Mercedes Rosende: "Krokodilstränen"

Die Unglücklichen von Montevideo

Mercedes Rosende: "Krokodilstränen"
Hinreißender Kriminalroman: "Krokodilstränen" der uruguayischen Schriftstellerin Mercedes Rosende © picture-alliance / Uwe S. Meschede; Unionsverlag
Von Sonja Hartl · 28.09.2018
Witzig, prall, clever: In "Krokodilstränen", einem Kriminalroman aus Uruguay, geraten ein paar glücklose Typen aneinander und überfallen einen Geldtransporter. Bestechend sind die Erzählkunst der Autorin Mercedes Rosende und ihr Talent für Komik.
Eine Gruppe von Menschen überfällt einen Geldtransporter – das ist üblicherweise Ausgangspunkt eines cleveren Heist-Romans, ein Subgenre der Kriminalliteratur, für das es keine adäquate deutsche Übersetzung gibt. In "Krokodilstränen" von Mercedes Rosende ist dieser Überfall indes der Gipfel einer Reihe von Verwicklungen voller Gesellschaftskritik und Komik.
Alles beginnt mit einer Reihe Besuchern vor einem Gefängnis in Uruguay, die in langen Reihen auf Einlass warten. "Müde sind sie. Vom frühen Aufstehen, von der Fahrt, vom Warten." Auch Germán wartet. Er sitzt im Gefängnis, seit er von seinem Komplizen bei einer Entführung verraten wurde und wartet nun auf seinen Anwalt, den aalglatten, gerissenen und sehr gläubigen Doktor Antinucci, der niemals vor dem Gefängnis warten oder eine erniedrigende Einlasskontrolle über sich ergehen lassen muss. Von ihm erfährt der wenig begabte Kriminelle Germán nun, dass die Frau des Opfers ausgesagt habe, er habe sie weder bedroht noch Geld verlangt. Eine Lüge – und Germán ist verwundert. Aber er denkt erst einmal nicht weiter darüber nach. Ebenso schiebt er den Gedanken, dass Doktor Antinucci demnächst einen Gefallen einfordern wird, weit von sich. Doch das rächt sich: Durch Antinucci gerät er an den psychopathischen Kriminellen El Roto, der plant, einen Geldtransporter zu überfallen. Und damit ist Germán in seiner Schlichtheit überfordert.

Wundervolle Frauenfiguren

Hieraus könnte sich nun eine Verlierergeschichte entwickeln, aber Mercedes Rosende spielt zu clever mit verschiedenen Genreelementen und fügt diesem hinreißenden Kriminalroman noch zwei wundervolle Frauenfiguren hinzu: Da ist Úrsula Lopez, einst ein "verschüchtertes junges Mädchen", das von ihrem Vater tagelang im dunklen Zimmer zur Strafe eingesperrt wurde, wenn sie wieder am Kühlschrank erwischt wurde. Nun ist sie eine dicke erwachsene Frau und lebt allein in ihrer Wohnung. Aber Schatten ihres Vaters ist überlebensgroß, dazu kommt eine bestechende Mischung aus Grausamkeit und Selbsthass. Aber sie hat erkannt, dass sie ihr Glück selbst in die Hand nehmen muss und ist überzeugt, dass ihr das Leben eines Tages eine Chance geben wird. Und tatsächlich: Diese Gelegenheit kommt in Gestalt von Germán und dem Geldtransporterüberfall.
Die zweite Frau ist diejenige, bei der letztlich alle Handlungsstränge zusammenlaufen werden: die Polizistin Leonilda Lima. Von ihren männlichen Kollegen und Vorgesetzten wird sie herumgeschubst, aber sie ist weitaus klüger, kälter und hartnäckiger als diese vermuten. Außerdem stehen die Sterne günstig für sie – und so deckt sie letztlich auf, wie die Entführungen, Morde, gewalttätigen Angriffe, Fluchten und Überfälle in dem düsteren, verregneten Montevideo zusammenhängen. Damit wird aber nicht der Wunsch nach Gerechtigkeit oder Wiederherstellung bedient. Hier gilt, was Germán ganz am Anfang kurz dachte: "Die Schuldigen und Unschuldigen in dieser Geschichte sind nicht unbedingt die wirklichen Schuldigen und Unschuldigen."

Einblicke in die Gesellschaft

Es ist wahrlich eine wundervolle glücklose Truppe, die Mercedes Rosende in einem herrlich vergammelten und verranzten Montevideo aufeinandertreffen lässt. Die Perspektiven wechseln in diesem pointierten Roman, sie erlauben Einblicke in ganz verschiedene Lebensweisen und gesellschaftliche Gruppierungen. Dazu kommt eine wohl gesetzte Erzählstimme, die niemals kalt, aber doch mitleidslos von den Gescheiterten und Unglücklichen erzählt.
Mit "Krokodilstränen" schreibt sich Mercedes Rosende damit mühelos in eine Reihe mit Claudia Piñeiro, Patricia Melo und María Inés Krimer, die sich nicht weiter an großen lateinamerikanischen Autorenvorbilder wie Borges oder dem magischen Realismus abarbeiten, sondern einfach gute, witzige und pralle Kriminalromane schreiben.

Mercedes Rosende: Krokodilstränen
Aus dem Spanischen von Peter Kultzen
Unionsverlag, Zürich 2018
224 Seiten, 18 Euro

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