Menzel: Folgen des Prager Frühlings haben tschechische Filmwelt "zerstört"

Jiri Menzel im Gespräch mit Ulrike Timm · 17.03.2010
Der tschechische Regisseur Jiri Menzel erinnert sich an die Niederschlagung des Aufstandes in Prag - und an die Folgen für die Filmemacher. "Die Zensur war sehr schrecklich in dieser Zeit", sagte der Oscar-Preisträger.
Ulrike Timm: Er wollte immer Filme machen, die meine Mutter versteht und für die sich mein Vater nicht schämt. Solche Filme haben Jiri Menzel, 1938 geboren, den Oscar eingebracht - und Berufsverbot in den Jahren nach dem Prager Frühling.

Vielen Filmen von Jiri Menzel liegen Bücher des 1997 verstorbenen tschechischen Schriftstellers Bohumil Hrabal zugrunde, weshalb man beiden jetzt in Berlin eine Retrospektive im Doppelpack widmet. Gestern hat uns Jiri Menzel im Studio besucht. Das Gespräch, darüber, wie man Kritik in Komik verpackt und in einer Diktatur als Künstler die Nerven behält, dieses Gespräch hören Sie gleich.

Vorab ein kleines Porträt von Jörg Taszman über den tschechischen Regisseur. Die ersten Töne stammen aus seinem letzten Film, "Ich habe den englischen König bedient".

Jörg Taszman: Bittersüße Tragikomödien, in denen es in politisch verwirrten Zeiten immer um die Menschen, ihre Alltagskämpfe oder amouröse Verwicklungen geht, das ist die Filmwelt des Jiri Menzel. Vor drei Jahren lief der tschechische Regisseur mit seinem Comeback "Ich bediente den englischen König" wieder zu ganz großer Form auf.

Wie so oft in seiner Karriere verfilmte Menzel damit ein Buch seines langjährigen Freundes, des Schriftstellers Bohumil Hrabal. Film und Buch erzählen vom naiven Piccolo und Hilfskellner Jan Dite, der lernt, wie man sich durchs Leben schlawinert. Er hat ein Händchen für Frauen und Geld. Die große Politik kümmert ihn wenig.

Die amüsante und satirisch erzählte Geschichte vom Aufstieg und Fall eines unpolitischen Kellners, der sich in der faschistischen Diktatur hochdient und dafür von den Kommunisten als Mitläufer eingesperrt wird, ist der einzige Spielfilm, den Jiri Menzel seit 1993 drehte. Nicht immer meinten es die politischen oder wirtschaftlichen Veränderungen gut mit dem überzeugten Autorenfilmer mit dem Hang zum populären Kino.

Nach der samtenen Revolution 1989, als die politische Zensur wegfiel, aber ökonomische Zwänge hinzukamen, galten die Filme von Jiri Menzel plötzlich als altmodisch und zu teuer. In kommunistischen Zeiten dagegen war Menzel politisch angeeckt. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings wurde sein 1969 gedrehter Film "Lerchen am Faden" verboten.

In dieser weiteren Hrabal-Verfilmung geht es um bourgeoise Elemente, also Lehrer, Richter oder Kaufleute, die sich 1950 zur sozialistischen Umerziehung auf einer Schrotthalde bewähren dürfen. Dabei werden sie auch von Jungpionieren besucht.

Erst 1989, nach der politischen Wende in ganz Osteuropa, konnte "Lerchen am Faden" endlich uraufgeführt werden und gewann ein Jahr später den Goldenen Bären auf der Berlinale. Das ist nun genau 20 Jahre her.

Timm: Und jetzt ist Jiri Menzel unser Gast, gemeinsam mit seinem Übersetzer Stepan Benda. Herzlich willkommen!

Jiri Menzel: Guten Tag!

Timm: Herr Menzel, böser konnte der Kommentar über die verrosteten Strukturen nach der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 eigentlich nicht sein. Dieses Bild, Umerziehung und Bewährung, finden auf dem Schrottplatz statt. Bohumil Hrabal hat sich das seinerzeit ausgedacht, Sie haben es verfilmt. Haben Sie das sofort vor dem Auge gehabt, diese Besserungserziehung auf dem Schrottplatz? Hatten Sie gleich Bilder dafür?

