mondverschwörung" auf Kinotour durch Deutschland, und unter www.mondverschwoerung.de können Sie sehen, wann der Film auch bei Ihnen in der Nähe zu sehen sein wird. Herzlichen Dank!