Menzel: Nein, das ist nicht so einfach. Das Buch, ich habe das gelesen mehrere Jahre, bevor dass wir können diesen Film machen, weil das war in den mittleren 60er-Jahren. Und die Zensur war sehr schrecklich in dieser Zeit. Und erst im Frühling 68 ich dachte, das könnte der Film machen. Deshalb ich habe Herr Hrabal gefragt, und wir haben zusammen von diesem Buch gemacht.

Timm: Eigentlich musste Ihnen ja klar sein, das ist ein Film für den Giftschrank, dieses "Lerchen am Faden", Umerziehung auf dem Schrottplatz, oder fühlten Sie sich geschützt dadurch, dass Sie 1967/68 den Oscar erhalten hatten für den besten ausländischen Film?

Menzel: Nein, nein, das war im Frühling, kurz bevor die sowjetischen Panzer. Die Atmosphäre war so, dass wir haben immer das Möglichkeit, das Film (…).
Also wir haben den Film vorbereitet mehrere Monate vor der Besetzung der Tschechoslowakei im Jahre 1968, und dann haben sie noch lange geglaubt, dass diese Änderung, die danach kommt, doch nicht so sein wird, dass dieser Film nicht möglich sein wird.

Wir haben den Film Anfang des Jahres 69 gemacht. Also erst danach, also im Sommer 69, kam es zu diesem Wechsel in der Regierung, wo dann der Film nicht mehr möglich war.

Timm: Dann ist der Film 20 Jahre verschwunden. Er ist gezeigt worden nach der politischen Wende, nach 1989. War er da noch wie neu?

Menzel: Ja, das war sehr überraschend für mich. Wir haben den Film hier in Berlin gezeigt in dem Festival, und niemand hat geglaubt, dass Film ist 20 Jahre alt. Glücklicherweise ich war hier mit Hauptdarsteller, der hat natürlich nach 20 Jahren ein bisschen andere Visage und andere Körper und …

Timm: Ein bisschen Bauch angelegt.

Menzel: Bauch …

Er war ein bisschen verkommen.

Also das war der Beweis, der Film ist 20 Jahre alt.

Timm: Andere Filmregisseure, Jiri Menzel, sind in den Westen gegangen, Milos Forman zum Beispiel. Sie sind in der Tschechoslowakei geblieben – warum?

Menzel: Ich hatte keine Sehnsucht danach, im Ausland zu leben.

Ich bin nicht (…). Ich habe meine Wurzeln in mein Heim, und ich glaube, dass ich bin nicht stark genug, in einem anderen Land zu arbeiten. Noch dazu, ich bin feige. (…) ist alt, aber ich bin feige.

Timm: Sie haben ja zum Beispiel auch mal die Gegenproklamation der tschechischen Regierung gegen den Charta 77 unterschrieben und sich dann gleich bei Frau Havel dafür entschuldigt. Ist das der Zwiespalt, in dem Sie standen?

Menzel: Das ist meine Trauma. Ich wollte nie Filme machen. Nach dieser neuen Regierung ich bin ein paar Jahre ohne Arbeit. Und langsam ich starte wieder, Filme zu machen. Und jetzt kam die Charta, und das kann auch neue Grund für die Bolschewiken, mich wieder weg von Arbeit …

Timm: Sie wieder zu behindern.

Menzel: Ja. Und ich habe gedacht, das ist nicht logisch. Mein Ziel ist, die Filme machen für mein Land. Und dieser Gestus, nichts zu tun, das ich finde billig. Noch dazu viele andere meiner Kollegen sind Parteimitglied, und das ist etwas noch schlimmeres.

Timm: Ich habe gedacht, vielleicht haben Sie auch so viel Verständnis in Ihren Filmen für kleine, schwache, wenig perfekte Menschen, weil Sie sich selber auch mal als schwach und ambivalent erlebt haben.

Menzel: Ich bin ein normaler Mensch, so gerne ich …

Ich sehe in mir keinen Helden, aber ich möchte, dass das, was ich mache, einen Sinn hat. Und nichts zu machen, hat keinen Sinn.

Timm: Wie wichtig war denn die politische Entwicklung, wie wichtig war das Scheitern des Prager Frühlings für den tschechischen Film generell?

Menzel: Ich glaube, das ist wahr: Die Folgen des Prager Frühlings, also der Invasion, hat tatsächlich die tschechische Filmwelt zerstört. Aber ich muss eine Sache sagen, die mir sehr wichtig scheint: Dass ich und meine Kollegen von der Arbeit entfernt wurden, das wollte eigentlich Breschnew nicht. Derjenige, der das tatsächlich wollte, das waren die Kollegen von uns. Also die weniger erfolgreichen Kollegen, die plötzlich die Gelegenheit sahen, auf unsere Positionen zu treten.
Und das waren die Ersten, die die sogenannten Anti-Charta-Erklärungen unterschrieben haben.

Timm: Sie hatten Berufsverbot, Herr Menzel, von 1970 bis 1975. Wie und wovon haben Sie denn in dieser Zeit gelebt?

Menzel: Ich war ein Angestellter von Barrandov von den Filmstudios, weil es offiziell keinen Paragrafen gab, nach dem man mich entfernen konnte. Also das war ähnlich auch im Falle meiner Kollegen, die auch nicht arbeiten durften.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". Unser Gast ist der tschechische Regisseur und Oscar-Preisträger Jiri Menzel. Der letzte Film, Herr Menzel, den wir in Deutschland von Ihnen gesehen haben, ist die Verfilmung von Bohumil Hrabals Roman "Ich habe den englischen König bedient". Ein ganz komischer und zugleich ein ganz ernsthafter Film. Hrabal ist 1997 gestorben, und Sie haben viele seiner Stoffe verfilmt. Was waren Sie für ein Gespann, Hrabal-Menzel, waren Sie Seelenverwandte?

Menzel: Ich glaube, das war eher so, dass ich sehr große Achtung vor ihm hatte, und das, was ich kann, wollte ich voll in den Dienst von Hrabal stellen.
Ja, wir haben uns sehr gut verstanden. Er war der inspirierende Typ, und ich bin der Hersteller seiner Gedanken.

Timm: Das ist sehr bescheiden, lassen Sie mich noch mal zurückkommen auf diesen Film "Ich habe den englischen König bedient". Man lacht sich schlapp auf Deutsch und ist zugleich ganz beklommen.

Ich erinnere vor allem eine Szene, bei der Julia Jentsch beim Sex ganz gebannt auf ein Hitlerbild starrt, damit sie und ihr Mann auch einen ordentlichen Arier hinkriegen im Bett. Also das ist wirklich urkomisch und zugleich ist es natürlich eine ganz politisch eisige Szene. Woher nehmen Sie solche Bilder?

Menzel: Ich glaube, das liegt schon im Wesen von Hrabals Schaffen. Wenn Sie die Bücher wirklich lesen, dann haben Sie die Bilder direkt in den Sätzen. Er ist gerade darin sehr gut, dass Sie einen Satz lesen, wo Sie lachen, aber gleichzeitig bleibt es Ihnen kalt stecken.

Timm: Sie selber, Herr Menzel, machen kaum noch Filme, Sie arbeiten lieber am Theater. Warum?

Menzel: Theater ist mein Hobby. Seit meiner Kinderzeit ich war immer viel theaterbegeistert. Und ich habe ein Glück, Lebensglück, dass ich wollte in Theaterschule akzeptiert sein, aber mein Talent war nicht gut genug. Und es war die Schule für Film und Fernsehen, also …

Die haben aufgenommen, aber haben mir nur Filmemachen beigebracht.

Timm: Haben Sie auch keine Filme mehr vor?

Menzel: Also keine genauen Pläne.

Timm: Herr Menzel, mein Tschechisch ist ganz, ganz schlecht, aber ich habe mir sagen lassen, Ihr Lebensmotto sei: Tak nevem, keine Ahnung. Stimmt das?

Menzel: Ja, ja, das ist … Man ist nie überzeugt, man muss immer, immer zweifeln, nichts ist so wirklich die echte Wahrheit. Überall ist es gut, ein bisschen nicht zu sicher sein.

Timm: Tek nevem! Jiri Menzel, ich wünsche Ihnen, dass Sie dieses Motto noch lange trägt und bedanke mich für Ihren Besuch hier im Studio und bedanke mich bei Stepan Benda für die Übersetzung aus dem Tschechischen.

Menzel: Vielen Dank!

Stepan Benda: Danke auch!